Kino

Familienhorror beim Fantasy Filmfest

6. Aug. 2015
Szenenfoto aus Shrew's Nest

Noch bis zum 16. August bietet das gestern im Cinestar am Potsdamer Platz gestartete Fantasy Filmfest wieder feinste Genrewerke, auch fürs queere Auge

Abseitiges Genrekino satt liefert auch in diesem Jahr das Fantasy Filmfest: So wird zum Beispiel von einem König erzählt, der eine innige Beziehung zu einem monströsen Riesenfloh pflegt, von einer Frau, die mit der offenen Wunde an ihrem Bein kommuniziert, oder einer Selbsthilfegruppe für Ex-Besessene, die schon mal einen Dämon in ihrem Körper beherbergten. Der Startschuss für diesen mal mehr, mal weniger hintergründigen Irrsinn fiel gestern Abend im Cinestar am Potsdamer Platz. Eröffnet wurde das 29. Fantasy Filmfest, das noch bis zum Sonntag nächster Woche läuft, mit der britischen Mediensatire „Kill your Friends“. Selbst wenn im Gegensatz zum letzten Jahr konkret queere Filme fehlen, gibt es auch 2015 fürs LGBTI-Publikum jede Menge zu entdecken.

Alles andere als ein Gütesiegel stellt das moderne spanische Gothic-Drama „Shrew's Nest“ (09.08., 16:15, spanische OmeU) tradierten Familienmodellen aus, denn für die tragischen Ereignisse im Film ist hier maßgeblich ein von patriarichalen Strukturen geprägtes Elternhaus verantwortlich. Die unter Agoraphobie leidende Montse kann ihre Wohnung nicht verlassen und wird zusätzlich gequält von Visionen, die sie mit dem dominanten, mittlerweile verstorbenen Vater konfrontieren. Als dann auch noch ein schwer verletzter Fremder vor der Tür auftaucht und um Hilfe bittet, knallt die altjüngferliche Montse endgültig durch. Ihre Zuneigung zu dem jungen Mann, den sie kurzerhand in ihrer Wohnung einsperrt, gerät derart obsessiv, dass sich bald eine Spirale der Gewalt in Gang setzt. Nicht nur die großartige Performance von Macarena Gomez lässt den im Franco-Spanien der 50er-Jahre angesiedelten Film zu einem, wenn nicht dem Favoriten des diesjährigen Festivals werden. Daran beteiligt sind auch das Regieduo Juanfer Andrés und Esteban Roel, die das alptraumhafte Geschehen auf der Leinwand mit einem doppelten Boden ausstaffiert haben und so weht hier die dunkle von Militärdiktatur und strenger Kirchenmoral geprägte Geschichte des Landes, ohne direkt angesprochen zu werden, äußerst frostig und elegisch durch die Bilder.

Klassiche Horrordramen à la „Shrew's Nest“ sind in diesem Jahr wieder auf dem Vormarsch, ein richtiger Trend zeichnet sich allerdings nicht ab. Es regiert die Vielfalt! Der französische Filmemacher Quentin Dupieux, der unter dem Namen Mr. Oizo auch als Musiker bekannt ist, erweist sich in „Reality“ (07.08., 18:30, englische OV) erneut als Fachmann fürs Absurde. In seiner surrealistischen Komödie träumt u. a. ein Schulrektor von einem Trip im Militärjeep, gekleidet als Frau. Ziemlich magenunfreundlich wird es bei dem garstigen „Excess Flesh“ (12.08., 16:30, englische OV), der sich äußerst überspitzt dem Thema Essstörungen annimmt. Eine junge Frau, die wegen zwei, drei Pfunden zuviel auf den Rippen gemobbt wird, setzt ihre mit Modelmaßen gesegnete Zimmergenossin einer Tortur mit Fressorgien, Verstümmelung, Zwangsernährung und bizarrer Erotik aus.

Einige Namen fallen ins Auge, die man auch aus queeren Filmen kennt: Pit Bukowski zum Beispiel. Er spielte in „Der Samurai“, dem Debütfilm des schwulen Regisseurs Till Kleinert, einen Killer in Drag, der die homophoben Einwohner eines Dorfes mit einem Samuraischwert massakriert. Diesmal ist der in Berlin lebende Schauspieler in der deutschen Groteske „Der Bunker“ (13.08., 20:45, deutsche OmU) zu sehen, wo er sich als Student bei einer seltsamen Familie in ihrem bunkerhaften Heim einmietet. Dort verdingt er sich u. a. als Privatlehrer des achtjährigen Klaus, gespielt von dem mehr als 20 Jahre älteren Daniel Fripan. 

Der Brite Bernard Rose wurde bekannt als Regisseur des legendären Musikvideos zu Frankie goes to Hollywoods „Relax“, dessen Bilder von S/M-Szenerien und einem schwulen Nachtclub in den 80ern noch provokativ genug waren, um für einen Skandal zu sorgen. Sein bedeutendes Interview mit Derek Jarman lieferte die Grundlage für die Doku „Derek“ (2008), die das Leben des 1994 an Aids verstorbenen Gay-Rights-Aktivisten und schwulen Filmemachers nachzeichnet. Darüber hinaus kennt man Bernard Rose aber vor allem aufgrund seiner Horrorfilme wie „Paperhouse“ (1988) oder „Candyman's Fluch“ (1992), zu denen sich jetzt eine moderne Version von „Frankenstein“ (12.08., 23:00, englische OV) gesellt, die die Story hübsch blutig, ganz ohne CGI, aber laut Programmheft auch mit ziemlichem Kitsch-Faktor neu erzählt.

Keinesfalls entgehen lassen sollte man sich Matteo Garrones die Grenze zum Horrorkino immer wieder überschreitenden Fantasyfilm „Tale of Tales“ (08.08., 20:15, englische OV), der am 27. August offiziell in deutschen Kinos anläuft und beim Filmfest zuvor als Special Screening zu sehen ist. Aus dem Märchenband „Das Märchen der Märchen“ des neapolitanischen Hofpoeten Giambattista Basile wählte Garrone einige Erzählungen aus und verwob sie zu einer filmischen Fantasie, die diese Bezeichnung mehr als verdient. Neben dem Spektakel seltsamer Kreaturen wie Seemonster oder Riesenflöhe hat der italienische Filmemacher aus der literarischen Vorlage eine komplexe wie visuell überwältigende mythische Welt erschaffen, die inhaltlich reich und in jeder Minute glaubhaft ist.

Andreas Scholz

Fantasy Filmfest, 05.08.-16.08., Cinestar am Potsdamer Platz, vollständiges Programm unter fantasyfilmfest.com

Folge uns auf Instagram

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.