Film

Lesbisches S/M-Drama: „The Duke of Burgundy“

3. Dez. 2015

Die britische Regie-Hoffnung Peter Strickland („Berberian Sound Studio“) überrascht mit dem stilistisch und inhaltlich beeindruckenden lesbischen S/M-Drama „The Duke of Burgundy“

– „The Duke of Burgundy“ greift auf filmische Traditionen zurück, die nicht gerade zu den klassischen Ingredienzen eines modernen, emanzipierten Lesbenkinos gehören. Sein visuelles Spielfeld sind die Sexploitationfilme der 70er, in denen weichgezeichneter, lesbischer Sex vor allem fürs männliche Auge inszeniert wurde, und der italienische Giallo-Thriller mit seinen knalligen Mordsequenzen und der fetischisierten, sexuell motivierten Gewalt gegen Frauen.

Bereits die Titelsequenz mit ihren blutroten, farbverfremdeten Standbildern einer jungen Frau, den Großaufnahmen von Insekten, unterlegt mit ätherischem Dream Pop, zitiert die morbid-märchenhafte Motivwelt der Gialli. Regisseur Peter Strickland lässt darin aber keine maskierten Mörder auftreten, sondern erzählt eine komplexe und subtil beobachtete lesbische Beziehungsstudie, die geprägt von S/M-Ritualen das Thema Sex und Gewalt berührt.

Am Beginn des Films betritt die junge Frau aus der Titelsequenz – offensichtlich ein Dienstmädchen – eine herrschaftliche Villa. Die Hausherrin reagiert schroff auf die schüchterne Frau, weist sie an,  den Boden zu schrubben und behandelt sie wie eine Sklavin. Als dem Dienstmädchen bei der Arbeit ein Fehler unterläuft, bekommt es den Mund mit Seife ausgespült. Doch der Schein trügt. Diese Demütigung ist Teil eines Liebes- und Rollenspiels zwischen Cynthia und Evelyn: zwei Insektenforscherinnen, die das aus der Zeit gefallene, von Efeu überwucherte Anwesen bewohnen. Der Akt wurde von der Masochistin Evelyn genau geplant und entworfen. Im Grunde ist sie die Herrin in diesem Spiel. Auf immer aggressivere Weise zwingt sie im Laufe des Films ihre Freundin in die Rolle der Peinigerin, wenn sie sich wünscht als menschliche Toilette „missbraucht“ oder gefesselt in eine sargähnliche Kiste gesperrt zu werden. Cynthia wird zur Sadistin weniger aus Veranlagung als aus Liebe, auch wenn sie an den täglich sich wiederholenden Rollenspielen und Ritualen, denen sie kaum mehr gerecht werden kann, zu verzweifeln beginnt.

Diese Situation schreit danach, in einer Katastrophe zu enden. Doch wo im Giallo irgendwann kalte, scharfe Messer Körper zerschneiden, verweigert Strickland die Eskalation. In seinem stillen, langsam erzählten Film verschieben sich die diffizilen Machtstrukturen in dieser Beziehung immer wieder aufs Neue, bleiben unvorhersehbar. Statt sich gegenseitig mit ihren unterschiedlichen Begierden zu zerstören, kämpfen diese beiden so eindringlich gezeichneten Heldinnen um den Bestand ihrer Liebe.

Es sind also weniger die Leichenberge, die Strickland am Giallo und am europäischen Horrorkino der 70er interessieren, vielmehr versucht er in seinen eleganten Bildern der rätselhaft-surrealen Atmosphäre, der Sinnlichkeit und abgründigen Poesie dieser Filme habhaft zu werden. Etwas schwer Greifbares, dessen Essenz hier aber äußerst präzise geradezu herausseziert wird. Dass dabei durchaus auch emanzipiertes Lesbenkino entsteht, liegt zum Teil an Stricklands konsequenter Hinterfragung des eigenen männlichen Blicks. Im ganzen Film tritt kein einziger Mann auf wie auch keine andere Figur, die diese Beziehung und die Sexualität der Frauen kommentieren oder infrage stellen würde. Und während der Konflikt des Films auf den unterschiedlichen sexuellen Bedürfnissen zweier Menschen beruht, erscheinen die sadomasochis- tischen Neigungen selbst als etwas vollkommen Selbstverständliches, das keiner Rechtfertigung bedarf und nicht voyeuristisch ausgeleuchtet wird.

Nach einem ziemlich mageren Jahr fürs queere Kino endet es mit den hervorragenden Filmen „Eisenstein in Guanajuato“, „Carol“ und „The Duke of Burgundy“ geradezu mit einem Paukenschlag. So darf es gerne weitergehen: Hoffentlich ein gutes Omen für 2016.

Andreas Scholz

The Duke of Burgundy, UK/H 2014, Regie: Peter Strickland
auf DVD

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