Inszeniertes Selbst. Marta Astfalck-Vietz

In nur einem Jahrzehnt – den sogenannten Goldenen Zwanzigern – erschafft die Künstlerin Marta Astfalck-Vietz (1901–1994) in Berlin ein schillerndes Werk aus Selbstinszenierungen, Akt- und Tanzfotografien sowie experimentellen Bildern. Sie agiert zugleich vor und hinter der Kamera – als Fotografin, Regisseurin und Modell. Humorvoll thematisiert Astfalck-Vietz Geschlechterrollen in der Weimarer Republik und nutzt die Kamera, um selbstbewusst vielfältige Möglichkeiten weiblicher Identität zu zeigen. Mit Masken, theatralischen Posen und grotesken Elementen entwickelt sie einen Stil, der persönliche Introspektion mit gesellschaftspolitischen Themen verbindet.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 widmet sich Marta Astfalck-Vietz verstärkt der Aquarellmalerei sowie Werbe- und Gebrauchsgrafiken. Die Künstlerin sieht davon ab, dem Reichsverband der Deutschen Presse beizutreten und sich den von der nationalsozialistischen Politik vorgegebenen Bildmotiven zu unterwerfen. Sie gibt Zeichen- und Handfertigkeitsunterricht für jüdische Kinder und Jugendliche, denen der Besuch öffentlicher Schulen nicht mehr gestattet ist, und pflegt Kontakte zu antifaschistischen Kreisen um Willi Münzenburg und Kurt Hiller sowie zur queeren Szene um Magnus Hirschfeld, mit dessen Mitarbeiter Richard Linsert und seinem Lebensgefährten Peter Limann sie befreundet ist. Mit dem Journalisten und Aktivisten der Homosexuellenemanzipation Rolf Italiaander verbindet sie eine lebenslange Freundschaft. Bis 1939 überlässt die Künstlerin nachts ihre Dunkelkammer einer Widerstandsgruppe zum Vervielfältigen geheimer Papiere. 1943 wird das Atelier von Astfalck-Vietz durch einen Bombenangriff zerstört.

Im Jahr ihres 50-jährigen Jubiläums widmet die Berlinischen Galerie Marta Astfalck-Vietz eine umfangreiche Einzelausstellung mit über 140 Werken. Mit neuesten Erkenntnissen über die Publikationspraxis der Künstlerin wie auch feministischen Perspektiven präsentieren Ausstellung und Katalog ein bislang weitgehend übersehenes Werk und verorten es kunsthistorisch. In sechs Kapiteln werden die Arbeiten thematisch vorgestellt. Im Mittelpunkt stehen die avantgardistischen Fotografien und erstmalig auch Pflanzenaquarelle, die Astfalck-Vietz bis zu ihrem Lebensende fortlaufend malt.