Gegen den Strom
Die preisgekrönten Doku „Julia“ von Regisseurin und SIEGESSÄULE-Fotografin J. Jackie Baier über eine trans*identen Sexarbeiterin startet heute in den Kinos
J. Jackie Baiers Film zeigt ungefiltert und intensiv das Leben von Julia, die von Litauen nach Berlin gekommen ist und auf dem Straßenstrich ihr Geld verdient. Wir haben mit der Filmemacherin und ihrer Protagonistin Julia gesprochen.
Jackie, du hast fürs Fernsehen als freie Regisseurin gearbeitet, hast aber zwischendurch auch mit Sexarbeit dein Geld verdient. Warum? Jackie: Nach meiner Transition habe ich einige Jobs nicht mehr bekommen. Ich hatte Schwierigkeiten, meine Miete zu zahlen, und habe mit Sexarbeit angefangen. Dass ich eine Zeit lang dabei geblieben bin, lag aber auch an einem anderen Grund. Als Transe bist du überall der Freak, ungern gesehen oder höchstens geduldet. Und dann kommen Männer zu dir, weil sie genau so was wie dich suchen und wollen. Das ist natürlich auch ein Kitzel. Ich habe aber irgendwann mit der Sexarbeit aufgehört.
Vor elf Jahren hast du Julia im Puff, in dem ihr beide gearbeitet habt, kennengelernt. Wie ist es dann zu dem Film gekommen? Jackie: Eigentlich habe ich alle im Puff fotografiert, doch zwischen Julia und der Kamera gab es ein besonderes Verhältnis. Wir haben uns dann eine Weile aus den Augen verloren. Als wir uns wiedersahen, arbeitete Julia auf der Straße. Da ich ihr Leben, auch in seiner Härte, sehr spannend finde, habe ich angefangen mit ihr zu drehen. Wir hofften eine Doku fürs Fernsehen zu produzieren. Das hat nicht funktioniert, aber ich konnte und wollte einfach nicht aufhören zu drehen.
Wenn es um trans* geht, ist die Selbstdefinition ein wichtiges Thema.
Welche Begriffe benutzt ihr für euch? Julia: Ich bin eine alte Schlampe. (lacht) Jackie: Ich bezeichne mich bewusst als Transsexuelle, in all der Schärfe des Begriffs, und nicht als Transgender.
Im Film gibt es viele Szenen, die extrem dicht an dir dran sind, Julia. Zum Beispiel, wie du dir Drogen spritzt. Wie ist es für dich, diese Momente auf der Leinwand zu sehen? Julia: Das war für mich kein Problem. Ich nehme das locker. Diese Nähe war natürlich nur möglich, weil Jackie und ich befreundet sind.
Eine deiner ehemaligen Lehrerinnen beschreibt im Film, dass du Potenzial zur bildenden Künstlerin gehabt hättest. Wäre das nicht eine Alternative zur Sexarbeit gewesen? Julia: Nein, das denke ich nicht. Wozu auch? Soll ich auf dem Flohmarkt stehen und mein Geld damit verdienen, irgendwelche Bildchen für ein paar Euro zu verscherbeln? Im Grunde war ich auch nicht so begabt. Die Sexarbeit war damals einfach die beste Wahl und das Einzige, was wirklich im Angebot war.
Interview: kaey
„Julia“, D 2013, R.: J. Jackie Baier, jetzt im Kino
Das ganze Interview mit J. Jackie Baier und Julia gibt es in der aktuellen Ausgabe der Siegessäule. Auch online nachzulesen hier.
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