Kinostart

Drogen, Angst und Wahn: „Nevrland“

15. Okt. 2019
Simon Frühwirth (re.) in „Nevrland“

Der Wiener Regisseur Gregor Schmidinger ist Mitgründer des Porn Film Festival Vienna und wurde bekannt dank seiner beiden LGBTI*-Kurzfilme, „The Boy Next Door“ (2009) und „Homophobia“ (2012), die bereits von mehr als 10 Millionen Zuschauer*innen auf YouTube angeklickt wurden.

In seinem Langspielfilm-Debüt „Nevrland“ thematisiert er nun das autobiografische Thema seiner früheren Angststörungen. Mit starken und intensiven Bildern gelingt es Schmidinger deutlich zu machen, dass sich der 17-jährige Jakob in einem psychischen Ausnahmezustand befindet: Die Mutter verließ die Familie früh, der Vater ist hilflos und überfordert, der Großvater schwer an Demenz erkrankt.

Der schweigsame und zurückgezogene Jakob – gespielt vom Schauspielnewcomer Simon Frühwirth, der den Preis als bester männlicher Nachwuchsdarsteller beim diesjährigen Max-Ophüls-Filmfestival in Saarbrücken gewonnen hat – scheint kaum Freund*innen zu haben und von einer bleischweren Angst gelähmt zu sein. Bevor sein Studium losgeht, jobbt Jakob bei seinem Vater in einem Schlachthof und sieht dort Dinge mit an, die nur schwer zu ertragen sind.

Wenn Simon nicht arbeitet, sitzt er am liebsten zu Hause vor dem Computer. Dort taucht er ab in eine Parallelwelt, wo er Gay-Porn-Seiten besucht und mit anderen Männern chattet. Eines Nachts lernt er beim Chatten den amerikanischen Videokünstler Kristjan kennen. Beide begegnen sich fortan auch im echten Leben: Kristjan nimmt Jakob mit in eine Welt voller Drogen, Technopartys und Stroboskoplicht. Die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen zunehmend und die Bekanntschaft mit Kristjan entwickelt sich für Jakob zu einer fulminanten Reise. Es ist ein Trip nach Nevrland, zu den eigenen Ängsten, den Wunden der Vergangenheit und sich selbst.

Schmidinger bezeichnet seinen Film selbst als „post gay“, was für ihn bedeutet, dass Jakobs Schwulsein kein zentraler Konflikt ist, sondern eine natürliche Selbstverständlichkeit. Viel mehr erzählt „Nevrland“ die Geschichte eines sensiblen Jungen, der – gefangen in einer Welt aus Drogen, Angst und Wahnvorstellungen – auf der Suche nach sich selbst ist. Wir begleiten z. B. Jakob zu einem Therapeuten, der ihn darum bittet, sich seiner Angst zu stellen – doch wie soll man sich einer allumfassenden Angst stellen können?

Die Fragen, die der Film aufwirft, werden nicht alle beantwortet, aber vielleicht ist es die Erkenntnis, sich seiner Vergangenheit stellen zu müssen, um die Gegenwart ertragen zu können, die man daraus mitnehmen kann. Eine abschließende Warnung für alle, die an Epilepsie erkrankt sind: die Filmszenen im Technoclub können Panikattacken oder auch epileptische Anfälle auslösen.

Linus Giese

Nevrland, Österreich 2019
Regie: Gregor Schmidinger, mit Simon Frühwirth, Paul Forman
Ab 17.10. im Kino

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