Prideweek und CSD 2014

Ärsche für die Politik!

11. Juni 2014
© Marcus Witte

Nackte Haut und Spaß – kann man damit politisch sein? Ja, findet Chefredakteurin Christina Reinthal

– „Wir wollen wieder politischer werden“, verkündete in den letzten Monaten des Öfteren der CSD e. V. Und Geschäftsführer Robert Kastl erklärte: Wenn man „CSD“ googelt, werden nackte Ärsche angezeigt, gibt man jedoch „Stonewall“ ein, nicht. Eine seltsame Logik, deren Schluss zu sein scheint: Politik geht nur ohne Ärsche. Mit dieser Meinung ist er nicht allein. Für viele ist der CSD zur Touristenattraktion verkommen, bei der vor allem männliche, gut gebaute Körper zur Schau gestellt werden. Da ist was Wahres dran. Und es stimmt auch, dass der CSD eher schlecht als recht politische Forderungen rüberbringt. Auch nach dem Versuch im letzten Jahr, durch Begrenzung der Werbeflächen auf den Wagen mehr Platz für politische Aussagen zu schaffen, wimmelte es nur so von Logos finanzkräftiger Firmen. Kein Wunder, die Kosten für einen solchen Wagen sind enorm: Startgebühr, Wagen, Musikanlage, Security, Deko – da kommen schnell 8.000 Euro und mehr zusammen. Kleine Projekte können sich das ohne Geld gebende Partner nicht leisten und die wollen gesehen werden: als LGBTI-freundliche Firma, aber auch als Firma, die etwas zu verkaufen hat.Apropos sichtbar sein: Das ist es doch, worum es auch uns geht. Wir wollen als Lesben, Schwule, Trans*, Bis, Queers gesehen werden. Die Knackärsche hindern uns nicht daran. Im Gegenteil: Sie machen uns sichtbar. Es mag die platteste Art sein, aber: Sex sells. Ein gut gebauter, leicht bekleideter Körper erzeugt positive Resonanz. Das ist Biologie oder Psychologie, was auch immer: es funktioniert.Im letzten Jahr war ich zum Pride in Toronto. Kanada ist im Vergleich zu seinem Nachbarn USA nicht ganz so prüde, aber auch nicht die freizügigste aller Nationen. Dort erlebte ich eine wunderbare Mischung aus angezogenen, halb nackten und nackten Menschen. Ich sah nackte Brüste beim Dyke March, aber auch auf der großen Parade. Und ich sah die mit OP-Narben versehenen Silikonbusen von Transmenschen und deren Penisse. Ich sah gut gebaute Rettungsschwimmer in Badehosen, und ich sah die Männer, die mit baumelnden Schwänzen für den Erhalt der Vorhaut demonstrierten. Knackärsche waren auch dabei – viel mehr als bei uns in Berlin. Und dennoch fühlte sich der Pride dort sehr politisch an. Jede der teilnehmenden Gruppen trat für etwas ein: für die Rechte von Trans*menschen, für die Sichtbarkeit von Lesben, aber auch gegen Atomenergie und Umweltverschmutzung. Sie hatten was zu sagen und verströmten dabei ein Community-Gefühl, das mich beeindruckte. Einige von ihnen entsprachen den gängigen Schönheitsidealen, andere nicht. Sie alle hatten ein Lächeln auf dem Gesicht und jede Menge Spaß. Große Wagen gibt es dort nur wenige, stattdessen formieren sich die meisten als Fußgruppen, denn auch sie stecken ihr Geld lieber in ihre eigentliche Arbeit als in einen Wagen mit viel Technik und lauter Musik. „Back to the roots“ bedeutet also nicht weg von den Knackärschen, sondern weg vom finanziell aufwendigen Tamtam. Ein nackter Po kostet nichts, kann aber viel: auffallen, gefallen und gerne auch polarisieren. Happy Pride!  

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