Die Kunst des Plattencovers

Irritierend, grenzüberschreitend, prägend ... Die Schau „Total Records“ in der Galerie C/O Berlin feiert die Kunst der Selbstinszenierung von Popstars des 20. Jahrhunderts
Wie ein androgyner Däumling sitzt Prince auf dem Cover seines 1988er-Albums „Lovesexy“ mit affektierter Geste nackt inmitten riesiger Orchideenblüten. So feminin, risikofreudig und selbstironisch hatte sich noch kein R’n’B-Sänger gezeigt. Grace Jones posiert auf einer Serie von Plattencovern als ein über den Geschlechtern stehendes Wesen, das Männlichkeit und Weiblichkeit verschmilzt und gleichzeitig Mensch und Roboter zu sein scheint. Sie wurde damit zu einer Ikone der 80er-Jahre. David Bowie präsentiert sich auf seinen Alben der frühen 70er-Jahre als Alien ohne Geschlecht. Irritierend, grenzüberschreitend, prägend. Auch er erschuf sich selbst als Kunstfigur mithilfe der Covergestaltung. Die Schau „Total Records“ in der Galerie C/O Berlin befasst sich nun mit dieser wichtigen popkulturellen Ausdrucksform des 20. Jahrhunderts.
Die Kunst der Selbstinszenierung fand in der Musik vor allem und am längsten in Form von Plattencovern ihren Niederschlag. Lange, bevor das Videozeitalter begann, und noch länger, bevor es vom digitalen Zeitalter abgelöst wurde, war die Gestaltung des Albumcovers die zentrale visuelle Ausdrucksform in der Musik. Ikonen im Format 30 x 30 cm, endlos reproduzierbar, endlos reproduziert.

Jean-Paule Goude, Grace Jones, Island Life, 1985 © Island Records.jpg
„Total Records“ heißt eine Ausstellung der Galerie C/O Berlin, die sich nun der Kunstform der Covergestaltung mit rund 450 Objekten erschöpfend widmet. Der Fokus liegt auf dem Zusammenspiel von Fotografie und Layout. Werke aus über 50 Jahren Musikgeschichte sind zu sehen, ganz nebenbei schreibt die Ausstellung auch eine Geschichte der Fotografie. Zu sehen sind Arbeiten unter anderem von Anton Corbijn, Man Ray, Helmut Newton, Jean-Baptiste Mondino, Andy Warhol, Richard Avedon, David LaChapelle, Annie Leibovitz, Juergen Teller, Herb Ritts, Weegee und Nan Goldin.
Wie Susanne Kumar-Sinner von C/O Berlin der SIEGESSÄULE mitteilte, wird die Ausstellung, die zuvor in Arles und Winterthur zu sehen war, eigens für die Berliner Station um einige Exponate mit Berlinbezug erweitert, darunter Arbeiten der Tödlichen Doris und von Jim Rakete.
„Total Records“ ist vor allem eine Rückschau. Diese Kunstform hat ihre Hochzeit ganz klar hinter sich, denn allen Vinyl-Revivals zum Trotz fristet sie heute ein Nischendasein mit begrenzter Wirkung. Die Digitalisierung des Musikmarktes ersetzte die schiere Notwendigkeit, eine Vinylschallplatte gestalterisch wirkungsvoll zu verpacken, durch ein Thumbnail, das bei Spotify und auf dem iPod seinen Zweck erfüllt. Während Musikfans früher oft kaum mehr als Plattencover und einige Zeitungsartikel hatten, um sich ein Bild von MusikerInnen zu machen, werden sie heute über digitale Kanäle mit einer Masse an Bildern bombardiert, die auch für die KünstlerInnen kaum noch zu kontrollieren ist. Artifizielle Selbstinszenierung wird heute permanent mit widersprüchlichen Bildern infragegestellt, die Kontrolle über das eigene Bild ist längst abhandengekommen. Auch in dieser Hinsicht repräsentieren die gezeigten Arbeiten ein goldenes, weil undemokratisches Zeitalter.
Karsten Zang
Total Records. Vinyl und Fotografie, 10.12.2016–23.04.2017, C/O Berlin
co-berlin.org
Folge uns auf Instagram