Schwule Fußballer: Straight Acting statt Abseits

Stefan Heissenberger schreibt seine Dissertation über ein bislang noch wenig erforschtes Phänomen: „Schwuler* Fußball. Eine Ethnografie“. SIEGESSÄULE.DE befragte ihn dazu
Der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftler Stefan Heissenberger promoviert zum Thema „Schwuler* Fußball. Eine Ethnografie“. Grund genug für SIEGESSÄULE.DE, ihm ein paar Fragen zu stellen.
Du schreibst eine Dissertation zum Thema schwuler Fußball. Warum? Damit ich mich über einen so langen Zeitraum mit etwas intensiv beschäftigen kann, muss das Ergebnis meiner Arbeit das Potential haben, zu einer Transformation gesellschaftlicher Missstände beizutragen. Beim Thema „schwuler Fußball“ ging es mir darum, ein differenziertes Bild zu zeichnen, um dadurch Stereotype zu humanisieren. Zudem gibt es so gut wie keine empirischen Arbeiten über Schwule im Fußball. Somit konnte ich auch eine wissenschaftliche Leerstelle füllen.
Es geht vor allem um den schwullesbischen Verein SSL Vorspiel in Berlin. Warum gerade der? Das hatte pragmatische Gründe. Ich war im Rahmen eines Erasmus-Semesters schon 2010 in Berlin. Ich mochte die Stadt und kannte ein paar Leute hier. Da es in Österreich, meiner Heimat, keine schwulen Fußballteams gibt, richtete ich meinen Blick zuerst nach Berlin. Es bestand aber keine Notwendigkeit hierher zu kommen. Ich hätte auch nach Köln oder München zur Forschung gehen können. Zudem hatte der damalige Abteilungsleiter von Vorspiel, Ralf Zimmermann, offen und freundlich auf meine Ansinnen reagiert. Mittlerweile will ich nicht mehr weg von der Stadt und auch nicht von Vorspiel. Meine Forschung ist schon vorbei, bei Vorspiel bin ich immer noch.
Glaubst du, dass es einen Unterschied gibt zwischen Homophobie im lesbischen Fußball und Homophobie im schwulen Fußball?
Mit Sicherheit. Die Argumentationslogik ist eine andere. Fußballerinnen wird per se unterstellt, dass sie lesbisch sind. Wenn ihr doing gender zu dem nur in Ansätzen „männlich“ wirkt, dann werden sie als Kampflesben beschimpft. Viele Eltern haben zudem Angst, wenn sie ihre Töchter zum Fußball schicken, dass die dann lesbisch nach Hause kommen. Innerhalb von Frauenteams herrscht ein offenerer und toleranterer Umgang mit diesem Thema als in Männerteams. Fußballer heteronormativer Mannschaften gelten hingegen per se als heterosexuell. Hier gibt es auch eine fest verankerte homophobe Sprache, die sich etwa im „schwulen Pass“ ausdrückt. Das ist jedoch kein exklusives Problem des Fußballs, sondern ein gesamtgesellschaftliches, wenngleich es in dieser Sportart offener zu Tage tritt.
Was muss passieren, damit das Thema Homosexualität in der Fußballwelt endlich enttabuisiert wird? Ich glaube, es ist schon einiges passiert. Die Tendenz geht auf jeden Fall in die richtige Richtung. In den letzten 20 Jahren ist ein stetiger, wenngleich auch langsamer, Rückgang von Homophobie in der Gesellschaft zu beobachten – was nicht mit einem Verschwinden gleichzusetzen ist. Das hat auch, zwar verzögert, Einfluss auf den Fußball. Ab den 2000er-Jahren gibt es hier ein zunehmend mediales Interesse. Durch das Coming-out von Thomas Hitzlsperger hat der schwule Fußballer zudem ein prominentes und respektables Gesicht bekommen. Aus meinen eigenen Forschungen kann ich zudem der Tendenz nach auch Positives berichten. Die meisten schwulen Amateur-Spieler, die ich zu den Erfahrungen ihres (teilweisen) Coming-outs in heteronormativen Teams befragte, berichteten von neutralen bis positiven Erfahrungen. Was nicht heißt, dass das immer so ablaufen muss. Es gibt auch Fälle, in denen ein Spieler nach seinem Coming-out aus dem Team geworfen wurde. Was ich damit aber sagen will ist, dass das Schreckensszenario, das Medien und Wissenschaft lange Zeit zeichneten, wonach ein Coming-out eines aktiven Spielers im Fußball unmöglich wäre, so nicht zutreffend ist. Ich glaube sogar, dass sich durch diese Berichterstattung viele Schwule im Fußball entmutigt fühlen, offen mit ihrer sexuellen Identität umzugehen. Gleichzeitig sehe ich es aber auch kritisch, wenn alle politischen Bemühungen auf das individuelle Coming-out abzielen. Es muss auch strukturell etwas passieren. So müssten etwa Trainer in ihrer Ausbildung, unabhängig ob sie so einen „Fall“ in ihrer Mannschaft haben, ernsthaft für dieses Thema sensibilisiert werden. Zudem muss auch ein kritischer Blick darauf gerichtet werden, wem dieser neuer Respekt eigentlich gilt. Im Moment ist es so, dass Schwule, die ein straight acting betreiben und gut kicken können, im heutigen Hetero-Fußball durchaus reüssieren können. Was fußballhistorisch betrachtet als großer Fortschritt zu begreifen ist. Bei jenen, mit einem tuntigen Habitus als schärfsten Kontrast und/oder mäßig talentierten Spielern, sieht das jedoch anders aus.
Interview: Christina Reinthal

Stefan Heissenberger (Foto) promoviert demnächst am Wiener Institut für Kultur- und Sozialanthropologie bei Andre Gingrich, Titel seiner Dissertation: „Schwuler* Fußball. Eine Ethnografie“. Für die Dissertation hat er als Spieler-Trainer 16 Monate bei SSL Vorspiel Berlin geforscht. Heissenberger war u.a. Stipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und hatte Lehraufträge an der HU Berlin sowie an der FU Berlin. Wissenschaftliche Publikationen v.a. zu Fußball, Geschlecht, Männlichkeit, Humor und Methodik.
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