Coming-out Day, 11. Oktober

Vom Büchernerd zur Domina mit Peitsche

11. Okt. 2019
Michaela Dudley © Alexa Vachon

SIEGESSÄULE-Kolumnistin Michaela Dudley ist trans, Domina, Comedian und noch vieles mehr. Am heutigen internationalen Coming-out Day erzählt sie von ihren eigenen schwierigen Coming-out Prozessen

Vorab: Ich komme vom anderen Ufer, und zwar in etlicher Hinsicht. Meine Jugend war geteilt. Sowohl geographisch als auch in gewisser Weise schon geschlechtlich. Ich bin eine trans Frau mit afroamerikanischen Wurzeln und möchte euch von meinem Coming-out erzählen. 1961 kam ich auf die Welt. Das mir bei meiner Geburt zugewiesene Geschlecht war männlich. Obwohl ich bereits früh Erfahrungen mit der damals noch eingezäunten Hauptstadt Berlin machte, wuchs ich primär in den USA auf – gleichsam im Schatten der Freiheitsstatue. Schon damals spürte ich diese züngelnde weibliche Flamme. Innerhalb von mir, wohl bemerkt. Wohl oder übel, besser gesagt. Denn übel waren die Konsequenzen, die es bedeutet hätte, als „faggot“, „pussy“ oder „sissy“ zwangsgeoutet zu werden.

Wenn die Burschen in meinem damaligen Umfeld dich so stigmatisierten, dann warst du Freiwild. Neben dem verbalen Triezen wurde man auch physisch terrorisiert. Einige Straßen von dem Ort entfernt, in dem ich wohnte, wurde ein als „weibisch“ eingestufter Junge überfallen. Drei Halbstarke schlugen ihm die Eckzähne aus und zwangen ihn zum Oralverkehr, weil sie einen „schwulenfreien“ Kiez haben wollten.

Ich sehnte mich, mal abstrakt, mal weniger abstrakt, nach zärtlichlichen Erfahrungen mit Kerlen, obwohl ich Angst vor ihnen hatte. Auf der katholischen Schule war ich der Nerd, der Beste in der Klasse. Ein Bücherwurm mit einer Kassenbrille, die heutzutage sicherlich als mondän modisch gelten würde. Das war schon auf- und anfällig genug. Hinzu kam aber, dass ich mich heimlich schminkte. Manchmal alleine, bisweilen in der Geborgenheit, die meine verblüffend aufgeschlossene Oma mir gewährte. Freilich auch im vertrauten Beisammensein echter, kichernder cis Mädchen, zu deren Kleiderpuppe ich wurde.

Mit knapp 16 Jahren, als ich mit dem Gedanken spielte, mich „endlich“ zu outen, griff ein entfernter Verwandter mich in meinem eigenen Schlafzimmer sexuell an. Ich wehrte den Angriff ab, war aber zutiefst traumatisiert und verunsichert. Ein Jahr später meldete ich mich freiwillig als Offiziersanwärter zur See. Stark sein, sich nichts anmerken lassen. Doch als ich 1979 nach San Francisco kam, genau 10 Jahre nach den Stonewall-Aufständen, folgte ich schon wieder meinem inneren Kompaß. Castro Street, Gay Pride. Nach dem Militärdienst, dem Jurastudium, einem fliegenden Berufswechsel und einer kuriosen Kette von Affären mit älteren Damen, outete ich mich in Etappen. Erst als bisexuell, dann als homosexuell mit Neigung zum Cross-Dressing und als ich schon über 50 war, tauchte diese „Bitch“ in meinem Spiegel auf und sagte mir, sie wolle sich nicht mehr nur auf Auftritte beim CSD beschränken. So trat die trans Frau Michaela hervor. Und bald danach griff sie als Domina zur Peitsche, um für soziale und sexuelle Gerechtigkeit zu sorgen. Denn von den Nonnen in meiner Schule hatte ich so einiges gelernt.

Michaela Dudley

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