Kommentar

Wirbel ums Berghain: Wie begründet ist der Boykottaufruf?

30. Sept. 2019
Joe von Hutch © Joe Kake

Seit September wird im Berghain eine neue Gebühr fällig, wenn man die Location während der laufenden Party verlässt und zurückkommen möchte. Das hat zu hitzigen Diskussionen geführt. Joe von Hutch kommentiert

Das Berghain, Berlins berühmtester Club, sorgt wieder einmal für Furore. Leider nicht im positiven Sinne – was unter anderem ein vor gut zwei Wochen auf Facebook gestarteter „Berghain-Klubnacht Boycott“ zeigt, bei dem ungefähr tausend Personen auf „interessiert“ geklickt haben.

Was bringt viele Berliner*innen derart gegen ihre Lieblingslocation auf? Die lange Schlange und Härte an der Tür kann es nicht sein, daran sind wir ja gewöhnt. Aber nun hat das Berghain nicht nur die Stempel, die man beim Eintritt bekommt, gegen Plastikarmbänder getauscht, sondern verlangt auch eine „Wiedereintrittsgebühr“ von fünf Euro. Sie wird fällig, wenn man die Location während der laufenden „Klubnacht“ verlässt und zurückkommen möchte. Berghain, mit dieser Aktion hast du es für mich wirklich versaut.

Im Vergleich zu wirklich wichtigen politischen Themen (wie dem Vormarsch der Rechtsextremen oder der drohenden Klimaapokalypse...) ist die Sache vielleicht albern. Aber man kann sie durchaus, wenn man alle Konsequenzen bedenkt, als einen Schlag ins Gesicht vor allem der queeren Berliner Szene verstehen. Auch wenn es erstmal komisch klingen mag: Fünf Euro „Wiedereintritt“ ist für viele Berliner*innen tatsächlich eine Menge Geld.

Wohin können wir alle noch feiern gehen, wenn das Berghain als einzige Location überlebt, aber zu teuer geworden ist? Denn: der Club erschwert seinen Zugang ausgerechnet in Zeiten, in denen wir es mit einer zunehmenden Verdrängung bestehender queerer Locations zu tun haben. Demnächst soll ein 140m-hoher Büroturm an der Warschauer Straße errichtet werden, und beliebte queere Räume wie about blank, Wilde Renate, Else und Polygon sind bedroht – weil der Autoindustrie eine Autobahnverlängerung (die Stadtautobahn A100, SIEGESSÄULE berichtete) geschenkt werden soll.

Was ich, nebenbei gesagt, auch nicht verstehen kann, ist, warum sich dafür entschieden wurde, die ikonischen Stempel durch billige Plastikstreifen zu ersetzen. Gibt es keine App? Oder etwas, das die Leute mehr schätzen würden, als es einfach abzuziehen und wegzuwerfen, sobald ihnen klar wird, dass die Party nun doch endlich vorbei ist? Haben wir nicht etwas verdient, das so aussieht, als käme es aus der Zukunft und nicht aus der Wegwerf-Gesellschaft?

Da ich wirklich kein Hausverbot möchte, sollte ich zum Schluss die Schuld lieber auf die Besucher*innen des Berghains schieben – wie jene talentierten Künstler*innen, die durch sorgfältiges Kopieren jedes neuen Stempeldesigns kostenlos reingekommen sind – und nicht auf den Club selbst oder auf seine Türsteher*innen, die diesen Kommentar eventuell lesen könnten.

Ich möchte aber doch eines an dieser Stelle sagen: verantwortlich für die Zerstörung unserer Clubkultur sind nicht nur die großen Bauprojekte der Stadt Berlin, extreme Mietsteigerungen und so weiter – sondern auch die vielen „kleinen Einschränkungen“, die so am Rande passieren, und die unsere Lieblingslocations nach und nach für uns unzugänglicher machen.

Dem Berghain fehlt es weder an Geld noch Begeisterung, und Leute auf der Gästeliste werden schon lange gebeten, zwei Euro für gemeinnützige Projekte zu spenden. Sowas könnten die locker auch anstatt der „Wiedereintrittsgebühr" verlangen. Das wäre gleichzeitig zum Wohl der Community – und ein Zeichen dafür, dass das Berghain noch auf „unserer“ Seite geblieben ist.

Joe von Hutch

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