Überwachung

Du suchst Sextoys im Internet und alle können es wissen

12. Dez. 2013
Wer soll wissen, was dieses Ding alles ausspioniert? © olga Meier-Sander/pixelio.de

Wer E-Mails verschlüsselt oder sich Facebook aus Datenschutzgründen verweigert, galt noch bis vor wenigen Monaten als paranoid und wurde milde belächelt. Seit den Enthüllungen durch den Whistleblower Edward Snowden ist klar, dass das Ausmaß an Überwachung durch amerikanische und britische Geheimdienste gigantischer und umfassender ist, als es sich selbst geübte ParanoikerInnen überhaupt ausdenken konnten.

Die Geheimdienste haben nach aktuellem Kenntnisstand Zugriff auf alle Daten, die wir dem Internet unverschlüsselt anvertrauen: Du suchst auf Gayromeo einen Dreier oder im Onlineshop einen Strap-on und Handschellen? Du hast dir auf Lesarion eine kleine Affaire für nebenbei besorgt?

NSA wertet gezielt Pornokonsum aus

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Geheimdienste all diese Infos auf ihren Festplatten speichern: Deine Emails, Chatprotokolle, Social Media-Interaktionen und Googlesuchen liegen vor ihnen wie ein offenes Tagebuch. Und dank der Speicherung von Metadaten wissen sie auch, wann, wo, wie oft und mit wem du online zu Gange bist.

Ende November wurde von der Huffington Post aufgedeckt, dass der US-amerikanische Geheimdienst NSA den Pornokonsum von ausgewählten Zielpersonen auswertet und in Dossiers erfasst. Wie groß die Verlockung ist, Zugriff auf derartige Daten zu haben, ist, haben kleinere NSA-Skandale gezeigt, in denen GeheimdienstmitarbeiterInnen die Technologien nutzten, um Ex-PartnerInnen auszuspionieren. Es gibt also keinen Grund darauf zu hoffen, dass derartige Datensammlungen auf Dauer geheim bleiben und nicht an die Öffentlichkeit gelangen können. Auch die Wikileaks-Affäre, bei der Abertausende Datensätze aus dem Irakkrieg an die Öffentlichkeit gelangten, zeigen, dass Datensicherheit eine Illusion ist.

Rosa Listen oder Freund liest mit…

Der letzte innerdeutsche Skandal um eine Art elektronische „Rosa Liste“ ist kaum acht Jahre her: Die deutsche Polizei-Software IGVP erlaubte es, ZeugInnen mit Schlüsseln wie „Aufenthaltsorte von Homosexuellen“ zu verknüpfen. Noch mehr Ähnlichkeit mit den Homosexuellen-Karteien der 175er-Zeit haben die „Analysis Work Files“ der europäischen Polizeibehörde Europol, in denen Informationen zur „sexuellen Orientierung“ erfasst werden können. Und das auch von Personen, die selbst keinerlei Verbrechens verdächtigt werden. Ob entsprechende Informationen derzeit gesammelt werden, ist öffentlich nicht bekannt.

Um Rosa Listen zu erstellen, braucht es schon längst keine Polizeibehörden oder Geheimdienste mehr. Wir haben mit Facebook und den diversen schwulen oder lesbischen Einwohnermeldeämtern wie Gayromeo, Grindr, Lesarion oder OKCupid ganz veritable Rosa Datenbanken geschaffen, auf die nicht allein Geheimdienste Zugriff haben. Selbst wer dort unter Pseudonym unterwegs ist, ist in der Regel identifizierbar, etwa über die IP-Adresse, dem digitalen Fingerabdruck eines jeden PCs.

Man muss aber keiner Spionagebehörde angehören, um über Mitmenschen Dinge in Erfahrung zu bringen, die einen nichts angehen. Für Hobby-GeheimdienstlerInnen bietet etwa Facebooks neue „Graph Search“-Funktion (in Deutschland noch nicht eingeführt) ganz neue Möglichkeiten. So könnte man sich zum Beispiel sämtliche UserInnen der gesamten Plattform anzeigen, die als Ortsangabe Berlin und im „Interessiert an Männern / Frauen“-Feld das gleiche Geschlecht ausgewählt haben. So ein Outing mag für manche Durchschnitts-Queers kein größeres Problem darstellen, wer aber zum Beispiel bei religiösen Arbeitgebern mit wenig Sinn für Homosexuelles beschäftigt ist, wird an diesem Feature keine Freude haben.

Google kennt unsere intimsten Wünsche, Ängste, Träume und Fantasien

Auch Datingplattformen und Apps lassen viel Sicherheitsspielraum, indem sie nicht die Verschlüsselungstechnologie SSL/TLS verwenden (erkennbar am „S“ hinter dem „http“ in der Browserzeile). Jede Person, die zum Beispiel im Café im selben WLAN-Netzwerk surft, kann mit ein wenig Know-how, das man wiederum bei Google bekommt, Chat-Messages anderer CafébesucherInnen mitlesen oder Profile kapern.

Google selbst schneidet ebenfalls fleißig mit. Wir haben uns daran gewöhnt, dem Suchgiganten unsere intimsten Wünsche, Ängste, Träume und Fantasien anzuvertrauen: „Fisting Video Anfänger“, „Syphilis Symptome“, „Vaginalpilz Hausmittel“ „Cockring XXS“, „Dosierung Ketamin“ etc. – die weltgrößte Suchmaschine hat Einblicke in Angelegenheiten, die wir noch nicht einmal unseren engsten Freunden anvertrauen.

Die Folgen dieser umfassenden Überwachung sind immens: Die EU-Studie „Increasing Resilience in Surveillance Societies“ warnt, dass die präventive Überwachung den rechtsstaatlichen Grundsatz der Unschuldsvermutung untergrabe. Sie führe zu falschen Verdächtigungen, könne soziale Ungleichheit und Rassismus befördern und Bürger- wie Grundrechte unterminieren.

Die Tatsache, dass auch PolitikerInnen und JournalistInnen Ziel von Abhöraktionen waren und womöglich immer noch sind, wirft die Frage auf, welche Auswirkungen das nicht nur auf Privatpersonen, sondern auch auf Politik und Medien hat. Der britische Überwachungsforscher Steve Wright prognostiziert, dass die schiere Masse an gesammelten Informationen den überwachenden Staaten Macht gebe, „die Spielregeln zu ändern. Sie wissen, wie andere Staaten verhandeln wollen, wissen, was in den Schlafzimmern führender Politiker geredet wird, und können dementsprechend die Agenda beeinflussen.“

PolitikerIn oder Privatperson – wer Geheimdienste oder technisch versierte, neugierige Mitmenschen aus dem digitalen Schlafzimmer und anderen Lebensbereichen heraushalten möchte, hat einige Möglichkeiten. Vollständige Sicherheit bieten sie nicht, machen den Datendiebstahl jedoch um einiges schwerer. Hier einige Tipps:
Katrin Kämpf

E-Mails verschlüsseln:

Eine Anleitung zur Email-Verschlüsselung, die man auch ohne Informatikstudium nachvollziehen kann, findet sich hier auf Metronaut:

Anonym im Internet surfen:

Als derzeit verlässlichstes Anonymisierungstool gilt das Anonymisierungsnetzwerk TOR mit seinem TOR-Browserbundle, hier auf torproject.org

Sichere https-Verbindungen erzwingen:

Das Https-Everywhere-Plugin der Electronic Frontier Foundation erzwingt – wo möglich – die verschlüsselte Verbindung via SSL/TLS:

Suchmaschine, die keine privaten Daten speichert:

Eine Suchmaschine, die keine privaten Daten speichert ist Startpage

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