Ein Märchenproblem: Die Magdeburger Erklärung der AfD zur Frühsexualisierung

SIEGESSÄULE-Autor Philip Eicker kommentiert
Uuups, sie haben es wieder getan! Die Abgeordneten aller AfD-Landtagsfraktionen haben sich in einer „Magdeburger Erklärung zur Frühsexualisierung“ gegen eine angebliche Sexualisierung der Kindheit verwahrt. Dabei listen 26 Initiatoren und Erstunterzeichnenden (unter ihnen eine Frau) alle Signalwörter auf, die alte Linke irritieren und neue Rechte begeistern: Die Familie sei die „Keimzelle der Gesellschaft“ lesen Biologisten voller Begeisterung. Gegner der „Political Correctness“ erfreuen sich an einer Breitseite gegen „die herrschende ,Antidiskriminierungspolitik‘“, und enttäuschte Unionisten bekommen „deutsche Leitkultur“ serviert.
Anlass für diese Erklärung sind Versuche einzelner Landesregierungen, in Lehrplänen zu erwähnen, dass Menschen nicht nur in heterosexuellen Vater-Mutter-Kind-Konstellationen zusammenleben. Bisherige Folge der Bemühungen: In manchen Bundesländern steht ein weiterer Absatz im Lehrplan, den Lehrkräfte ignorieren, wie so viele andere gut gemeinte Dinge, die eben in Lehrplänen stehen. Kernfächer bleiben Deutsch, Mathe und Fremdsprachen.
Sehr unwahrscheinlich ist, dass „unsere Kinder in Schule und KITA mit scham- und persönlichkeitsverletzenden Inhalten in Wort, Bild und Ton konfrontiert werden“. Aber genau diese Fantasie verbreitet die Magdeburger Erklärung. Wie es die Art der AfD ist, widmen sich die Abgeordneten mit markigen Worten einem Märchenproblem, das sie selbst erfunden haben. Wenn überhaupt, so schlagen sich diese ehrbaren Bemühungen – zuletzt des hessischen Bildungsministers – in einigen wenigen Schulstunden in Biologie, Gemeinschaftskunde oder Religion nieder. Laut AfD aber geht es um – Achtung: Triggerwarnung! – den „Erhalt unseres Volkes, unseres Staates und unserer Nation“.
Nun könnte man sich die Mühe machen, und die AfD-Argumente widerlegen. Etwa mit dem Hinweis, dass ein Unterrichtsgespräch über respektvolle Sexualität sinnvoll sein könnte in einer Zeit, in der Achtjährige mit ihrem Smartphone Pornos sehen, die ihre Eltern früher nicht einmal in der Bahnhofsvideothek bekommen haben. Vergebliche Liebesmüh. Die GegnerInnen der sexuellen Aufklärung arbeiten mit Unterstellungen, die nichts mit den Plänen der Schulbehörden zu tun haben. Sie dienen nur als Anlass, um Angst vor und Hass auf Minderheiten auf konkrete Menschen zu lenken, zum Beispiel auf Abgeordnete, die den Lehrplanergänzungen offen gegenüberstehen.
Nun könnte man die Magdeburger Erklärung als Geschwätz von Gestrigen abtun. Leider geht das seit letztem Mittwoch nicht mehr. Der Trump-Triumph ist ein heilsamer Schock. Er hat gezeigt, dass Sexismus auch im 21. Jahrhundert funktioniert: Er mobilisiert Massen, überzeugt auch Frauen – und bildet breite Koalitionen. Nur zur Erinnerung: 81 Prozent der Evangelikalen haben für Donald Trump gestimmt. Die VerfechterInnnen sexueller Enthaltsamkeit vor der Ehe wählten einen Mann zum Präsidenten, der damit prahlte, verheiratete Frauen anzubaggern und ungestraft an jede Pussy greifen zu dürfen. Nicht logisch. Aber Demokratie ist nicht logisch.
Nils Minkmar erinnert uns im SPIEGEL daran, dass kaum jemand vor einer Wahl Parteiprogramme studiert. „Vielmehr orientieren wir uns an bestimmten Metaphern und Begriffen, die wir früh erlernen, in der Familie nämlich.“ Donald Trump verkörpere perfekt das Ideal eines zwar vulgären, aber beschützenden Familienvaters. „Das mobilisiert seine Anhänger, seine vielen Lügen interessieren sie gar nicht.“
Immerhin ist jetzt klar: Die politische Auseinandersetzung der nächsten Jahre geht längst nicht mehr darum, ob in Lehrplänen das Wort „trans*“ auftauchen darf. Es geht darum, Grundrechte zu verteidigen gegenüber der „unglaublichen und großartigen Bewegung“, die Donald Trump ausgerufen hat. Wir müssen verhindern, dass auch in Europa diese neue rechte Volksbewegung eine Mehrheit findet. Menschenfreundliche Lehrpläne und gute Argumente sind dazu unerlässlich.
Philip Eicker
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