Haute Couture
Im Rahmen des „Yo! Sissy“-Festivals wird das Electropopduo Hi Fashion zum ersten Mal in Deutschland auftreten
In ihrer Heimat L.A. nicht zuletzt aufgrund ihrer wilden Liveshows ein fester Bestandteil der queeren Musikszene, gelten die beiden Hi-Fashionistas hier als absoluter Geheimtipp. SIEGESSÄULE-Redakteurin Kaey bat Produzent Rick Gradone und Sängerin Jen DM zum Skype-Interview
Wie habt ihr beide euch kennengelernt?
Rick: In einer Schwulenbar in New York. Jen sah aus wie mein erster Freund und ich habe sie ein wenig angeflirtet.
Jen: Damals bin ich oft als Mann durchgegangen. Das lag eventuell an meinem Damenbart.
Rick: Selbst ohne ihren leichten Oberlippenbart wirkte sie recht maskulin.
Jen, dein Erscheinungsbild hat sich seitdem ja ziemlich verändert. Hat das was mit Hi Fashion zu tun?
J: Manchmal fühle ich mich auf der Bühne wie eine Dragqueen. Zumindest nehme ich gerne eine andere Persönlichkeit an, wenn ich auftrete. Es ist einfacher, wenn es etwas Abstand zwischen mir als Privatperson und als Bühnenfigur gibt.
R: In vielen unserer Songs geht es um Beziehungen im weitesten Sinne und oft auch darum, wie man sich selbst darstellt. Das hat dann wiederum auch etwas mit dem Thema Sexualität und Geschlecht zu tun und wir beide fühlen uns nicht sehr wohl damit, nur einen Aspekt dieses großen Spektrums an Möglichkeiten zu repräsentieren. Das bedeutet, dass wir generell, wenn es um die Musik und auch um die Videos geht, sehr kreativ mit den Themen Sexualität und Geschlecht umgehen und viele verschiedene Facetten miteinander mischen.
Wie wichtig sind Dragqueens für die Community?
R: In Amerika ist Drag gerade durch „Ru Paul's Drag Race“ omnipräsent. Oft ist das Weiblichkeitsbild, das von Dragqueens dargestellt wird eine Art Karikatur, fast schon wie eine Anime-Figur. Das Faszinierende daran ist aber, dass genau diese Form es auch vielen schwulen Männern ermöglicht, sich auf einer großen Plattform zu präsentieren. Leider gibt es dann sehr oft Unstimmigkeiten mit der Trans*community. Es ist fast so, als ob man gegeneinander arbeitet und darum kämpft, wer mehr Berechtigung hat. Dabei ist das totaler Unsinn. Beides hat seine Berechtigung, solange sich jeder so ausleben kann wie er oder sie will.

Oft werden eure Songs auch von Dragqueens interpretiert ...
R: Als wir das erste Mal live gesehen haben, wie eine Dragqueen einen unserer Songs performt, haben wir beide Rotz und Wasser geheult.
J: Es war eine Dragqueen in Toronto, mit einem Vollbart. Sie hat Pizzastücke ins Publikum geworfen, während sie mit zwei Background-Tänzern unseren Song „Amazing“ performt hat. Wir konnten es nicht glauben, dass wir es mit unserer Musik bis nach Toronto geschafft haben. Das hätten wie vorher nie zu träumen gewagt.
R: Bis heute ist es eines der größten Komplimente, wenn eine Dragqueen sich so viel Mühe gibt und den Text auswendig lernt und eine Shownummer inszeniert.
Was inspiriert euch für eure Musik?
R: Oft entstehen die Visuals und der Sound gleichzeitig in unseren Köpfen. Manchmal ist die Musik sogar eher zweitranging und nur ein kleiner Aspekt eines größeren Ganzen. Manchmal haben die Songs aber auch einfach ihre eigene Stimme, die dann plötzlich auftaucht und sich verselbständigt, ohne dass man viel hinzufügen müsste.
J: Einige Songs entstehen aus unseren Chat-Konversationen.
R: Wir sind nicht immer am gleichen Ort, simsen uns aber jeden Tag. Aus den kleinen Wortspielereien und Witzen entstehen dann auch manchmal Songs.
Ihr habt mittlerweile zwei EPs veröffentlicht, in diesem Jahr gab es schon mehrere Songs mit dem dazu passendem Video. Heutzutage werden in der Musikindustrie kaum noch komplette Alben produziert. Ist das eine Entwicklung, die ihr vorteilhaft für eure Arbeit findet?
R: Die Musikindustrie hat sich extrem verändert und ich habe den Eindruck, dass die meisten Leute noch immer versuchen herauszufinden, was das zeitgemäße Modell ist, um Musik zu veröffentlichen. Viele Leute konsumieren Musik mittlerweile fast nur noch über Videoplattformen wie Youtube. Es geht also gar nicht mehr ohne Musikvideo. Das alles kostet aber so unglaublich viel Geld und Zeit, dass einige Songs auf der Strecke bleiben und sich nicht entfalten können. Das ging uns oft mit unseren EPs so. Die Musik kam uns irgendwann veraltet vor und wir konnten eh nur für die Hälfte der Songs Videos produzieren.
J: Deshalb lassen wir uns in diesem Jahr auf das Experiment ein, keine EP zu produzieren, sondern nur Songs mit dazugehörigen Videos zu veröffentlichen.
R: Unsere Single „Mother, Sister, Father, Brother“ wird um den 24. Juli erscheinen. Passenderweise ist das genau der Zeitraum, in dem wir in Berlin beim YO!SISSY! Festival auftreten werden.
SIEGESSÄULE präsentiert: Yo! Sissy Music Festival Berlin mit Hi Fashion live, 24.07., 20:00, SchwuZ. Weitere Termine des Festivals: 25.07. und 26.07.
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