Bewegungsmelder

Den Schrank auf die Straße gestellt: Zum Launch der „Queer Bild“

12. Feb. 2017
Dirk Ludigs (c) Tanja Schnitzler

„Bild“ macht auf queer und alles bleibt erwartbar. Selbst der Shitstorm dagegen

Es gibt Kulturen, die aus deutscher Sicht eine gewisse Affinität zur Aufgeregtheit in sich tragen. Die italienische beispielweise. Neapel ohne eine Gruppe von Menschen, die sich vor einem zu Schrott gefahrenen Fiat wild gestikulierend anbrüllen? Da fehlt uns doch was! Anderen Kulturen wiederum wird ein überbordender Hang zum Ritual nachgesagt. Gaius Julius Caesar beispielsweise greift in „Asterix bei den Briten“ die Insel um Punkt fünf Uhr nachmittags an, weil da alle zuhause bei einer Tasse heißen Wassers mit einem Schlückchen Milch sitzen. Die Eroberung Großbritanniens ist dementsprechend auch ein „piece of cake“.

Keine Kultur allerdings hat die Kombination aus Aufgeregtheit und Ritual, die ritualisierte Aufgeregtheit also, zu solcher Vollendung geführt, wie die deutsche. Die Beispiele sind Legion: Der Tarifkonflikt! Das Drei-Minuten-Ei! Hart aber Fair! Das Hornberger Schießen! Insofern war der Launch der Queer Bild eines „queeren“ Facebookportals durch Deutschlands größte Boulevardzeitung ein Paradebeispiel deutscher Alltagskultur. Alle durften sich mal wieder so richtig aufregen. Alle Argumente waren bekannt. Niemand hatte ein Interesse, irgendjemanden zu überzeugen. Alle redeten aneinander vorbei. Alle hatten Recht. Nach einer Woche durften sich alle völlig unbefriedigt der nächsten Sau zuwenden, die durchs queere Dorf getrieben wird.

Schon der Anfang war genial, es soll neidlos zugestanden werden: Nina Queers Kolumne! Die Dame lebt seit gefühlten Jahrzehnten von einer anderen deutschen Besonderheit, der Liebe zum Fäkalhumor aus der untersten Schublade. Dafür wird sie gebucht, dafür wird sie von ihren Fans gefeiert, das ist wahrscheinlich auch das einzige, was sie gut kann. Die Rechnung der Queer-Bild-Macher, es werde genügend bewegte queere Menschen geben, die sich genügend darüber aufregen, dass Queers erste Kolumne bei einem Boulevard-Magazin beleidigend ist, Fat- und Age-Shaming betreibt, um die Klickzahlen und die Bekanntheit in der Zielgruppe ohne jedes Werbebudget in erfolgreiche Höhen zu treiben, hat fraglos super funktioniert.

So was kann man bei der Bild. Und weil es so gut funktioniert hat, schiebt Queer Bild dann gleich eine Woche später für die lesbische Klientel eine hinterher, die mindestens so viel Aufregungspotenzial bietet. Und was passiert? Bingo! Aus dem gleichen Grund zeigt das Logo der Queer Bild auch nicht die LGBT-Regenbogenfahne, sondern die auf den Kopf gestellte Flagge der italienischen Friedensbewegung. So was passiert einem Bild-Redakteur nicht absichtslos. Das alles sind hingeworfene Brocken, die das Aufregungsritual auslösen sollen und im Land der ritualisierten Aufregung ist auf die Brocken Verlass.

Der forsche Geist hinter Queer Bild, Bild-Ressortleiter Daniel Cremer, macht auf seinem Facebook-Profil aus der Strategie auch gar keinen Hehl. Für ihn ist die Kritik aus der Bewegung „ein dickes Lob (... ) denn ich weiß, dass die Mehrheit der queeren Menschen in Deutschland, sich nicht andauernd wie verfolgte und geprügelte Hunde fühlen, zu denen die Bewegung sie machen will. Weil wenn es keine Leidenden gibt, wen will man dann vertreten?“

Cremer argumentiert da nicht viel anders wie der schwule Breitbart-Redakteur Milo Yiannopoulos oder die Homosexuellen in der AfD. Sie alle haben das ehemals linke Framing und seine Begriffe wie Diversität und Nonkonformität für sich entdeckt und einmal nach rechts gedreht. Reaktionär sind jetzt eben alle, die anderen aufzwingen wollen, wie sie zu leben oder zu reden haben, besonders natürlich die politisch Korrekten. Der Tabubruch von rechts: Die Queer’sche Fäkalbombe wird zu einem Akt der Befreiung umgedeutet.

Es gibt reichlich Gründe zur Kritik an Queer Bild, jenseits der hingeworfenen Brocken. Nina Queers Kolumne zum Beispiel ist vor allem schlecht geschrieben. Auch beim Rest der Queer Bild ist für Korrektur offensichtlich kein Geld da, Rechtschreibung bleibt Glückssache, das spricht Bände über den Stellenwert des Projekts im Hause Springer. Wichtiger aber: Wenn Cremer davon schwärmt, dass seine Seite auch mehr Heteros in Kontakt mit „schwulen Themen“ (!) bringen wird, warum taucht Queer in der Menüleiste bei Bild.de überhaupt nicht auf, nicht einmal unter „Erotik“? Vielleicht will der Verlag die „Heteros“ ja auch nicht überfordern.

Es wird nicht reichen, der neuen rechten Strategie des Re-Framing nur die altbekannte ritualisierte Aufregung entgegenzusetzen. Im Gegenteil, es spielt ihr in die Hände, das haben die Queer-Bild-Macher hervorragend begriffen. Mögen also die einen mal debattieren, wie sie aus der Falle herauskommen. Und die anderen mögen begreifen, dass ihre „Normalität“, von der sie ständig schwafeln, etwas anderes ist, als ihren Schrank auf die Straße zu stellen.

Dirk Ludigs

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