Personenstandsgesetz

Rechtsgutachten: „Dritte Option“ doch für alle nutzbar

24. Jan. 2020 as

Wie sehr das Bundesinnenministerium trans* und nicht-binäre Personen diskriminierte, zeigen jetzt ein Rechtsgutachten und ein Beschluss des Amtsgerichts Münster

Das Bundesinnenministerium (BMI) ist im Umgang mit dem Gesetz zur „Dritten Option“ von falschen Annahmen ausgegangen. Zu diesem Schluß kommen sowohl ein vom Familienministerium gefördertes Rechtsgutachten, als auch ein aktueller Beschluss des Amtsgericht Münster. Ohne jede Grundlage habe das Innenministerium versucht, trans* und nicht-binäre Personen daran zu hindern, das Gesetz zu nutzen, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen.

Am 22. Dezember 2018 war eine Änderung im Personenstandsgesetz (PStG) in Kraft getreten. Neben „männlich“ und „weiblich“ wurde die neue Option „divers“ eingeführt. Außerdem sieht der neue Paragraf 45b ein Verfahren vor, mit dem man auf relativ einfachem Wege den eigenen Vornamen und Geschlechtseintrag umtragen lassen kann. Dabei ist es sowohl möglich den Eintrag in „divers, „männlich“ oder „weiblich“ zu ändern als ihn auch ganz streichen zu lassen. Dafür reicht ein Gang zum Standesamt und eine ärztliche Bescheinigung, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt.

Verwirrung bei Behörden

Die Krux dabei: im Gesetzestext findet sich keine Definition, was zu „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ zählt und was nicht. Dennoch behauptete das Innenministerium in einem Rundschreiben vom April letzten Jahres, dass das Gesetz nur für inter* Personen mit einer bestimmten medizinischen Diagnose gelte. So müssten etwa trans* Personen für eine Änderung des Personenstandes weiterhin den weitaus aufwendigeren und teureren Weg über das geltende „Transsexuellengesetz“ (TSG) gehen. (SIEGESSÄULE berichtete)

Dieses Rundschreiben, das an Standesämter und Behörden geschickt wurde, stiftete viel Verwirrung: In der Folge wurden einige Antragsteller*innen abgewiesen, während andere weiterhin problemlos ihren Geschlechsteintrag ändern lassen konnten – abhängig davon, mit welchem Standesamt oder mit welcher Beamt*in man es vor Ort jeweils zu tun hatte.

Gutachten: Gesetz erfasst auch trans* und nicht-binäre Identität

Das nun veröffentlichte Rechtsgutachten widerspricht der Auffassung des Innenministeriums deutlich. Mit Berufung auf aktuelle medizinische Erkenntnisse als auch auf das Verfassungsrecht wird darin ausgeführt, dass der Begriff „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ nicht nur Intergeschlechtlichkeit, sondern auch Transgeschlechtlichkeit und nicht-binäre Geschlechtsidentität umfasst.

Diese Sichtweise spiegelt sich auch in einer erstinstanzlichen Entscheidung des Amtsgerichts Münster vom 16. Dezember zu einem Fall wieder, bei dem ein Standesamt ein Verfahren nach §45b PStG abgelehnt hatte. Das Amt wird darin angewiesen, dem Anliegen auf Änderung des Geschlechtseintrags nachzukommen. Denn: das neue Gesetz gelte auch für Personen, die „nach medizinischen Erkenntnissen einem bestimmten biologischen Geschlecht zuzuordnen sind, jedoch subjektiv nicht entsprechend dieser medizinischen Zuordnung empfinden.“

Ausschlaggebend ist demnach allein die selbstempfundene Geschlechtsidentität, betonte die Kampagnengruppe „Dritte Option“ in einer Pressemitteilung zur Entscheidung des Amtsgerichts. Bei einer verfassungskonformen Anwendung des Gesetzes dürfe deshalb nicht zwischen inter* und trans* Personen differenziert werden. Sollte bis zum 30. Januar kein Einspruch erfolgen, ist der Beschluss des Gerichtes rechtskräftig.

Auch andere Gerichte haben über Fälle bereits positiv entschieden – so das Amtsgericht Dortmund und das Oberlandesgericht Düsseldorf.

Wie das BMI auf diese neuen Entwicklungen reagieren wird, bleibt abzuwarten. Auf eine Anfrage von SIEGESSÄULE beim BMI von Ende letzter Woche steht eine Antwort bisher noch aus.

„Rechtsstaatlich kritikwürdige Einschüchterung“

Prof. Dr. Anna Katharina Mangold, die das Rechtsgutachten federführend mit erarbeitet hat, sagte gegenüber SIEGESSÄULE: „Meine Hoffnung wäre zunächst, dass das Bundesinnenministerium von seiner meines Erachtens verfassungswidrigen Praxis ablässt und insbesondere das Rundschreiben vom letzten Sommer öffentlichkeitswirksam korrigiert. Des Weiteren erhoffe ich mir, dass die Standesämter auch nicht-binären und transgeschlechtlichen Personen unproblematisch das Verfahren nach § 45b PStG eröffnen. Dafür ist Rechtssicherheit beim ärztlichen Personal nötig, das die Atteste ausstellen soll.“

Denn das BMI hatte zudem behauptet, dass sich Ärzt*innen, die trans* bzw. nicht-binären Personen eine ärztliche Bescheinigung für das Standesamt ausstellen, unter Umständen strafbar machen könnten. Auch dies stellt das Gutachten als falsch heraus. Durch das Rundschreiben des BMI vom April sei „eine rechtsstaatlich kritikwürdige Einschüchterung“ erzeugt worden. Dies könne als ein „Versuch der öffentlichen Gewalt“ wahrgenommen werden, um ärztliches Personal davon abzuhalten, Atteste auszustellen. Mit den Grundrechten von inter- und transgeschlechtlichen Personen sei dies unvereinbar.

Das Vorgehen des Innenministeriums hatte bereits im April für heftige Kritik seitens Vertreter*innen aus Politik und Community gesorgt. Denn – wie jetzt auch im Rechtsgutachten ausgeführt – findet sich der Ausschluss bestimmter Gruppen im Gesetzestext nicht wieder, noch wäre er nach Ansicht vieler Expert*innen verfassungskonform. Auch sei das Innenministerium gegenüber den Standesämtern nicht weisungsbefugt und könne ihnen dementsprechend gar nicht vorschreiben, für welche Personen das Gesetz in Frage komme.

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Update 28. Jan. 2020

Ausweichende Antwort des Innenministeriums

Eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf die Anfrage von SIEGESSÄULE liegt nun vor. Wir hatten gefragt, ob das Innenministerium trotz der im Rechtsgutachten getroffenen Aussage, dass u. a. auch bei transgeschlechtlichen Personen eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt, bei seiner Einschätzung bleibe, dass das Verfahren nach §45b PStG nur intergeschlechtlichen Personen offen stehe.

Auf diese Frage geht das BMI jedoch nicht ein. Es wird lediglich festgestellt, dass das Rechtsgutachten „wie alle Auftragsarbeiten die Auffassung der Autoren“ wiedergebe. Sollte es in bestimmten Fällen „Auslegungsschwierigkeiten“ des neuen Personenstandgesetzes geben, wird auf die Gerichte verwiesen, die darüber verbindlich zu entscheiden haben.

In seiner Antwort signalisiert das BMI somit keine Bereitschaft, auf die im Gutachten formulierten Einwände einzugehen. Personen, die von den Standesämtern abgewiesen werden, müssen ihr Recht wohl weiterhin vor Gericht einklagen.

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