Musik

Loving the Alien: Grimes im Interview

14. Feb. 2016
Grimes © Rankin

Am 17.02. tritt die kanadische Pop-Künstlerin in Berlin im Astra auf

Mit „Visions“ veröffentlichte die kanadische Künstlerin Grimes 2012 das wohl zeitgeistigste Musikwerk der frühen 10er-Jahre: zu Hause mit Billigsoftware aufgenommene, poppig-düstere Electrogespinste. Der Hype ging durch die Decke. Ende 2015 meldete sie sich mit dem Album „Art Angels“ zurück, auf dem sie lustvoll die Schallgrenze zum Mainstream durchbricht. Marcel Anders traf sie zum Gespräch

Grimes, „Art Angels“ hat einen deutlich besseren Sound als seine Vorgänger – würdest du sagen, dass es sich um dein erstes Profialbum handelt? Es ist definitiv das erste Album, das ich als Musikerin gemacht habe. Davor habe ich nur wild herumexperimentiert. Sprich: Es war ein reines Hobby, und ich hatte keine Ahnung, was ich tue. Als die ersten Alben erschienen, konnte ich kein einziges Instrument spielen und hatte keine Ahnung von der Technik. Ich war eine absolute Dilettantin.

Einige der neuen Stücke sind sehr poppig – allen voran „California“. Deswegen hätte ich es auch fast nicht mit aufs Album genommen – einfach weil ich es für zu poppig halte. Aber ich mochte den Gesang. Ich habe regelrecht geweint, als ich das Stück eingesungen habe. Und es war in zwei Stunden fertig – also es hat sich quasi wie von selbst geschrieben und gesungen. Außerdem scheint es jedem, der es hört, zu gefallen.

Du hast einen Alienkopf als Tattoo auf der linken Hand. Hattest du mal eine Begegnung der dritten Art? Ich weiß nicht, ob ich schon eine hatte. Aber ich habe definitiv das Gefühl, dass sie unter uns sind. Schließlich trifft man jeden Tag so viele merkwürdige Leute, die unmöglich echte Menschen sein können, da muss es sich schon um Aliens handeln. Ich meine, wer sind wir, dass wir ernsthaft denken, wir wären allein im Universum? Das erscheint mir nicht glaubhaft. Als ich ein Teenager war, hielt ich Marilyn Manson für einen Alien. Einfach, weil er irre aussah und unglaublich intensiv war.

Also hat Marilyn Manson dir Türen geöffnet? Oh ja, ganz bestimmt sogar.

Inwiefern? Ich bin ein Mädchen aus gutem Hause, also mit viel Geld und sehr konservativen Ansichten groß geworden. Aber ich bin nie wirklich gut mit meiner Umgebung klargekommen. Deshalb war ich eine Außenseiterin und habe mich mit anderen angefreundet, denen es genauso ging. Den Goths und Punks. Und mein Soundtrack zu dieser Zeit war halt Marilyn Manson. Ein Typ, der zu wissen schien, was ich durchmache, der als Kind die gleichen Probleme hatte und der darüber gesungen hat, sich zur Wehr zu setzen und seine Wut auszuleben. Das fand ich unglaublich cool und sexy. Und es hat mich ermutigt, es ihm gleichzutun.

Wie kannst du dann gleichzeitig ein Fan von Mariah Carey sein? (lacht) Ich bin zwar mit alternativer Musik aufgewachsen, aber als ich 20 war, wurde mir klar: Eigentlich ist es dämlich, Popmusik ohne jeden Grund zu hassen. Also fing ich kurz vor den Aufnahmen zu „Visions“ an, Britney Spears und Mariah zu hören, was mir vorher nie in den Sinn gekommen wäre. Aber als ich ihnen eine Chance gegeben habe, hat mich das fast umgehauen. Nach dem Motto: „Wow, ist das gut!“ (lacht) Keine Ahnung, warum ich plötzlich so empfunden habe. Davor war ich diese dumme, verzogene Göre, die sich hingestellt und gesagt hat: „Scheiß auf Popmusik! Ich hasse alles, was im Radio läuft.“ Ich war sehr ignorant.

Allerdings scheint es nicht gut anzukommen, wenn du Mariah in deine DJ-Sets integrierst. Beim Auftritt im Boiler Room hat dir das massig Hasspost beschert. Dabei ist es auf der Party ziemlich gut angekommen! Mir ist erst hinterher bewusst geworden, für welche Dramen das gesorgt hat. Da waren etliche Leute, die sich im Internet heftig über mich beschwert haben. Wozu ich nur sagen kann, dass ich nie vorgegeben habe, dass ich minimalistischen Techno spiele. Das ist nicht mein Stil. Und der Club wusste schon, worauf er sich bei mir einlässt.

Was allerdings dafür gesorgt hat, dass du fast ein Jahr nicht mehr gebucht wurdest … Es hat meiner Karriere definitiv geschadet – zumindest der als DJ. Was ziemlich übel ist, weil die Reaktionen komplett überzogen waren. Da waren echt Menschen, die meinten: „Die spielt einfach Kram von ihrem iPod.“ Dabei habe ich richtig aufgelegt. Es waren halt nur keine Sachen, die normalerweise im Boiler Room laufen – und das war wohl mein Fehler. Allerdings nur in den Augen derjenigen, die das Ganze zu Hause am Bildschirm verfolgt haben, weil es nämlich im Internet gestreamt wurde. Und da kann ich nur fragen: Wer schaut sich ein DJ-Set an – alleine vor dem Computer? Das ist doch krank!

Angeblich bist du ein Fan von Dschingis Khan. Ja, und ich sehe ihn ganz anders als die meisten Menschen. Er hat die Kriegsführung neu erfunden, er kümmerte sich um das, was man heute Tierschutz nennt. Er hat zum Beispiel keine Tiere während der Paarungszeit getötet. Außerdem stand er für eine Gleichheit der Geschlechter, weil Frauen ebenfalls gejagt und Pferde geritten haben. Natürlich weiß ich auch, dass er für das tiefste Mittelalter verantwortlich ist. Eben weil er Europa, das islamische Imperium und China überrollt hat. Von daher sage ich nicht, dass er gut war, aber doch interessant. Und ich finde es lustig, wenn Leute empört sagen: „Tiefstes Mittelalter!“ Ja, das Mittelalter beruhte darauf, dass Dschingis Khan jeden getötet und alle Kulturen zerstört hat, die sich ihm nicht unterwerfen wollten. Er hat alle Universitäten dem Boden gleichgemacht. Was ich aus soziologischer Sicht sehr interessant finde. Genau wie die Tatsache, dass es bei ihm kein Klassensystem, keine Vetternwirtschaft und keine Erbfolge gab. Man musste sich beweisen und wurde einzig nach seinen Fähigkeiten bewertet.

Wie denken deine Eltern über dein neues Album? Bislang haben sie es noch nicht gehört. Und um ehrlich zu sein, ist es mir mittlerweile auch egal, was sie denken. Sie haben mehrfach deutlich gemacht, dass sie mit meinem Lebenswandel und meiner Kunst nichts anfangen können und beides ablehnen. Einfach, weil sie so engstirnig und verbohrt sind. Ich habe bei meinem Vater sogar das Gefühl, dass es ihm lieber wäre, wenn ich keinen Erfolg hätte – einfach, weil ihm mein Auftreten und Aussehen peinlich sind.

Das klingt sehr traurig. Ist es auch. Aber: Was soll ich dagegen tun? Ich werde mich nicht seinen Ansichten und Werten unterordnen, um ihn zufriedenzustellen. Und das gilt für alles, was ich tue: Ich will mich nicht anpassen und anbiedern. Ich will einfach nur ich sein und keinem gehören: keinem Genre, keinen Fans, keinem Label, keinem Produzenten.

Interview: Marcel Anders

Grimes live, 17.02.16, 20:00, Astra

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