BÜHNE

Lale Lokum und die anderen

15. Feb. 2016

SIEGESSÄULE-Autorin Lena Braun (Foto) kennt die Künstlerinnen und Künstler Berlins. Einer ihrer Lieblinge ist Cihangir, der in seinem neuen Programm auch seine Paraderolle Lale Lokum wieder aufleben lässt

Ich kenne Cihangir Gümüştürkmen schon eine Weile, so wie ich viele Stars, Sternchen, Möchtegern-Alleskönner und tatsächliche Überflieger im Gespräch und auf der Bühne schon genossen habe. Aber ich bleibe längst nicht an allen dran, denn ich liebe einzig die Ausnahmeerscheinung. Und Cihangir ist so eine. Dieser Zeitgenosse, Mitbegründer des legendären „Salon Oriental“, der  „Gayhane“-Party und Pionier des orientalischen Tanzvarietés, ist so gut wie der einzige lebende Comedian, der in seinen Soloprogrammen die eigene Herkunft und sexuelle Orientierung mit glamourösem Witz verreißt.

Cihangir ist in der internationalen Bauchtanzszene ein Superstar, er braucht sich um Bookings nicht zu kümmern, er wird eingeladen. Aber man bucht ihn nicht nur, weil er wunderschön ist und in extravaganten Fummeln unterhält, obwohl beides zutrifft, sondern weil er in seinen Soloprogrammen Bühnencharaktere wie Lale Lokum erfindet, die in bester Pop-Manier die eigene Befindlichkeit und die der Welt in schreiend bunte Kontraste hüllt. Ich lechze nach den politisch nicht korrekten Scherzen eines Cihangir, denn ich kann die leidenden Gutmenschen und die unfehlbaren Bühnenschwäne, zum Gähnen langweilig in ihrer Selbstverliebtheit, nicht mehr ertragen. Da identifiziere ich mich doch lieber transidentisch mit einem schwulen Türken, der in seinem neuen Programm Witze über die Wechseljahre reißt, entblößend wie Enthaarungspflaster, die wahre Schönheit nackter Tatsachen freilegend. Cihangir persifliert seine unglaublichen Erlebnisse als türkisches Einwandererkind, und während er tanzt, singt und sich lachend zum „Multi-Papst“ erhebt, spielt er aufs Anmutigste Pingpong mit den Ängsten seines Publikums; doch tut er das nicht mit einem harten, hohlen, konventionellen kleinen Plastikbällchen, nein, seine Worte sind kandierte Paradiesäpfel fürs Volk: Fang’ die süße Wahrheit, schluck die bittre Pille darin!

Und spätestens wenn Cihangir dann einige Songs von Cem Karacas LP „Die Kanaken“ intoniert (dem einzigen deutschsprachigen Album des türkischen Rockmusikers Cem Karaca – seine Band war 1984 der erste türkische Act, der ein Album bei einem deutschen Label auf den Markt brachte), wird klar, dass mit dem Begriff „Würde“ bei Cihangir keine gut dosierte Zutat im Gewürzregal gemeint ist, sondern dass sie als Ganzkörperkondom daherkommt und zudem aus Pailletten besteht, auch wenn sie als Wert durch die Umstände – seien sie nun politischer oder privater Natur – aus der Form geraten ist. Ich freu mich auf Lale Lokum.

Lena Braun

„Wechseljahre einer Bauchtänzerin“ mit Cihangir Gümüştürkmen, 18.–20.02., 20:00, ufaFabrik

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