„Rettet das Feuer" im Kino

Doku über schwulen Berliner Szenefotografen Jürgen Baldiga

9. Jan. 2020 Axel Schock
Bild: Schwules Museum
Jürgen Baldiga © Schwules Museum

In seinen Bildern hielt Jürgen Baldiga die Westberliner Community der 80er-Jahre fest. Wir sprachen mit Jasco Viefhues, der dem Fotografen einen Dokumentarfilm gewidmet hat

Der schwule Fotograf und Künstler Jürgen Baldiga wurde zum Chronisten der Westberliner Szene der 80er-Jahre, die er in seinen Fotografien festhielt. Darüber hinaus setzte er sich in seiner Kunst intensiv mit seiner Aids-Erkrankung und dem eigenen Sterben auseinander. In dem Dokumentarfilm „Rettet das Feuer“ geht Regisseur Jasco Viefhues mit Szenengrößen der damaligen Zeit auf Spurensuche

Jasco, du warst gerade mal 13 Jahre alt, als der gefeierte Fotograf Jürgen Baldiga 1993 an den Folgen von Aids starb. Wie hast du ihn entdeckt? Man begegnet seinen Fotografien immer wieder in Berlin, im SchwuZ beispielsweise. Lange wusste ich nicht, wer diese Bilder gemacht hat, aber im Schwulen Museum habe ich dann den Katalog zur einzigen Baldiga-Retrospektive nach seinem Tod gefunden. In diesem Band habe ich viele Leute entdeckt, die ich aus meinem Alltag oder durch meine Arbeit als Barmann im Möbel Olfe kenne. Dadurch ist mir bewusst geworden, dass Jürgen Baldiga und die Menschen auf seinen Fotos gewissermaßen die Vorfahren meiner sozialen Familie sind.

War es schwierig, nach so vielen Jahren Interviewpartner*innen zu finden? Das Projekt hat in der Tat ganz von alleine Gestalt angenommen. Irgendwann wurde mir im Möbel Olfe der Verwalter von Jürgens Nachlass Aron Neubert vorgestellt, und danach lernte ich seinen letzten Lebensgefährten Ulf Reimer kennen. Das fügte sich fast wie von selbst zusammen.

Der fotografische Nachlass von Jürgen Baldiga umfasst über 5.000 Bilder der schwulen Szene Westberlins, und „Rettet das Feuer“ zeigt bisher unveröffentlichtes Archivmaterial. War das für dich als jemand, der erst später nach Berlin gekommen ist, alles neu und überraschend? Das hatte überhaupt nichts Fremdes, das war eher wie ein Nach-Hause-Kommen. Trotzdem habe ich bei Festivals gemerkt, dass vielen Zuschauer*innen – gerade aus der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft – durch den Film erstmals bewusst wurde, welchen Verlust Aids auch in Deutschland verursachte. Jürgen Baldiga sprach über seine Lebensrealität als Aidskranker ganz explizit und schonungslos und zeigte das auch in seiner Kunst. Wem das alles neu ist, den kann diese Radikalität durchaus erschüttern.

Diese Doku ist dein Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie. Hattest du freie Hand, den Film ganz nach deinen Vorstellungen umzusetzen? Vonseiten der Hochschule habe ich die dort mögliche Unterstützung gefunden. Allerdings habe ich jahrelang vergeblich versucht, Förderung für das Projekt zu bekommen. Das hat mich viel Zeit und Energie gekostet, nur um letztlich den Film mit begrenzten Mitteln realisieren zu müssen. Aus dieser Not habe ich dann eine Tugend gemacht und konnte den Film auch viel freier gestalten, als wenn ich mich beispielweise noch mit einem Fernsehredakteur hätte herumschlagen müssen.

Wer war sonst an dem Film beteiligt? Dieser Film wäre in dieser Form und mit den begrenzten Mitteln ohne das Archiv des Schwulen Museums nicht möglich gewesen. Das Archiv ist eine Schatztruhe, die längst nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient.

„Rettet das Feuer“ ist keine klassische Künstlerdoku, in der das Leben nacherzählt und das Werk erklärt wird. Vielmehr geht dein Film der Frage nach, wie Erinnerungen und insbesondere queere Geschichte bewahrt werden. Was findest du daran so spannend? Indem ich mich auf die Spuren von Jürgen Baldiga mache, stellen sich automatisch die übergreifenden spannenden Fragen, was mit dem Nachlass von queeren Menschen eigentlich geschieht, was alles in Archiven lagert und wer die Deutungshoheit über diese Materialien hat.

Jürgen Baldiga ist für Filmemacher*innen ein Glücksfall. Es gibt nicht nur sein umfangreiches fotografisches Werk, sondern auch Super-8-Aufnahmen und sogar rare Musikaufnahmen. Was für einem Menschen bist du auf diese Weise begegnet? Er war ganz sicher eine Rampensau, ein Enfant terrible, ein Aktivist und – wie man heute wohl sagen würde – uneingeschränkt sexpositiv. Ich bin mir hundertprozentig sicher: Käme er heute zu mir in die Bar, wir würden uns auf jeden Fall kennenlernen; allein schon, weil wir so viele gemeinsame Bekannte und Freund*innen haben. Und wahrscheinlich würden wir uns auch mögen.

Interview: Axel Schock

Rettet das Feuer, D 2019,
Regie: Jasco Viefhues,
mit Aron Neubert, Michael Brynntrup, Melitta Poppe,
ab 16.01. im Kino

SIEGESSÄULE präsentiert:
Preview bei MonGay,
13.01, 22:00, Kino International

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