Trash, Dykes und Eisenstein

Am 05.02. startet die Berlinale, wir stellen euch eine Auswahl der queeren Filme des Festivals vor
Einer der radikalsten Innovatoren des europäischen Kinos meldet sich auf der diesjährigen Berlinale zurück: Peter Greenaway! Ein gutes Jahrzehnt war der Avantgardist vom Radar verschwunden, nachdem selbst treuste Fans seinen Versuchen, Kino als digitales Multimediaspektakel neu zu erfinden, nicht so recht folgen wollten. Sein aktuelles Werk „Eisenstein in Guanajuato“ (Foto), der erste von zwei geplanten Filmen über den schwulen Regisseur Sergej Eisenstein („Panzerkreuzer Potemkin“), tritt jetzt im Wettbewerb den Kampf um den Goldenen Bären an. Dass Greenaway auch die homosexuellen Affären der russischen Regielegende thematisiert, hat im Vorfeld zu Konflikten geführt. Laut der Moscow Times soll das staatliche Filmarchiv Russlands gefordert haben, sämtliche Hinweise auf Eisensteins Homosexualität aus dem Nachfolgefilm zu streichen, ansonsten käme eine Zusammenarbeit nicht infrage. Wie die Geschichte ausgeht, ist im Moment noch offen.
Um 45 Jahre Filmarbeit zu krönen, hatte auch Rosa von Praunheim gehofft, seinen neuen Spielfilm „Härte“ mit Hanno Koffler („Freier Fall“) im Wettbewerb zeigen zu können. Geklappt hat es dann doch nicht, sodass die Geschichte über einen als Kind gequälten und vergewaltigten Karatechampion jetzt das Schwerpunktthema „Missbrauch“ der Sektion Panorama eröffnet. Dort zu sehen ist auch die Doku „Daniel’s World“, die interessanterweise die Perspektive eines pädophilen Mannes einnimmt, der damit umgehen muss, dass er seine Liebe zu kleinen Jungen nie wird ausleben können. Doch der unbeholfene, auf der Stelle tretende Film hat schon nach kurzer Zeit nichts mehr über seinen Protagonisten preiszugeben. Dessen Qualität steht leider auch in diesem Jahr etwas zu symptomatisch fürs Panorama. Ein A-Festival wie die Berlinale braucht einfach bessere Filme.
Erfreulich hingegen, dass es diesmal wieder mehr Kino mit lesbischen Inhalten gibt, darunter Peter Kerns „Der letzte Sommer der Reichen“ mit Ex-Dschungel-Insasse Winfried Glatzeder, die Doku „My Name is Annemarie Schwarzenbach“ über die Schweizer Schriftstellerin und junge Boheme der 20er-, 30er-Jahre und nicht zu vergessen das unterhaltsame Trash-Musical „Dyke Hard“, das den wilden Road-Trip einer Lesben-Band in eine erstaunlich geglückte Hommage an das Kino von John Waters verwandelt und trotz der Zitate durchaus eigenständig ist. Staraufgebot gibt es bei dem Biopic „I am Michael“, in dem James Franco den ehemaligen Schwulenaktivisten Michael Glatze spielt, der nach seiner Bekehrung zum Christentum seine Homosexualität als sündhaft verteufelte. Als sein langjähriger Lebensgefährte tritt Mr. Spock, Zachary Quinto, auf. Trans*themen sind eher spärlich gesät. Zu erwähnen ist hier der Film „The New Man“ über das Leben einer Trans*frau in Uruguay. Im Wettbewerb läuft die albanisch-italienische Literaturverfilmung „Sworn Virgin“, in der die junge Hana eine männliche Identität annimmt. Doch es geht dabei nicht um eine Transition, sondern um einen alten albanischen Brauch, der es Frauen erlaubte, anerkannt als Mann, in männlicher Kleidung, zu leben, wenn zum Beispiel der Stammhalter in einer Familie ausblieb.
Absolutes Highlight der Berlinale ist wie immer die Retrospektive! Unter dem Titel „Glorious Technicolor“ werden zum Teil aufwendig restaurierte Fassungen gezeigt, unter anderem von „The Wizard of Oz“, von Camp-Meisterwerken wie „Duel in the Sun“, „Gentlemen Prefer Blondes“ mit Marilyn Monroe oder „Leave Her to Heaven“ mit Gene Tierney als Kindermörderin. Wer Lust auf wirkliches, aufregendes Kino hat, wird es hier finden.
Andreas Scholz
65. Internationale Filmfestspiele Berlin, 05.–15.02., Filmprogramm unter berlinale.de
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