Berlin

Ein kraftvolles Zeichen: Carnival Al-Lajiìn_Al-Lajiàat

18. März 2016
© My Right Is Your Right

Das Bündnis My Right Is Your Right ruft dazu auf, am Sonntag, den 20.03. beim „Karneval der Geflüchteten“ gegen die Ungleichbehandlung von Menschen zu demonstrieren

Vor zwei Jahren ging aus den Protesten von Geflüchteten und ihrem Eintreten für fundamentale Rechte das Bündnis My Right Is Your Right hervor, in dem sich Kulturinstitutionen, Aktivist*innen und Anwält*innen zusammengeschlossen haben. In einem offenen Brief an die „Bevölkerung von Berlin“ betonen sie: „Über 25 Jahre nach dem Fall der Mauer ist Berlin immer noch und wieder geteilt. Die Mauer ist nicht aus Beton, sie trennt nicht Ost und West. Sie verläuft mitten durch unsere Bezirke und Straßen: eine unsichtbare Mauer zwischen jenen, die volle Rechte genießen und jenen, die aufgrund ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltsstatus von grundlegenden Rechten ausgeschlossen werden.“ Um gegen diese Ungleichbehandlung zu demonstrieren, rufen sie am 20.03. zum „Carnival Al-Lajiìn_Al-Lajiàat“ (Karneval der Geflüchteten). Die Schaubühne am Lehniner Platz ist Teil dieses Bündnisses und organisiert einen Wagen für den Carnival. Dieser steht unter dem Motto des Rechts auf ein Leben in Würde, insbesondere im Hinblick auf LGBTIQ-Geflüchtete. Wir sprachen mit dem leitenden Dramaturg Florian Borchmeyer über die Aktion.

Das Bündnis My Right Is Your Right ruft zum Karneval der Geflüchteten auf. Seit wann gehört die Schaubühne zu diesem Bündnis und warum hat sie sich ihm angeschlossen?
Die Schaubühne gehört seit dem Herbst 2014 zu My Right is Your Right! Angeschlossen haben wir uns dem Netzwerk im Vorfeld einer Demonstration zum Internationalen Aktionstag gegen Rassismus am 21. März vor einem Jahr, an die der Carnival Al-Lajiìn nun anknüpft. Unser Ziel war und ist es, zusammen mit den anderen Berliner Theatern, aber auch einer großen Gruppe von anderen Vertretern der Zivilgesellschaft – darunter Geflüchtete, Aktivist*innen, Jurist*innen, Kirchenvertreter*innen, Gewerkschafter*innen und Vereine – auf die Situation der Flüchtlinge in Deutschland sowie das Scheitern der Asylpolitik in Europa hinzuweisen und uns gemeinsam in die Berliner Flüchtlingspolitik einzumischen. Ein Ziel, das gerade durch die Ereignisse der letzten Monate weiter an Brisanz gewonnen hat. Da ein Theater wie die Schaubühne durch sein Stammpublikum eine große Zahl von Zuschauern direkt anspricht, wurde es bald auch unser Ziel, in unserem Haus für die Geflüchteten und das Bündnis eine Öffentlichkeit zu schaffen: etwa durch Präsentation ihrer Forderungen und Spendensammlung im Rahmen unseres Festivals FIND; durch theaterpraktische Workshops mit Geflüchteten oder den Auftritt der selbstorganisierten Geflüchteten-Theatergruppe „Refugees Club Impulse“ an unserer Spielstätte.

Wie engagieren Sie persönlich sich in Bezug auf die Situation von Geflüchteten?
Derzeit insbesondere im Rahmen des Netzwerks My Right is Your Right! und dem Engagement unseres Theaters innerhalb dieses Bündnisses. Seit einigen Monaten bin ich in der gemeinsamen Planungsgruppe des Carnival Al-Lajiìn tätig, in der das Programm, die Route, die Aktionen während der gesamten Veranstaltung koordiniert werden. Während des Umzugs bin ich für die Logistik des von der Schaubühne ausgerichteten Wagens verantwortlich. Ein berühmter brasilianischer Karnevalist sagte einmal: „Karneval ist eine ernste Angelegenheit“. Wie wahr dieser Satz ist, merke ich gerade: All das bereitet eine etwas unerwartete Menge an Arbeit und Aufgaben. Darüber hinaus habe ich mich privat auch an Spendenaktionen, Kleidersammlungen etc. für Geflüchtete beteiligt. Doch mir scheint, besonders wichtig sind in der jetzigen Situation politische Aktionen, die über den humanitären Aspekt hinaus dazu beitragen, dass ein Wandel in der Gesellschaft stattfindet. Dass Geflüchteten innerhalb der Gesellschaft selbst zu Handelnden werden, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, selbst zum Teil der Zivilgesellschaft werden: das „self-empowerment“, das auch eine der zentralen Ziele von My Right Is Your Right! darstellt. 

Warum ist es Ihnen wichtig, dass die Schaubühne bei dieser Demonstration mit einem Wagen vertreten ist?
Die Schaubühne verbindet mit allen teilnehmenden Theatern ein gemeinsames Motiv, um ein Wort unserer Freunde vom Grips–Theater zu zitieren: „Menschenfreundlichkeit und Solidarität nicht  nur von der Bühne herab zu predigen, sondern auch als Teil der Zivilgesellschaft in die Öffentlichkeit zu tragen.“ Deshalb richten wir beim Carnival einen Wagen aus. Eigentlich aber handelt es sich nicht um einen Wagen der Schaubühne, denn er wird gestaltet von Geflüchteten. Wir Theater – und unter uns insbesondere die Kollegen der technischen Gewerke, die sich beim Aufbau des Wagens engagieren, für den Ton sorgen, den Wagen fahren – stellen beim Carnival Al–Lajiìn in erster Linie unsere Struktur, unsere Kenntnisse und technischen Möglichkeiten zur Verfügung, um Geflüchteten eine öffentlich Plattform zu bieten; um dabei mitzuhelfen, dass sie ihre Stimme erheben, sich die Straße nehmen. Letztlich ist ja ein Karneval auch eine Theaterproduktion, oder umgekehrt Theater ein Karneval. Bei beidem verkleidet man sich, schlüpft in Rollen, benötigt Bühnenbild, Technik, Arbeitskräfte und eine Disposition, die das koordiniert. Davon verstehen wir als Theater etwas, und wir möchten es für die Forderungen der Geflüchteten einbringen.

Wer organisiert, bespielt, schmückt den Wagen und was genau wird da passieren?
Die Organisation und Gestaltung findet in enger Kooperation mit selbstorganisierten Geflüchteten-Organisationen wie dem afghanischen Kulturzentrum und dem WE ARE BORN FREE Empowerment Radio statt, daneben engagieren sich auch zahlreiche Berliner Künstler*innen aus dem Umfeld der Schaubühne und von My Right is your Right, um den Wagen mit Leben, Aktionen, Musik, Performances füllen. Dabei greifen sie auch auf den Fundus unseres Hauses zurück. Gemeinsam haben wir die Abteilungen aufgerufen, zum ersten Mal überhaupt einen Carnival-Wagen auszustatten. So gibt es viel Gold, viel Blau und viele Kettenvorhänge aus Bühnenbildern bekannter Inszenierungen, die viele Schaubühnen-Besucher sicher wiederkennen werden. Das WE ARE BORN FREE Empowerment Radio sendet seine Inhalte und umrahmt alles – u.a. einen queeren Vogeltanz, eine mehrsprachige Performance von geflüchteten Jugendlichen und die erste Präsentation der „Syrienmonologe“ von Schauspielern der Schaubühne. Das afghanische Kulturzentrum Berlin wird u.a. dem Publikum den ATTAN-Tanz beibringen, und weitere programmatische Reden und Live-Musik-Acts wechseln sich ab. Alle, die hier sicht- und hörbar werden, betonen die Forderung des Wagens: Das Recht auf ein Leben in Würde und Selbstbestimmung!

Vor allem aber steht der Wagen im Kontext der mit den anderen Teilnehmern des Bündnisses gestalteten Aktionen des gesamten Umzuges: Um 12 Uhr findet am Platz der Luftbrücke ein gemeinsames Camp statt, bei dem Masken, Verkleidungen, Musikinstrumente gebaut werden, Lieder und Tanzschritte eingeübt werden, bevor der Zug sich um 14 Uhr in Bewegung setzt. Auf der Bergmannstraße findet ein kollektives Radio-Ballett statt, eine „Übung in nichtbestimmungsgemäßem Verweilen im gemeinsamen Raum“. In der Gneisenaustraße (ca. 15h) bringen wir die arabische Erzähltradition des hakawati auf den Carnival: Unzählige Erzähler werden in Mitten des Carnival-Zugs Geschichten von Flucht und Repression zu Gehör bringen. Auf der Skalitzer Straße (ca. 16.15h) werden wir uns zu DANCE CODES, gemeinsam in zu Beginn eingeübten Tanzschritten vorwärts bewegen. Auf der Reichenbergerstraße (ca. 17.15h) synchronisieren die Demoteilnehmer in Kooperation mit LIGNA Übungen in nichtbestimmungsgemäßem Verweilen im Rahmen eines Radio-Balletts. Die Ohlauer Straße (ca. 17.45h) wird der Zug in slow motion durchqueren, so grüßen wir solidarisch die Geflüchteten in der Gerhart-Hauptmann-Schule. Gegen 18:30 Uhr erreichen wir die musikalisch begleitete Abschlusskundgebung auf dem Spreewaldplatz. Im Anschluss an die Demo findet im Yaam ein Konzert mit Livebands und DJs statt.*

Mit ihrem Wagen möchte die Schaubühne besonders auch auf LGBTIQ-Geflüchtete aufmerksam machen. Warum ist gerade das so im Fokus für Sie? Eine der zentralen Forderungen von My Right Is Your Right! ist das Eintreten gegen Sexismus. Eine weitere Forderung, zugleich das Motto unseres gemeinsamen Wagens, ist die nach einem Recht auf ein Leben in Würde:  „Life in dignity“. Beide Forderungen sind untrennbar miteinander verknüpft. Für ein Leben in Würde ist der Respekt vor der sexuellen Identität jedes einzelnen unabdingbar. Nicht zufälligerweise sind der antimuslimische Rassismus sowie die Forderung, Geflüchtete auszugrenzen und gar auf sie zu schießen, und die Hetze gegen LGBTIQ-Menschen in gleichem Maße Zentralthemen der neuen Rechten. Parteien wie die AfD in Deutschland oder Organisationen wie die „Demo für alle“ in verschiedenen Ländern Europas wollen bedeutende Teile unserer Mitmenschen von einem Leben in Würde ausschließen. Gegen diese neue Rechte und ihr menschenverachtendes Weltbild setzt sich die  Schaubühne ein, auf der Straße wie auch in ihrer künstlerischen Arbeit, so etwa in Falk Richters Inszenierung „FEAR“, die in dieser Spielzeit Premiere hatte und aus rechten Kreisen heftig angefeindet wurde – bis hin zu Gewalt- und Morddrohungen. Eine Erfahrung, die derzeit viele machen, die dem Menschenbild der neuen Rechten nicht entsprechen. Solchen Aggressionen und Übergriffen sind  LGBTIQ-Geflüchtete ganz besonders ausgesetzt. Genau deshalb aber ist es wichtig, dass wir uns von den rechten Hasspredigern nicht einschüchtern lassen. Wir alle, die wir von einem gleichen Recht auf ein Leben in Würde für alle Menschen überzeugt sind, müssen uns gerade in der jetzigen Situation solidarisieren und zeigen, dass wir gemeinsam die Mehrheit sind. 

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Florian Borchmeyer © Kay Itting

Interview: Christina Reinthal

* Aufgrund einer Änderung des Routenverlaufs wurden die Aussagen zum Ablauf am 19.03. noch einmal überarbeitet

Carnival Al-Lajiìn, 20.03., 14:00, Hermannplatz

Abschlusskundgebung 18:00, Spreewaldplatz

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