Politik

Eine politische Gefahr auch für LGBTI*: Der „Marsch für das Leben”

18. Sept. 2019 kittyhawk
Bild: Foto: Turris Davidica, CC BY-SA 3.0
„Marsch für das Leben" 2012 in Berlin, Foto: Turris Davidica, CC BY-SA 3.0

Am Samstag gehen in Berlin wieder selbsternannte „Lebensschützer“ gegen Abtreibungen auf die Straße. Wer marschiert da aber eigentlich für was – und was hat das mit LGBTI*-Feindlichkeit zu tun?

Sie nennen sich „Lebensschützer“, kämpfen gegen Schwangerschaftsabbrüche und „Genderwahn“. Am 21. September veranstaltet der Bundesverband Lebensrecht e. V. (BVL) zum 15. Mal den „Marsch für das Leben“ in Berlin. Dort trifft sich eine professionalisierte Bewegung, in der sich christlich-fundamentalistische Konservative und extrem Rechte finden.

Die Journalistin Eike Sanders ist Mitarbeiterin des „Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums e. V. (apabiz)” und befasst sich schon lange mit dem Thema. Im Interview erklärt sie, warum die „Lebensschützer“ so gefährlich sind.

Eike: seit 2002 – zuerst alle zwei Jahre, dann jährlich – marschiert in Berlin die „Lebensschutz“-Bewegung. Was sind deren Hauptforderungen? Das erste Ziel ist der Kampf gegen Schwangerschaftsabbrüche. Diese sollen juristisch erschwert und moralisch geächtet werden. Damit geht ein ganzes Weltbild einher, das antifeministisch und latent homo-, trans*- und inter*feindlich sowie in Teilen antidemokratisch ist. Dazu gehört die Verteidigung einer zweigeschlechtlichen Norm, bei der Männer tendenziell dem klassischen Ernährermodell und Frauen einem „angeborenen“ Mutterwunsch folgen sollen. Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, kommen nicht vor; andere sexuelle Orientierungen und Begehrensformen auch nicht. Die Sexualmoral ist restriktiv: Sex ist nicht zum Vergnügen da, sondern soll der gottgegebenen, natürlichen Ordnung oder der Fortpflanzung dienen. Hier gibt es Überschneidungen mit rassis-tischen Diskursen. Denn den „Lebensschützern“ stellt sich die Frage: Soll wirklich jedes Kind geboren werden? Oder doch eher nur das weiße, christliche? Die Angst, dass das „deutsche Volk“ oder die christliche Kultur vom Aussterben bedroht ist, ist unter den Demonstrierenden weit verbreitet.

Ein Schweigemarsch mit Kreuzen, die für abgetriebene Embryos stehen, Leute, die vor Kliniken Föten aus Plastik verteilen und vom „Baby-Holocaust“ sprechen – sind das nicht alles Spinner, die wir ignorieren können? Wir versuchen mit unserer Arbeit seit Langem darauf hinzuweisen, dass die „Lebensschützer“ eine ernstzunehmende politische Gefahr darstellen, mit der man sich auseinandersetzen muss. Sie haben ein politisches Programm, das nicht nur auf den Glauben beschränkt ist. Denn sie wollen einen Kulturkampf führen und die Freiheiten von sehr vielen Menschen einschränken. Das betrifft nicht nur schwangere Personen, sondern auch andere sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. Von ihrem Weltbild abweichende Lebensweisen, Sexualvorstellungen oder offenere Familienmodelle werden ausgegrenzt. Der Glaube, dass die Heterofamilie bedroht ist, nimmt zu.

Man kann also nicht zum Beispiel lesbisch und „Lebensschützerin“ sein? Es gibt dort auch Fürsprecherinnen und Fürsprecher der Konversionstherapie. Die unterscheiden zwischen ausgelebter und empfundener Homosexualität. Für Gott könne man sich demzufolge dafür entscheiden, seine Sexualität nicht auszuleben, und so trotzdem ein guter Christ sein. Nicht nur die Homo-, auch die Transfeindlichkeit innerhalb der Bewegung ist groß. Wer nicht in das zweigeteilte Geschlechterbild passt, wird höchstens noch bemitleidet, aber eigentlich als Fehler der Natur betrachtet.

Und der Begriff Feminismus ist für „Lebensschützer“ ein Schimpfwort? Ja. Es gibt aber natürlich auch unterschiedliche Strömungen innerhalb der Bewegung. So betont zum Beispiel die österreichische „Jugend für das Leben“, dass sie für die Frau eintritt. Der Slogan lautet: Eine Abtreibung hat immer zwei Opfer, das Kind und die Mutter. Denn die „Lebensschützer“ gehen davon aus, dass Frauen leiden, wenn sie keine Mütter werden. Und sie behaupten, dass Menschen per se von Abtreibungen traumatisiert werden und das sogenannte „Post-Abortion-Syndrom” (Nach-Abtreibungssyndrom) entwickeln, was zu körperlichen und psychischen Symptomen führen soll, bis hin zu Depressionen und Suizid. Also sehen sie sich selbst als Beschützerinnen und Beschützer von Frauen, wenn sie ihnen den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen erschweren.

Wo stehen die deutschen „Lebensschützer“ parteipolitisch? Klassischerweise hat ein großer Teil der Bewegung die CDU oder CSU als politische Heimat. Jetzt ist die AfD als neuer Player am Start. Da gibt es ganz klare inhaltliche Überschneidungen, aber die AfD ist auch offen rassistisch. Der Bundesverband versucht, die möglichen Gräben innerhalb der christlichen Bewegung, also auch die mitlaufende AfD, unsichtbar zu machen, indem generell Parteiabzeichen und -schilder verboten werden. Hier soll bestimmt auch auf Zeit gespielt und abgewartet werden, wie sich die politischen Verhältnisse entwickeln. Meiner Meinung nach besteht die Gefahr, dass der Aufschwung von Rechts mit dem Erstarken der AfD der Bewegung längerfristig eine neue Mobilisierungskraft bringt und den Marsch wieder wachsen lässt.

Wer dagegen protes­tieren möchte – was kann man tun? In Berlin gibt es meines Wissens zwei Gruppen, denen man sich anschließen kann. Einmal das breit aufgestellte „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ und das radikalere, queerfeministische „What the Fuck?!“-Bündnis. Ich würde sagen, es ist generell wichtig, dass die „Lebensschützer“ sehen und hören, dass es viele andere gibt, die sich von ihren restriktiven Forderungen angegriffen fühlen und dagegen auf die Straße gehen. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Protestformen. So mischen sich immer auch Leute direkt unter die Masse, verhalten sich ruhig, bis sie irgendwann ihre Schilder und ihr Konfetti rausholen, um den Protest aus dem Inneren der Demo heraus sichtbar zu machen. Zum Beispiel mit einem Chor, der letztes Jahr alle möglichen Lieder feministisch umgedichtet und den Marsch am Berliner Hauptbahnhof mit sehr viel Glitzer empfangen hat. Das war für einige Christinnen und Christen total schlimm: Die eigentlich von Gott verlassene, böse Gegenseite singt plötzlich so schön!

Das Interview erschien zuerst unter dem Titel „Kreuzzug gegen Frauenrechte: Der Marsch für das Leben" im SIEGESSÄULE-Schwestermagazin L-MAG – das Magazin für Lesben.

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