Teenieschwarm: Troye Sivans erstes Album

YouTube-Star, Schauspieler und Sänger Troye Sivan veröffentlicht sein erstes Album „Blue Neighbourhood“
04.12 – Troye Sivan hat alles, was ein Teenieschwarm braucht: waidwunde Rehaugen, sinnliche Lippen, samtige Schmachtstimme, Millionen von Followern auf YouTube, Instagram, Tumblr und anderen Internetplattformen, eine Rolle in „X-Men Origins: Wolverine“, Teilnahme am australischen „Starsearch“ – eben genau das, was man heute braucht, um heterosexuelle Mädchenherzen höherschlagen zu lassen. Kleiner Twist in der Geschichte: Troye ist schwul. Aber so was von. Und das haut der 20-Jährige auch gerne mal so ganz fett raus.
2013 hatte er mit einem rührenden Vlogger-Video sein Coming-out und brach so rigoros mit den Gesetzen der Branche, denn einen blutjungen, hübschen und talentierten Jungschauspieler, Sänger und YouTube-Star könnte die Unterhaltungsindustrie eigentlich viel besser verwursten, wenn er nicht offen schwul wäre. Etliche Entertainment-Schrankhomos vor ihm haben das bewiesen. Punkt für Troye. Aber ausnahmsweise auch mal ein Punkt für den Branchenriesen Universal Music, der den jungen australisch-südafrikanischen Künstler auch noch ein paar wirklich niedliche schwule Musikvideos produzieren ließ. Die Clips zu seinen Singles „Wild“, „Fools“ und „Talk Me Down“ – zwei davon auf seiner Top-10-EP „Wild“ – erzählen aufeinanderfolgend die tragische Liebesgeschichte zweier Boys. In der Hauptrolle natürlich Troye selbst.
LGBTI-Themen sind omnipräsent, vor allem natürlich in Interviews, die seine Homosexualität selten außen vor lassen. Troye spricht beherzt zum Thema und blickt bereits über den Tellerrand der rein schwulen Selbstfindung hinaus. So interessiere er sich vor allem für Trans*-Themen, sagte er kürzlich in einem Interview, und wolle dieser Community zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Kommt da etwa noch ein Coming-out? Wer weiß. In jedem Fall kommt nun erst mal am 4. Dezember mit „Blue Neighbourhood“ das erste Album des jungen Künstlers, der vom Time Magazine zu einem der „25 einflussreichsten Teenager“ des Jahres 2014
gekürt wurde.
Wer jetzt aufgrund dieser recht massentauglichen künstlerischen Vita ein schlampig und lieblos hingerotztes Chartspop-Album voller Kommerzscheiße erwartet hat, wird eines Besseren belehrt. Gemeinsam mit Produzenten wie Emile Haynie (Lana Del Rey, Bruno Mars) und diversen SongwriterInnen schuf der Teenager – zum Zeitpunkt der Aufnahmen war Troye gerade mal 19 – einen zwar radiotauglich-kommerziellen, aber keinesfalls platten elektronischen R’n’B-Sound, der kaum näher am Zeitgeist der Popmusik sein könnte. So finden sich in Songs wie „Wild“, „Lost Boy“ oder der neuen Single „Talk Me Down“ verwaschene Dreampop-Einflüsse, das von einer beinahe religiösen Aura umwehte, dunkle „Bite“ – ein Song, der von Troyes ersten Erfahrungen in der schwulen Subkultur berichtet – erinnert an Künstler wie Sohn und überrascht durch schnatternde Witch-House-Drums. Ganz großes Kino auch das melodiöse, von wummernden elektronischen Basslinien vorangetriebene „Youth“, das sich im Refrain zu einer pathetischen
Pop-meets-Trap-Blüte entfaltet. „My youth is yours“ singt Troye so schmachtend in dieser eskapistisch-kitschigen Teenager-Phantasie, dass man als Enddreißiger vor Neid ganz grün werden könnte.
„Blue Neighbourhood“ nimmt generell häufig diese ganz bestimmte Perspektive eines jungen Menschen ein, den es hinaus in die Welt treibt, der mit Themen wie Verlangen, Sehnsucht und Liebe zwar vordergründig souverän, aber gleichzeitig noch ziemlich erstaunt umgeht. Ein Mensch am Anfang seiner Entwicklung, ein junger Schwuler auf dem Weg ins Leben: „I’m just a lost boy ready to be found.“ Troye Sivan ist der homosexuelle Posterboy, auf den wir gewartet haben, und „Blue Neighbourhood“ sicherlich eines der Chartspop-Alben des scheidenden Jahres.
Jan Noll
Troye Sivan
Blue Neighbourhood
(EMI/Universal), ab dem 04.12.
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