Kommentar

Hochgeschlagene Mantelkrägen: Ein Besuch auf der Erotikmesse Venus

16. Okt. 2019
Jurassica Parka

Am 17.10. startet wieder die „Venus“ in Berlin! Jurassica Parka hat Deutschlands größte Sexmesse bereits besucht und berichtet von ihren Erfahrungen

Ich bin ja immer ganz nah am LSD dran. Nein, ich meine nicht die Droge, sondern den Sexshop Potsdamer Ecke Kurfürsten. Jedenfalls laufe ich täglich an dem kruden 60er-Jahre Bau vorbei, vor dem die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter auf der Suche nach Kundschaft sind – na und neulich sprangen mir von einem Plakat unverhoffte Brüste direkt ins Stammhirn.

Riesige Brüste, pralle gephotoshoppte Pobacken und kleine Füßchen in 15 cm-Plateaus… mir war es erst danach möglich, auch mal ins Gesicht der Modelle zu schauen. Ist wahrscheinlich so gewollt. Micaela Schäfer strahlt mir keck ins Gesicht. Vor knallrotem Hintergrund, daneben C-Prominenz: Patricia Blanco, ihr wisst schon, die Tochter von. War zuletzt in den Schlagzeilen, weil ihr bei der letzten Brust-OP ihre Nippel abgestorben sind. Naja. Beide in voller Pracht, wie der Chirurg sie schuf. Ach, die Venus Erotikmesse startet wieder…

Für mich als schwulen Transvestiten hat das Plakat tatsächlich etwas bedrohliches. Ich erinnere mich schlagartig daran, dass ich die Venus auch schon besucht habe. Die findet in den Messehallen am Funkturm statt, ein ziemlich großes Event. Ich fummelte mich auf und ging da eigentlich ohne Erwartungen hin. Und die wurden dann aber bei weitem unterboten! Für die Venus muss man Brüste mögen, das weiß ich jetzt. Ob große, kleine, lange, hochgeknetete oder aufgepumpte Brüste. Überall Brüste. Pornodarstellerinnen in Lackstiefeln standen an lustlos gestalteten Messeständen und verführten lustlos um die Wette. Das merkt der gemeine Messebesucher aber nicht. Obacht: hier habe ich absichtlich nicht gegendert. Der Besucher der Venus ist eben cis, männlich, heterosexuell.

Alles ist dabei. Der gerade 18 gewordene Azubi aus Spandau, hochrot entzückt und heillos überreizt. Die abgeklärten Mittvierzieger mit ihren angetrunkenen Kumpels aus dem Sportverein. Und natürlich der schüchterne Rentner, der zitternd seine Kamera auf alles hält, was nackt ist – in ständiger Sorge, von einem Nachbarn erkannt zu werden. Deshalb tragen viele gerne Käppi oder schlagen den Mantelkragen hoch. Die Frauen sehen alle ähnlich aus, nur die Haarfarbe variiert zwischen Weißblond, Kaminrot und Dunkelschwarz.

Ich bin verdutzt, denn in ihrer ganzen aufgegeilten Pracht ist die Messe eigentlich furchtbar piefig und verkorkst. Würde man die Brüste weglassen, könnte die Venus auch eine Maschinenbaumesse in Salzwedel sein. Ich werde entweder irritiert angestarrt oder peinlich berüht wegignoriert. Ich bin ein Alien. Auf Tunten ist man hier nicht vorbereitet.

„Gleich ist Liveshow an Stand 37, die fingern sich die Muschis“, höre ich es neben mir rumoren. In mir steigt Panik auf. Ich kämpfe mich an Halbsteifen und Fickautomaten in eine andere Halle und lande bei den SM-Austeller*innen. Gemischtes Publikum, die Atmosphäre ist entspannt, ich werde angelächelt. Das scheint also mein Heimatplanet zu sein. Interessant. Ich verschnaufe, trinke einen Gratis-Sekt und will dann aber nach hause. Ja, so war das. Ich stehe immer noch vor dem Plakat am LSD, ich muss jetzt aber wirklich weiter. Eine Frage bleibt aber trotzdem: Wie fühlt es sich wohl an, sich mit drei Zentimeter langen Plastiknägeln zu fingern? Und was macht man, wenn man dabei einen verliert?

Jurassica Parka


venus-berlin.com

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