Gedenken

„Nur wenige Betroffene berichteten von ihrem Leiden im KZ“

16. Apr. 2016
Willi Heckmann 1916 © Cinetarium Babelsberg

Professor Klaus Stanjek spricht auf der Gedenkfeier für die homosexuellen NS-Opfer im KZ Sachsenhausen am 17.04. Seinem damals wegen Homosexualität inhaftierten Onkel hat er mit dem Film „Klänge des Verschweigens“ ein Denkmal gesetzt

Bei der Gedenkfeier anlässlich des 71. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen steht das Schicksal der im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Mittelpunkt. Die Hauptrede wird Prof. Klaus Stanjek halten, dessen Onkel Willi Heckmann wegen Homosexualität in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen inhaftiert war. Über ihn hat Stanjek den Dokumentarfilm „Klänge des Verschweigens“ gedreht, in dem er das Verschweigen und Verdrängen der Verfolgung innerhalb der Familie aufarbeitet. Wir haben ihn per E-Mail dazu befragt.

Sie werden bei der Gedenkfeier die zentrale Ansprache halten.  Warum steht in diesem Jahr das Gedenken an die homosexuellen Opfer im Mittelpunkt der Feier?
Seit einiger Zeit erhalten populistische Demagogen in Deutschland und Europa mehr Zulauf mit ihren kruden, teilweise inhumanen Thesen.  Deutlich zugenommen hat auch die Tendenz, die Nationalsozialisten zu verharmlosen. Beim Gedenken an die Repression in der Nazizeit wurden die homosexuellen Opfer in den vergangenen Jahren nicht immer ausreichend beachtet. Deshalb ist ein besonderer Fokus am Sonntag angemessen.

Sie haben mit „Klänge des Verschweigens“ einen Film über ihren homosexuellen Onkel Willi Heckmann, der im KZ inhaftiert war, gemacht. Wie sah das Leben für ihn oder auch andere Inhaftierte, die mit dem rosa Winkel gekennzeichnet waren, aus?
Von Willi Heckmann habe ich leider nur sehr wenig über seine KZ-Zeit erfahren. Daher musste ich mühsam mit Hilfe anderer Lagerinsassen, mit Hilfe von Historikern und den wenigen verfügbaren Dokumenten rekonstruieren, was dort mit den „Rosa-Winkel-Häftlingen“ geschehen ist. Insgesamt waren mindestens 5.000 bis 8.000 schwule Männer ab 1933 in den Lagern, manche Schätzungen gehen höher. Aber die Nazis haben die meisten Akten vor Kriegsende vernichtet, weil sie offenbar Sanktionen der Sieger fürchteten. Innerhalb der Lager müssen die Schwulen Männer wohl vielen Herabwürdigungen und Beschimpfungen ausgesetzt gewesen sein. Vom Lager Mauthausen, wo mein Onkel fünfeinhalb Jahre lang gefangen war, kennt man eine ganze Reihe von Spottnamen für die Schwulen: z.B. „die am 17. Mai Geborenen“ (wegen § 175). Der Soziologe Sofsky beschrieb in seinem Buch „Die Ordnung des Terrors“, dass den Schwulen innerhalb der Lagerhierarchie eine relativ niedrige Position zugewiesen war. Die SS muss die Rosa-Winkel-Häftlinge offenbar ziemlich schikaniert haben.
Mein Onkel selbst hat sich zumindest im Lager Mauthausen mit Hilfe seiner Musikbegabung sehr früh eine ungewöhnlich privilegierte Stellung verschafft. Da er bald schon für die SS-Lagerleitung persönlich musiziert hat, bekam er mehr zu essen und wurde geschont. Letztlich wurde er so zum „Musiksklaven“, der jederzeit zum Musizieren antreten musste, auch bei Hinrichtungen.
Nach dem Ende des Krieges und der Entlassung aus dem KZ war er - wie die anderen Mitgefangenen - ein „KaZettler“ und erfuhr wahrscheinlich wenig Respekt oder Mitgefühl von der übrigen Bevölkerung. Speziell die Schwulen wurden jahrzehntelang weiter diskriminiert, erhielten keinerlei Haftentschädigung und mussten in der Regel ihre sexuelle Identität verschleiern, da sie von der Mehrheit der Bevölkerung missachtet wurden. Kurz vor seinem Tod im März 1995 wurde der § 175 erst vollständig aufgehoben. Ich hoffe sehr, dass er das noch wahrnehmen konnte.

Ihr Onkel wollte nie über diese Zeit reden. Warum war das so schwierig für ihn? Und warum war dieses Thema auch in der Familie ein Tabu?
Ein Grund dürfte gewesen sein, dass er in den 8 Jahren im KZ so unglaublich viel Schreckliches erlebt hat, dass ihn selbst die eigene Erinnerung daran schmerzen musste. Im Lager selbst hatte er andererseits eine relativ bevorzugte Stellung, wegen der er sich eventuell den Mithäftlingen gegenüber schämte. Dass er in der Nachkriegszeit auf größeres Verständnis seiner Umgebung rechnen könnte, war außerdem bestimmt nicht gegeben.
Meine Familie (vor allem meine Mutter = seine Halbschwester) hat sich nach dem Krieg um ihn gekümmert, bis er 1964 eine Frau geheiratet hat. Allerdings war meine Mutter in einem schweren inneren Konflikt, da sie in der Nazizeit innerhalb des Bundes Deutscher Mädel (BDM) engagiert war, dort Karriere machte, und sich von diesen Erlebnissen lange Zeit nicht distanzieren wollte (oder konnte). Während meine Schwester und ich, die wir beide in den 68er-Jahren studiert hatten, kritisch auf jedwede nationalsozialistischen Tendenzen reagierten, versuchten unsere Eltern, die Gespräche darüber abzublocken. Mein Onkel selbst, mit dem wir von klein auf zusammen waren, wollte offenbar nichts über seine sexuellen Vorlieben erzählen. Sicherlich wegen der weit verbreiteten Missachtung der Schwulen, aber auch wegen der Dauerblockade meiner Eltern.

Wie schätzen Sie die Aufarbeitung der Verbrechen an den homosexuellen NS-Opfern ein? Ist aus ihrer Sicht das Thema in den letzten Jahren stärker in den Fokus gerückt und wie fortgeschritten ist der Stand der Forschungsarbeit? Wo liegen die Probleme bei der Aufarbeitung?
Es gab zwar seit ca. 15 Jahren eine Reihe von speziellen Forschungen. Allerdings stießen die Wissenschaftler meistens auf die ähnlichen Probleme: nur wenige Betroffene berichteten von ihren Leiden im KZ, nur wenige Angehörige waren bereit, Auskunft zu geben. Und in den Archiven fehlen die entscheidenden Akten von Verhören, Prozessen oder Berichten über schwule Gefangene. Beispielsweise sind sämtliche GESTAPO-Akten der Stadt München, in der die Schwulenverfolgung besonders exzessiv betrieben worden war, vor Kriegsende vernichtet worden. Und wenn doch Akten vorliegen, steht oft noch der Datenschutz im Weg. In der Öffentlichkeit scheint das Thema Homosexuellenverfolgung nicht sehr stark Beachtung zu finden. Ich wundere mich auch, dass nur so wenige Dokumentarfilme darüber existieren - neben „Verzaubert“ (1992) und „Paragraph 175“ (1999) und ein paar kleineren Filmen - und jetzt eben "Klänge des Verschweigens".
Noch deutlich weniger Forschungsergebnisse scheinen allerdings über die Verfolgung von Lesben, von Bi- und Transsexuellen zu existieren.

Interview: Andreas Scholz

Gedenkstätte Sachsenhausen, Sonntag, 17. April 2016, Straße der Nationen 22, 16515 Oranienburg

14:00, Haupttor: Begrüßung durch Prof. Dr. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten

14:20, ehem. Block 14: Gedenkfeier für die Rosa-Winkel-Häftlinge

Ansprache: Alexander Zinn, Mitglied im Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Musikalische Begleitung: Chor „Männer-Minne“

15:00 Kranzniederlegung im Zellenbauhof – Tafel für die homosexuellen Opfer

15:30 Zentrale Gedenkfeier: Ansprache von Prof. Klaus Stanjek

„Klänge des Verschweigens“ ist beim Label Neue Visionen auf DVD erschienen und u. a. hier erhältlich

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