Wenn Protest in Hass kippt: Angriffe auf ein Restaurant in Kreuzberg

Das Restaurant einer lesbischen Betreiberin in Kreuzberg ist Ziel von Attacken durch GentrifzierungsgegnerInnen. Sie fühlt sich zu Unrecht angegriffen
Sie kamen, als das Lokal leer war: rund 15 schwarz gekleidete und maskierte Menschen schlugen mit Eispickeln auf die Scheiben des „Vertikal“ an der Glogauer/Ecke Reichenberger Straße in Kreuzberg. Die Fenster splitterten, gingen nicht zu Bruch. Anschließend flüchteten die Vermummten auf Fahrrädern in Richtung Ratiborstraße. Das war am vergangenen Mittwochabend.
Im Lokal waren noch drei Angestellte – die um ihre eigene Sicherheit fürchteten. „Ein Mitarbeiter hat mich gegen 23 Uhr angerufen und mit zitternder Stimme erzählt, was geschehen ist“, sagt die Betreiberin des Restaurants, Claire D'Orsay. Der gewalttätige Angriff ist der traurige Höhepunkt einer Kampagne, die sich selbst als „gegen Gentrifizierung“ bezeichnet – in Wahrheit aber Misstrauen und Hass in einem Kiez sät.
Ursprünglich ging es hier darum, eine vielen ans Herz gewachsene Bäckerei-Café vor dem Aus zu bewahren. Das Café Filou machte Anfang des Jahres öffentlich, dass der eigene Mietvertrag nicht verlängert wird – nach 20 Jahren Existenz stehen dann die Betreiber, das Ehepaar Spülbeck samt drei Kindern, vor dem Nichts. Kreuzberg ist ein solidarischer Ort, also gab es sofort Aktionen und Demonstrationen für das Café mit der markanten weiß-blauen Markise, das für viele im Kiez die Versorgung mit bezahlbaren Brötchen und Kaffee sicherstellte. Eine Bewegung bahnte sich an, ähnlich „Bizim Kiez“ im benachbarten Wrangelkiez, die in ihrem Kampf gegen Verdrängung eines türkischen Gemüseladens vor anderthalb Jahren bundesweit Presse gemacht hatte.
Doch der sympathische Kiezprotest um ein kleines Café zeigt seine hässliche Fratze, als einige selbst ernannte AktivistInnen das Restaurant „Vertikal“ als Gentrifizierungs-Agressor ausmachten. Es ist eine Tür weiter vom „Filou“, in einem neu errichteten Bau mit begrünter Fassade, gebaut vom „Filou“-Eigentümer Charles Skinner, im Erdgeschoss Gewerbe, die Stockwerke darüber Ferienwohnungen.
Kreuzberg ist widerständig, besonders gegen Investoren, die das alternative Idyll zu stören drohen. Der Neubau mit der begrünten Fassade ist für einige offenbar das neue Gentrifzierungssymbol, mit dem Restaurant „Vertikal“ im Erdgeschoss. Betreiberin Claire d‘Orsay wurde auf der Straße beschimpft, man spuckte gegen ihre Scheiben, schmierte „Ausländer Bonzen Raus“ auf die Fassade. Dann der Angriff von Mittwochabend. „Wir sind wirklich überrascht angesichts dieses Ausmaßes an rassistischer, gewalttätiger und homophober Angriffe“, erklärt Hausbesitzer Charles Skinner gegenüber SIEGESSÄULE.de.
Und Claire d‘Orsay hätte nie gedacht, dass ihr Laden ins Visier der militanten Gentrifizierungsgegner kommen könnte. „Ich habe mit den Ferienwohnungen und dem Café Filou gar nichts zu tun“, sagt sie im Interview mit SIEGESSÄULE.de. Vor sechs Wochen machte das „Vertikal“ auf, vielleicht etwas schicker als andere Läden im Umkreis. „Aber schickimicki wie Mitte ist das auf keinen Fall!“, entrüstet sich d‘Orsay. Auch ihre Preise sind nicht so hoch, dass man dagegen demonstrieren müsste: Mittagstisch zwischen fünf und neun Euro, Abends bis zu 20 Euro - „Aber das ist dann schon für das Entrecôte.“ Das Team des „Vertikal“ ist multikulturell, auch ein Flüchtling aus Syrien ist unter den Angestellten. „Wir haben hier niemanden verdrängt. Früher war hier ein Parkplatz.“
D‘Orsay, 30, ist studierte Psychologin und zog vor sieben Jahren nach Berlin, um hier mit ihrer heutigen Ehefrau, einer Deutschen, ein neues Leben aufzubauen. In den USA, wo sie sich kennengelernt hatten, konnten die beiden nicht bleiben, weil das Visum der Freundin nicht mehr verlängert werden konnte. D‘Orsay macht klar, dass das „Vertikal“ ihr Projekt ist – auch wenn der Hausbesitzer Charles Skinner Hauptinvestor der GmbH ist, die das Restaurant trägt. „Ich bin keine Angestellte. Ich bin die Chefin.“ Und sie will nicht kaputt machen lassen, was sie aufgebaut hat.
Kreuzberg ist solidarisch: Nach dem Übergriff am vergangenen Mittwoch berichteten viele Berliner Tageszeitungen von der Attacke. Anti-Gentrifizierungs-Initiativen verurteilten den Angriff. Und statt sich von den schwarzgekleideten Vermummten einschüchtern zu lassen, strömten die BerlinerInnen ins „Vertikal“, um ihre Unterstützung auszudrücken.
Malte Göbel

Mit Humor begegnet das Team des Vertikal den Angriffen
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