Erlebtes Unrecht

Zwangssterilisation von trans* Personen

22. Nov. 2019
Illustration: Rory Midhani

Bis 2011 mussten sich trans* Personen, die ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollten, in Deutschland zwangsweise sterilisieren lassen. SIEGESSÄULE-Autorin Paula Balov sprach mit Betroffenen

Ich war mir sicher, dass ich die Personenstandsänderung wollte“, erzählt Tsepo Bollwinkel. „Ich hatte mir fest vorgenommen, zu überleben und ein glücklicher Mensch zu werden. Deswegen zahlte ich auch den Preis: die Sterilisation. Mir war in dem Moment nicht klar, dass der Preis ein sehr hoher und vollkommen sinnloser war.“

Rund 10.000 Personen betroffen

Tsepo ist einer von rund 10.000 betroffenen trans* Personen in Deutschland, die sich zwischen 1981 und 2011 zwangsweise sterilisieren lassen mussten. Im „Transsexuellengesetz“ waren die „dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit“ und die geschlechtsangleichende Operation als Bedingungen für eine juristische Transition – das heißt, die Änderung des amtlich erfassten Geschlechtseintrags – festgeschrieben. Trans* Personen wurden damit in eine alternativlose Lage gedrängt.

Erst 2011 erklärte das Bundesverfassungsgericht, dass ungewollte Sterilisationen und erzwungene Geschlechtsangleichungen, wie im TSG enthalten, grundrechtswidrig sind. Die Regelung verstieß gegen das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Hinzu kam die Botschaft, die so ein Gesetz vermittelte: Fortpflanzung von trans* Personen unerwünscht.

„Es wurde als völlig normal verkauft – als gehöre es dazu“

Bis heute kam jedoch vonseiten der Bundesregierung keine Entschuldigung für das verfassungswidrige Gesetz. Mit einer Kampagne fordert der Bundesverband Trans* (BVT*) genau das: eine offizielle Entschuldigung, und dazu einen Entschädigungsfonds.

„Nichts kann das wiedergutmachen,“ sagt Cathrin Ramelow, die ebenfalls betroffen ist. „Eine offizielle Anerkennung, dass Menschenrechte verletzt wurden, und eine finanzielle Entschädigung sind jedoch das Mindeste, was die Bundesregierung tun kann.“ Die 56-jährige Fachangestellte schloß vor 20 Jahren ihre Transition ab. Die erforderliche Sterilisation habe sie zu dem Zeitpunkt nicht infrage gestellt. „Es wurde als völlig normal verkauft – als gehöre es dazu. Und so haben wir es auch verinnerlicht“, erinnert sie sich.

Im Nachhinein weiß Cathrin, dass sie sich gewünscht hätte, über weitere Möglichkeiten aufgeklärt zu werden – wie zum Beispiel über die Option, Sperma einzufrieren. Doch keine der Gutachter*innen oder Mediziner*innen, mit denen sie damals zu tun hatte, erwähnte dies.

Ähnliche Erfahrungen hat auch Tsepo gemacht. Er vollzog 1991 die Personenstandsänderung, um in dem männlichen Geschlecht anerkannt zu werden, das seiner nicht-binären Identität mehr entsprach. Während der Transition habe er all seine Energie darauf gelenkt, die gesetzlichen Bestimmungen zu erfüllen, und habe diese deshalb nicht hinterfragt. „Es war ein Prozess, mir vor mir selbst und vor anderen einzugestehen, dass das eine Zumutung war“, erzählt er.

Als 2011 das Gesetz abgeschafft wurde, war Tsepo erleichtert und froh, dass andere Menschen diesen Prozess nicht mehr durchleiden müssen. In seinem Beruf als Empowermenttrainer, unter anderem für LGBTI*, spiele das Thema heute immer wieder eine Rolle. Er ermutige junge trans* Personen, sich die Fragen zu stellen, die er selbst sich nie stellen konnte. „Wenn ich damals die Wahl gehabt hätte, ich weiß nicht, ob ich mich für die Sterilisation entschieden hätte.“

Traumatische Folgen

Für einige Betroffene mag die geschlechtsangleichende Operation die persönlich richtige Maßnahme gewesen sein. War der Eingriff jedoch nicht gewollt, so haben Betroffene oft noch bis heute, neben der erzwungenen Kinderlosigkeit, mit psychischen Problemen, Trauer oder anderen Folgen des Traumas zu kämpfen. Tsepo erinnert sich an den Moment, als ihm das ganze Ausmaß des Eingriffs bewusst wurde: „Nach der Operation habe ich den pathologischen Bericht gelesen. Darin waren all die Organe gelistet, die im Mülleimer gelandet sind. Als letztes stand, dass sich in dem entfernten Uterus auch eine Eizelle befand. Das hat gesessen! Meine Eizelle, mein Geschenk, Leben weiterzugeben – weg, für immer.“

Inzwischen konnte sich Tsepo seinen Kinderwunsch gemeinsam mit seiner Partnerin erfüllen. Als seine Frau durch eine Samenspende schwanger wurde, erinnerte ihn das jedoch nochmals daran, welchen Preis er dafür zahlen musste, um als der anerkannt zu werden, der er ist. Durch seine Teilnahme an der BVT*-Kampagne, für die u. a. kleine Videos mit Statements von Betroffenen ins Netz gestellt wurden, steht Tsepo nun mit seiner Geschichte in der Öffentlichkeit. Dies empfinde er als Flucht nach vorn. Die Trauer über den erlebten Verlust sei etwas, das ihn sein ganzes Leben lang begleiten wird.

Tsepos Statement auf Youtube:


Die Menschenrechtslage in Deutschland wurde zuletzt 2018 im Rahmen des allgemeinen periodischen Überprüfungsverfahrens der Vereinten Nationen untersucht. Der UN-Menschenrechtsrat sprach dabei die Empfehlung aus, einen Entschädigungsfonds für betroffene trans* Personen einzurichten. Auf eine Anfrage der Grünen, ob dies umgesetzt würde, antwortete die Bundesregierung, dass sie keinen „Bedarf an solchen Maßnahmen“ sehe. Wiebke Fuchs vom BVT* findet dies ignorant und inakzeptabel: „Die Bundesregierung kann den Bedarf nicht einschätzen, denn sie macht keine Untersuchungen über Langzeitfolgen, sie stellt keine Fragen und geht nicht in Kontakt mit trans* Initiativen.“

Entschädigungen gefordert

Im Mittelpunkt der aktuellen BVT*-Kampagne steht deshalb Aufklärungsarbeit, um sich Gehör in der breiten Bevölkerung zu verschaffen und damit den politischen Druck zu erhöhen. „Erstaunlich finde ich, wie viele Menschen gar nicht wissen, dass es in der jüngsten Geschichte Deutschlands Zwangssterilisationen gab“, sagt Wiebke Fuchs. Angestrebt werde eine Regelung ähnlich wie beim Paragraphen 175: ein Gesetz, das die Entschädigung Betroffener in die Wege leitet.

Einige Politiker*innen unterstützen diese Forderung bereits. Der Grünen-Abgeordnete und Sprecher für Queerpolitik im Bundestag Sven Lehmann erklärt einen Entschädigungsfonds für „dringend notwendig“. Auch die erste öffentlich geoutete trans Politikerin im bayrischen Landtag, Tessa Ganserer, befürwortet die Kampagne der BVT*. Sie spricht sich außerdem, wie auch die BVT* und viele andere Fach- und Communityverbände, für eine Abschaffung des TSG aus – das unter anderem immer noch vorschreibt, dass man für eine Personenstandsänderung zwei Gutachten vorlegen muss.

„Auch heute noch wird unrecht getan,“ sagt Ganserer gegenüber SIEGESSÄULE. „Menschen werden zwangsbegutachtet, von staatlicher Seite unmündig behandelt und ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wird mit Füßen getreten.“ Höchste Zeit, dies zu ändern.

Paula Balov

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