Musik

Dancer In The Dark: Asbjørn in Concert

3. Nov. 2015
© Ezgi Polat

Mit gerade mal 23 Jahren veröffentlicht der dänische Sänger, Songwriter und Produzent Asbjørn nun bereits sein zweites Album. Am 05.11. präsentiert er es in der Kantine am Berghain

03.11 – „Sunken Ships“, das 2012er Debüt Asbjørns, erzählte vom Herauswachsen aus der eigenen Haut. Vom heimlichen Auskotzen verdorbener Knochen am Fluss. Von der Sehnsucht nach versoffenen Seemännern. Vom Herumstreunen im Wald und in der Gosse. Musikalisch hatte er hier bereits zu einer Stimme gefunden, die der eines Thom Yorke ähnlich und doch ganz eigen ist. Eine fragile Präsenz, die tanzt wie ein taumelnder Boxer, die verspricht, uns zu nahe zu kommen, ohne uns Schaden zuzufügen. 18 Jahre alt war er da.

„Mich fasziniert, was der Mensch macht, wenn er mit sich allein ist, wenn er glaubt, dass ihm keiner zusieht. Die erste Platte war eine Spielwiese. Es gab noch kein Publikum, das Erwartungen hat. Ich wollte reifer sein, als ich eigentlich war, und hab mich von all den großen Bildern blenden lassen“, erzählt er im Interview mit SIEGESSÄULE. Wenn Asbjørn mit sich allein ist, tanzt er. Ob beim Aufwärmen für einen Auftritt, bei den Aufnahmen seiner Demos, beim Warten an einer Bushaltestelle oder irgendwo draußen in der Wildnis: „Tanzen ist eine Droge für mich, kein Abdriften, vielmehr eine intensive Erfahrung von Intimität. Selbst wenn es im Nachhinein illusionär wirkt – solange ich es fühle, ist es wirklich. Intentionen spielen da keine Rolle.“ „Pseudo Visions“ nennt der 23-Jährige diesen Zustand innerer Euphorie mit einem Schuss heftiger Melancholie. Sein gleichnamiges, am 06.11. auf dem Berliner Label Sinnbus erscheinendes zweites Album ist anspruchsvoller Pop, der groovt und manchmal die Grenze zum Kitsch überschreitet. Die Texte erzählen eine Entwicklungsgeschichte. Ein Konzeptalbum, das er als Produkt der Interaktion mit seinem Publikum begreift, denn mit dem setzt nämlich Reflexion ein. Und Veränderung. Auf Tour konnte Asbjørn herausfinden, welche Elemente seiner Kunst auf Resonanz stoßen.

Schon als Junge fühlte er sich von Frauen inspiriert und imitierte sie leidenschaftlich. Die liberalen Eltern ermutigten ihn, seine feminine Seite auszuleben, glaubten sogar, er wünsche sich eine Transition. „Frauen sind meine Vorbilder! Im Pop sind sie den Männern im Ausdruck einer selbstbewussten sexuellen Identität weit voraus. Sie mussten sich diesen Ausdruck erkämpfen, während die Männer noch immer in Posen verharren.“ Vom Aufbrechen solcher Posen handelt der aufregend vielschichtige Song „Skywalker“: Asbjørn will zerschlagen und wieder zusammengesetzt werden, weil er sich selbst fremd geworden ist. Auf „Pseudo Visions“ erzählt er auch von vielgestaltiger männlicher Zurückweisung: Brüder, die seinen Küsschen ausweichen. Liebhaber, die in der Öffentlichkeit keine Emotionen zeigen. Partner, die ihn für eine Frau verlassen. Aber da ist auch eine Kraft, eine sich auf sich selbst besinnende Kraft, die so nur in der Einsamkeit wächst, eine Kraft, die sagt: ‚Ich bin nicht wie meine Brüder!‘ Im Interview erklärt er, dass er sich manchmal noch immer wie ein Teenager fühlt, gleichzeitig begreift er sich als kalkulierenden Record-Label-Boss.

Facetten, die er auf dem Debüt zugunsten eines artifiziellen Images versteckt hatte. Seit einem Jahr lebt der gebürtige Däne in Berlin und ist dankbar für die Offenheit, mit der er hier empfangen wurde. In seinen Videos tanzt er nun nicht mehr allein, sondern vermählt sich mit einer nächtlichen Community. Mit „Pseudo Visions“ erfährt er seine Blüte als Nachtschwärmer. Wer sich davon überzeugen will, hat am 05.11. in der Berghain Kantine dazu Gelegenheit, wo er das Album live vorstellen wird. Aber der nächste Kokon wartet schon. Es wird spannend zu sehen, wie Asbjørn diesen Knochen wieder auskotzt und Yoko-Ono-gleich über weniger sicheres Eis spaziert … 

Josa Sesink

Asbjørn live, 05.11., 21:00, Kantine am Berghain

Asbjørn: Pseudo Visions (Sinnbus), ab dem 06.11. erhältlich

Folge uns auf Instagram

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.