Kommentar

Eine Galerie skurriler Kuriositäten: Die Berliner Wahlkampfplakate

14. Aug. 2016

Mehr Krampf als Kunst bei den Motiven für den Stimmenfang ... SIEGESSÄULE-Autor Daniel Call hat sich in der Stadt umgesehen

Berlin ist ja Kunst. Irgendwie. Sagt man doch so. Und jetzt, zu Wahlkampfzeiten, verwandelt sich die ganze Stadt in eine herrliche Galerie skurriler Kuriositäten, die teils schrill, teils muttihaft Inhalte suggerieren, die uns zum Kreuz an gewollter Stelle kriechen lassen sollen. 

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Besonders fallen einem dabei die emsig plakatierenden Piraten ins Auge, die zwar in Umfragen nicht mehr messbar sind, aber die letzte Kohle munter für bunte Bilder verschleudern. So ist beispielsweise Bruno Kramm zu bewundern, seit den späten Achtzigern Teil des Goth-Projekts „Das Ich“ (auffällig geworden durch die Scheibe „Gottes Tod“) und 2014 Vorsitzender der hiesigen Polit-Freibeuter, der, wie ein vom Joker gefickter Charlie Rivel unter Acid, rotäugig den Slogan „So kannste doch nicht zur Arbeit“ auf den Asphalt spuckt und für ein allgemeines Grundeinkommen wirbt. Unbenommen witzig. Kollege Simon Kowalewski, der mit der Regenbogen-Wallefrise, lächelt wie die böse Schwiegermutti der Jacobs-Krönung-Frau und möchte „Fahrscheinlos ins Parlament“. Na denn, gute Fahrt. Dass er Platz 5 der Landesliste belegt, stimmt heiter nachdenklich: Die Optimisten haben tatsächlich 5+ Leute zusammengekratzt? Die Kandidaten sind also deckungsgleich mit der zu erwartenden Wählerschaft.

Gleich danach kommen unsere Lieblingsirren von der AfD, die mit schreiend unfreiwilliger Komik ein Gesicht mit dem Spruch „Berlin braucht Blau“ präsentieren – Wow, ihr habt Recht(s), ihr Bügelnazis: Man muss echt sturzblau sein, um für euch zu stimmen. Auf einem anderen Wisch mokiert sich ein Kiffer darüber, dass sein marokkanischer Dealer mehr Kohle vom Staat kriegt als er – also wählt der Drogi AfD. Rischtisch – besoffen und bekifft muss man sein, um sich den Rechtspopos auszuliefern. Seit langem schon meine Rede.

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Nebulös ist das Portrait des von mir mit Haut und Haaren gefressenen „Mit Müller“, der bar jeder Argumentation im Hintergrund mäandert, dieweil ihm vorn eine bekopftuchte, scharf abgelichtete Muslima (keine Zweideutigkeit) auf der Rolltreppe entgegenfährt. Was will uns das sagen? Schlechtes Foto für eine schlechte SPD? Das ist gewagt ehrlich. Der Spitzenkandidat ist bis zur Unkenntlichkeit profillos? Mit der Ehrlichkeit kann man es aber auch übertreiben, Leute!

Man muss Müller allerdings zugestehen, dass er als Transe eine gute Figur macht. Da sieht er fast ein bisschen aus wie Nina Queer. Seine Koalitionsschwester Henkel unterdes fordert „Mehr Video-Technik – nur mit uns“. Was genau will uns das sagen? Kriegt jeder, der CDU wählt, einen Bluray-Player?

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Die Linke hat Oma Anni für sich entdeckt, die in guter alter Osttradition als Geranien-STASI im Fenster hängt und zur Mietrebellin stilisiert wird: „Oma Anni bleibt die Linke.“ Heißt das, dass Oma Anni verlässlich hinterhältig ist? Man weiß es nicht, man weiß es nicht. Die GRÜNEN unterdes geben sich, neben dem bewährten „Alles auf Grün“, teils als fiebrig-delirierende Postromantiker. Ein Vater schubst sein Kind auf dem Rad in den Sonnenuntergang – ein Odem von „Vom Winde verweht“ haucht uns an, dazu die pathetische Plattitüde „Berlin geht nur zusammen“. Ach was.

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Und nicht zu vergessen die überflüssige FDP, die, das Bildberarbeitungsprogramm Prisma für sich entdeckend, ihren Kandidaten Sebastian Cjaja als expressionistisch angehauchten Heroen in Szene setzt und mit dem Satz zitiert: „Wir waren fünf Jahre weg. Wir wünschten, wir hätten mehr verpasst.“ Nun, um mit Schiller zu kontern: „Dem Manne kann geholfen werden“. Mühelos werdet ihr weitere fünf Jahre verpassen, oder 15, oder 50. Wahlkampf war schon immer wunderbar. Doch bei den großen Möglichkeiten der grafischen Verzettelung, die heutzutage schon ein Schimpanse hinkriegt, wenn man ihn auf Photoshop ansetzt, ist er ein unübertrefflich unnötiges Relikt aus alten, sehr alten Zeiten, dessen Unerheblichkeit auch per Bemühen von App-Ästhetik und Aggro-Angstmacherei nicht zu übertünchen ist. Eine Mega-Geldverbrennung zu Zeiten, wo die Penunzen anderenorts besser angelegt werden – Lageso? Fahrradwege? Aber doch von, wenn auch bescheidenem, Unterhaltungswert.

Daniel Call

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