Vom Wabern im Unkonkreten: Gaucks Rhetorik

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich auch für Homo-Rechte eingesetzt. Dass er auf eine zweite Amtszeit verzichtet, ist für die Community dennoch kein großer Verlust
Die Presse hat weitgehend mit Bedauern auf Joachim Gaucks Entschluss reagiert, nicht für eine weitere Amtszeit als Bundespräsident zu kandidieren. Ein großer Demokrat sei er, dazu ein brillanter Rhetoriker, der das von seinem Vorgänger Christian Wulff ramponierte Amt wieder aufpoliert habe. Queer.de titelte zudem: „Gauck ist der bislang beste Bundespräsident für Schwule und Lesben.“ Der Grund: seine Äußerungen zu Homo-Rechten. So lobte er zum Beispiel die Iren für ihr Ja zur Ehe für alle, kritisierte bei einem Staatsbesuch in Indien, dass Homosexualität im Land wieder unter Strafe stehe oder betonte bei einer Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat, dass Menschenrechtsverletzungen gegenüber Homosexuellen nicht durch den Verweis auf traditionelle Werte zu rechtfertigen seien. Das sind keine Kleinigkeiten, auch wenn seine Worte manchmal klarer formuliert hätten sein können und Homo-Politik nicht ganz oben auf seiner Agenda steht.
Aber da tummelten sich bisher schließlich die ganz großen Grundsatzfragen, an denen er eine seiner Spezialitäten durchexerzierte: Das sprachliche Herumwabern im Unkonkreten. Wenn es stimmt, dass die größte Waffe eines deutschen Bundespräsidenten seine Worte sind, dann hat Gauck à la Rambo oft einfach nur draufgehalten. Irgendwen werden sie schon treffen. Und martialisch ging es zu: Gauck wollte immer, dass wir – sein Volk – für irgendetwas kämpfen, zum Beispiel für eine abstrakte Vorstellung von Freiheit, die zwar nicht nach den sozialen Bedingungen derselbigen fragte, aber über die man in TV-Talkshows endlos diskutieren konnte. Egal, Lanz gefiel's! Hauptsache, es wird wieder für etwas gekämpft und jemand übernimmt in diesem selbstsüchtigen, hedonistischen Deutschland mal Verantwortung.
Gauck forderte mehr militärisches Engagement von den Deutschen, um sich den Verbrechern und Despoten dieser Welt entgegenzustellen. Und kritisierte, dass es für unsere „glückssüchtige Gesellschaft“ schwer zu ertragen sei, dass es wieder deutsche Gefallene gibt. Warum genau er zu den Waffen rief, gegen wen und für wen da ins Feld gezogen werden sollte, überließ er der freien Interpretation. Dafür ließ es sich so schön im Pathos der eigenen Worte baden. Martin Reeh von der taz antwortete in einem Kommentar: „Wer Kriege für notwendig hält, muss zumindest ihre Gründe, Ziele, Einsatz- und Exit-Optionen genau definieren.“ Dahergeschwafelte Sonntagsreden sind dafür wohl kaum ein Ersatz und sie verbieten sich auch, wenn es um Menschenleben geht. Gauck ging und geht es um den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Und so ist wohl auch seine Antwort zu verstehen auf eine Frage beim Evangelischen Kirchentag zur Ehe-Öffnung für Schwule und Lesben: Er sei für alles, was Menschen befreie und aus ihrer Entfremdung löse. Etwas verklausuliert ausgedrückt, aber übersetzt heißt das doch, dass er sich für die Gleichstellung ausspricht, damit Schwule und Lesben nicht länger mit der Gesellschaft im Widerspruch stehen. Und dann? Ist der nächste Schritt, dass alle vereint im caesarschen Wir der Gauckschen Rede für eine irgendwie geartete Freiheit kämpfen – gern auch mit der Waffe – und sich bloß nicht ihrem verantwortunglosen Streben nach Glück überlassen? Oder so ähnlich? Schwer zu sagen, denn querbeet setzte Gauck seine Signale.
Er fand, dass Sarrazin mit der Veröffentlichung von „Deutschland schafft sich ab" Mut bewiesen habe, da er bestehende Probleme offen anspreche. Die biologistischen Thesen in dessen Buch lehnte er allerdings ab. Gelesen hatte er es wohl auch nicht. Die Sexismus-Debatte um den Fall Brüderle spielte er als Tugendfuror herunter. Eine besonders gravierende Fehlhaltung von Männern gegen Frauen könne er hierzulande nicht feststellen. Als sich daraufhin Protest regte, suchte er den Dialog und betonte auf einmal die Notwendigkeit einer engagierten Diskussion über den Alltags-Sexismus in der Gesellschaft. Mit dem Satz seines Vorgängers „Der Islam gehört zu Deutschland“ fremdelte er, wenn er auch seine Intention annehmen wollte. In Sachen Religion hätte sich der Theologe differenziertere Aussagen von Wulff gewünscht, auch wenn er diese selbst oft genug schuldig blieb. Viel Sensibilität zeigte er jedenfalls auch im Umgang mit diesem Thema nicht.
Gauck gab sich widersprüchlich, manchmal wirr und seine Aussagen wirkten oft unüberlegt. Er mag vielleicht ein einnehmender Redner sein, aber einen brillanten Rhetoriker, Denker und großen Demokraten habe ich dabei nicht entdecken können.
Andreas Scholz
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