Raus aus der Nische

Andrew Haighs neuer Film „45 Years“ ist am Montag bei MonGay zu sehen. SIEGESSÄULE hat mit dem schwulen Filmemacher gesprochen
– Mit dem Drama „Weekend“ (2011), das einen erfrischend zeitgemäßen Blick auf die Romanze zweier schwuler Männer wirft, gelang Andrew Haigh ein veritabler Indie-Hit. Für die gefeierte schwule TV-Serie „Looking“ (2014) war der Brite als Regisseur und Drehbuchautor tätig. In seinem neuen Film „45 Years“ erzählt er jetzt von einer Frau, die nach 45 Jahren Ehe zu zweifeln beginnt, ob ihr Mann sie je wirklich geliebt hat. SIEGESSÄULE sprach mit dem Filmemacher
Bei der Berlinale wurde „45 Years“ vom Publikum wie von der Presse enthusiastisch gefeiert. Hat dich das mit dem Festival wieder versöhnt, nachdem man seinerzeit „Weekend“ abgelehnt hatte? Absolut! (lacht) Auch wenn mich das damals sehr enttäuscht hat. Bei der Arbeit an einem Film habe ich keinerlei Gefühl dafür, wie das fertige Werk beim Publikum ankommen wird. Deshalb ist eine Premiere, zumal wenn sie an einem so wichtigen Ort wie der Berlinale stattfindet, sehr nervenaufreibend. Ich war dementsprechend erleichtert, dass der Film gut aufgenommen wurde.
„45 Years“ ist dein erstes Regieprojekt, in dem keine schwule Geschichte erzählt wird. Hast du genug von der Thematik oder möchtest du verhindern in eine Schublade gesteckt zu werden und als schlecht bezahlter „schwuler Filmemacher“ zu enden? Ich will nicht sagen, dass ich grundsätzlich damit durch bin. Mich interessieren aber einfach sehr viele Dinge und eben nicht nur schwule Geschichten. Abgesehen davon ist für mich beispielsweise „Weekend“ kein schwuler Film, nur weil er zufälligerweise von einer Beziehung zwischen zwei Männern handelt. Aber du hast recht, man muss aufpassen nicht in einer Nische zu landen, denn dadurch wird das Publikum, das man damit erreichen kann, leider immer noch stark begrenzt. Das ist sehr frustrierend.
Hättest du die Geschichte von „45 Years“ denn auch mit einem Männerpaar erzählen können? Ich denke, das wäre möglich gewesen. Die Ansicht, dass Heteros und Schwule, was ihre Sehnsüchte und Bedürfnisse angeht, grundsätzlich verschieden sind, fand ich immer schon recht seltsam. Das stimmt einfach nicht.
Gibt es für dich keinen Unterschied im Erleben von Intimität, Sexualität und Beziehungen zwischen homo- und heterosexuellen Menschen? Alle Beziehungen sind kompliziert. Dennoch gibt es natürlich einen sehr wichtigen Unterschied. Schwule, lesbische und Transgender-Jugendliche haben in ihrem direkten Umfeld oder in den Medien meist keine Vorbilder für gleichgeschlechtliche Beziehungsformen. Stattdessen durchleben sie Zeiten der Angst und der Verunsicherung, bis sie mit ihrer Sexualität im Reinen sind. Insofern kommen schon noch ein paar Komplikationen dazu.
In „Weekend“ und „Looking“ dominieren nicht mehr klassische schwule Filmthemen wie Coming-out oder traumatische Diskriminierungserfahrungen den Plot, sondern es geht um weit alltäglichere Dinge. Einige Filmenthusiasten feiern diese Arbeiten bereits als den Beginn eines neuen Kapitels des Queer Cinema. Mich freut es natürlich, dass sie das so sehen. Allerdings weiß ich, dass andere sich die Geschichten grundsätzlich größer, schwungvoller und melodramatischer wünschen. Mich interessiert das allerdings nicht. In der Tat haben wir mit „Looking“ versucht, das ganz alltägliche Leben in Beziehungen zu zeigen und dabei das Drama so gering wie möglich zu halten.
Brauchen wir überhaupt noch Filme oder Fernsehserien, die sich vor allem an ein queeres Publikum richten und dessen Geschichten erzählen? Ich denke, es ist ein wünschenswerter Luxus, auch weiterhin diese Nische zu haben. Doch je mehr das schwule Leben Teil des Mainstreams wird, desto weniger Bedarf wird es an solchen Produktionen geben. Entscheidend wird sein, dass es sich um besondere, persönliche Geschichten handelt und dass Filme entstehen, die wahrhaftig sind und zu ihrer eigenen Sprache finden.
Interview: Axel Schock
SIEGESSÄULE präsentiert:
MonGay: 45 Years, UK 2015, R.: Andrew Haigh, mit Charlotte Rampling und Tom Courtenay, 07.09., 22:00, Kino International, der Film läuft dort als Non Gay Favourite
Ab 10.09. im Kino
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