Ausstellung

Tuntenterror im Märkischen Museum

16. Sept. 2019
Foto: Juwelia auf der Oranienstraße von Annette Frick

Berlin in den 90er-Jahren: Die Fotokünstlerin Annette Frick, seit 1996 selbst Berlinerin, ist fasziniert vom radikalen Umbruch der ehemaligen Mauerstadt. Berlin war noch weitgehend von Baulücken bestimmt, der Potsdamer Platz eine einzige, riesige Baustelle. „Ich fand die Stadt damals aufregend, vielseitig, kreativ und originell“, erzählt sie.

Mit ihrer Kamera zog sie los und hielt die Eindrücke fest, die ab Mitte September im Foto-Grafischen Kabinett des Märkischen Museums zu sehen sind: Brandwände vor heute geschlossenen Stadtbrachen, zahllose Gebäude in Renovierung, der Palast der Republik im Abriss. „Die Arbeiten zeigen meine subjektive Erfahrung der Stadt“, so Frick. „Das, was mir besonders auffiel. Aber es geht dabei auch um einen Standpunkt: zu zeigen, dass einiges liebevoll erhalten wurde und andere Gebäude einfach abgerissen wurden. Etwa das Ahornblatt, das unter Denkmalschutz stand und ein wichtiges Zeugnis der Architektur seiner Zeit war. Das hätte erhalten werden müssen.“

Die Fotos entstanden im Rahmen eines damals geplanten Buchprojektes. Die Umbruchsszenarien der Stadt sollten hierfür mit Porträts aus der queeren Berliner Subkultur kombiniert werden – ganz so, wie es die Ausstellung jetzt umsetzt. Schon damals sah Annette Frick enge Zusammenhänge zwischen einer Stadt im Wandel und der lebendigen Szene der Trümmer- und Polittunten: „Durch die Transformationen, Umstrukturierungen und ungeklärten Besitzverhältnisse haben sich viele Freiräume ergeben, etwa für bestimmte Clubs, die es damals gab. Und Tunten gehörten ja immer zur Avantgarde. Sie haben sich immer da besonders wohlgefühlt, wo alles nicht so festgelegt war.“ Mit vielen, die auf den Fotos zu sehen sind, war Annette damals persönlich befreundet, andere kamen über diese Kontakte hinzu. Im Märkischen Museum präsentieren sich so BeV StroganoV, Ovo Maltine und Melitta Sundström in lustvollen Posen.

Einige der Dargestellten, so etwa Tima die Göttliche oder Juwelia Soraya, wird man darüber hinaus bei einem Auftritt auch live erleben können: Am 26. September lädt der Kurator Jens Kraushaar zusammen mit Patsy l’Amour laLove in die „Große Halle“. Das Motto: „Tunten trümmern durchs Märkische Museum“. „Es ist eine Location, in der noch nie eine Tuntenshow stattgefunden hat“, so Patsy l’Amour laLove. „Es bereitet mir ja generell Freude, unterschiedliche Szenen und Leute zusammenzubringen. An dem Abend wird also das typische Stadtmuseumspublikum auf die queere Szene treffen.“

Die Show beginnt mit Einsichten in die Geschichte und Spezifik der Berliner Tuntenkultur. Als Starredner*innen treten auf: Daisy aka Bernd Gaiser, Polittunte der ersten Stunde, sowie Angela Schmerfeld, die sich als Lesbenaktivistin bei ihren Veranstaltungen bemüht, die unterschiedlichen Gruppierungen der queeren Szene zusammenzubringen. Ihr Thema: die lesbische Sicht auf Tunten. Anschließend werden gesangliche, phonomimische und lyrische Beiträge zum Besten gegeben, unter anderem von den Transophonix, Luxuria Rosenburg und Betty BücKse.

Höhepunkte aber sind die Auftritte der Tunten-Urgesteine. „Melitta Poppe fühlt sich heute bei solchen Veranstaltungen geradezu museal“, lacht Patsy l’Amour laLove, „dabei geht es darum, die Vorreiterinnen in ihrer ganzen Vitalität und ihrem Engagement zu zeigen. Die Tunten- und Dragkultur hat ja nicht erst mit RuPaul begonnen. Gerade in Berlin gibt es eine eigene, sehr spezielle Tradition. Das ist gerade auch für die Jüngeren interessant.“ So werden sich die unterschiedlichen Berliner Tunten-Generationen wieder einmal gegenseitig inspirieren – und sei es auch nur beim abschließenden Sektbuffet.

Carsten Bauhaus

Abriss: Trümmertunten und internationale Individuen: Berlin 1991 – 2010,
17.09.–08.12., Foto-Grafisches Kabinett im Märkischen Museum
stadtmuseum.de

Tunten trümmern durchs Märkische Museum,
26.09., 18:00, Märkisches Museum

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