Fels in der Brandung: Zum Tod von Hans Panhoff

Hans Panhoff, ehemaliger Kreuzberger Baustadtrat und Grünen-Politiker ist im Alter von 59 Jahren verstorben – und mit ihm auch ein Stück Kreuzberger Geschichte
Hans Panhoff war vieles: Kreuzberger Baustadtrat und Hausbesetzer, Theatermacher und schwuler Mann, spröde und leidenschaftlich zugleich. Mit ihm stirbt auch ein Stück Kreuzberger Geschichte.
Es gibt Leben, die ziehen dahin und mäandern wie ein ruhiger, langer Fluss. Andere springen über Stock und Stein und sprudeln wie Gebirgsbäche. Und dann gibt es Leben, die sind wie ein Sturm auf hoher See, sie drohen die Menschen in einem Sog hinabzuziehen, nur um sie im nächsten Moment in höchste Höhen zu katapultieren, bis schließlich diese eine große Welle anschwillt und donnernd über ihnen zusammenbricht.
Man muss ein Fels von Mensch sein, um so ein Leben durchzustehen. Hans Panhoff war so einer, der aufrecht blieb, selbst wenn der Sturm pfiff und der Regen sein Gesicht peitschte. Die letzte große Welle, die über ihm zusammenschlug, hätte er vielleicht auch noch überlebt, wenn die Krankheit den Moment der Schwäche nicht so schamlos genutzt hätte.
Die meisten Berliner*innen kannten Hans Panhoff, den Kreuzberger Baustadtrat, von jenem Moment im Sommer 2014, von einer Szene wie aus einem Thriller: Auf dem Dach der Gerhart-Hauptmann-Schule haben sich Flüchtlinge und ihre Unterstützer*innen verschanzt, seit Tagen belagert die Polizei den Kiez, die Situation ist aufgeladen und verfahren zugleich. Da stellt der Polizeipräsident der Politik auch noch ein unverfrorenes Ultimatum. Dem Innensenator ist das insgeheim nur Recht, denn er möchte den grünen Bezirk schon lange vorführen. Die Verantwortlichen im Bezirk ducken sich weg. Die Bürgermeisterin twittert aus der Ferne. Und einer steht im Sturm.
Es ist ein Moment, den man sich tragischer eigentlich kaum ausdenken kann. Hans, der immer wieder vor Ort gewesen war, immer wieder verhandelt hatte, ist selbst Kreuzberger Hausbesetzer der ersten Stunde. Die Cuvrystraße 25, in der er bis zu seinem Tod lebte, wurde im November 1979 besetzt. Bis heute ist das Haus selbstverwaltet, die ersten Enkel der Besetzer wurden mittlerweile dort geboren. Damit nicht genug: Hans‘ Lebenspartner ist ein schwuler Flüchtling aus dem Senegal. Und nun soll er, nein, muss er über die Zukunft von Geflüchteten entscheiden, die in ihrer Verzweiflung vor Monaten diese Schule besetzten, allein gelassen von einer unmenschlichen Flüchtlingspolitik, aber auch allein gelassen von so wohlmeinenden wie überforderten Bezirkspolitikerinnen, in einem Gebäude, in dem sich die Zustände physisch wie psychisch so lange zuspitzten, bis am Ende Gewalt ausbricht, die ein junger Marokkaner nicht überleben wird.
Sich nicht wegducken, sich den Herausforderungen stellen, das hatte Hans schon immer ausgemacht. Das war auch in den Achtzigern so, als er der Produzent der heute fast vergessenen „Berlin Playactors“ war, damals die einzig englischsprachige Theatergruppe West-Berlins. Es war eine, wie man sich denken kann, ebenso ambitionierte wie chronisch unterfinanzierte Unternehmung, eine bunt zusammengewürfelte Truppe unter der künstlerischen Leitung des vor einigen Jahren ebenfalls verstorbenen Regisseurs Rik Maverik. Immer wieder begeistern die „Playactors“ mit ihren mutigen, nicht selten camp aufgedonnerten und immer erfrischenden Inszenierungen ein Publikum weit über den engen Rahmen des Off-Theaters hinaus. Immer wieder geraten sie wegen der künstlerischen Kompromisslosigkeit ihres Leiters an den Rand des Ruins. Und immer wieder ist es Hans Panhoff, der an den künstlerischen Erfolg glaubt, der aber auch am Ende die Verantwortung übernimmt und sich nicht wegduckt, der Geld auftreibt und nicht davor zurückschreckt, sich persönlich für die Sache zu verschulden. Entscheidungen, an denen er lange zu knabbern hat.
Hans hat spät sein Coming-out gemacht, mit Mitte zwanzig, da steckt er mitten in den Instandbesetzungen der frühen Achtziger. Damals war Schwulsein auch in linken Zusammenhängen nicht unbedingt selbstverständlich, gerade Heteromänner pflegten viel unreflektierten Machismo und patriarchales Gehabe, bei vielen rangierte Schwulsein irgendwo zwischen „Nebenwiderspruch“ und „kapitalistischer Devianz“. Doch auch da duckte sich Hans nicht weg. Er zog sich nicht in die schwule Wohlfühlecke zurück, er blieb Kreuzberger, engagierte sich im Verein SO 36 und blieb dem Haus verpflichtet, das er von 1984 an mit sanierte und in dem er bis zu seinem Tod lebte. Es war auch sein Verdienst, dass das Kollektiv in der Cuvrystraße über viele Jahre eine Wohnung im Seitenflügel für Menschen mit HIV vorhielt. Hans konnte auch Brücken bauen, Menschen verbinden.
Vielleicht war ihm das auch so wichtig, weil er selbst etwas nachzuholen hatte. Seine Mutter war früh verstorben, der Vater hatte sich von ihm abgewandt, das Verhältnis ist mit schwierig noch nett umschrieben. Hans machte den Eindruck von einem, der immer glaubte, etwas tun zu müssen, um geliebt zu werden. Familie, das waren nur die beiden Schwestern, die eine wie er ausgeflogen nach Berlin, die andere verwurzelt in der badischen Heimat. In Hans’ Persönlichkeit fanden sich beide Aspekte, die Suche nach Verwurzelung und die Sehnsucht nach der weiten Welt. Die letztere fand er oft in seinen Beziehungen zu Männern, die Wurzeln im besetzten Haus, im Kiez und – so glaubte er zumindest – in seiner Partei.
Doch Parteien im Allgemeinen und die Kreuzberger Grünen und die linke Szene im Besonderen sind kein guter Ort für die Erfüllung von Heimatgefühlen. Hans wusste, dass ihn die Unterschrift unter den Räumungsbescheid der Gerhart-Hauptmann-Schule für viele seiner Parteifreunde und vor allem natürlich für die autonome Szene zu einer Hassfigur werden ließ. Über das Ausmaß des Hasses war er dennoch erschreckt: Morddrohungen, tagelang musste er sich vor einem rasenden Mob in Sicherheit bringen, in seiner Straße brannte ein Auto, das gar nicht seines war. Tiefer getroffen aber hat ihn die Kälte seiner Partei. Seine Krebserkrankung hielt er fast bis zum Ende selbst vor seinen Freunden geheim, so groß war seine Angst, die eigene Partei könnte diese „Schwäche“ gegen ihn verwenden. Die Umstände seines Todes darf für die politisch Engagierten dieses Bezirks ruhig Anlass sein, über den menschlichen Umgang miteinander neu nachzudenken.
Die Bewohner der Gerhart-Hauptmann-Schule, die, wie er es vorhergesehen hatte, am Ende nicht geräumt worden sind, haben einen Schritt schon getan. Am Freitag, den 17. März, eine Woche nach seinem Tod, erschien in der taz ihre Todesanzeige: „Wir sind traurig über den Tod von Hans Panhoff“, heißt es da. Wer Hans kannte, weiß warum. Mehr Selbstlosigkeit und mehr Aufrichtigkeit als von ihm werden sie aus der Berliner Politik für lange Zeit nicht mehr kriegen.
Dirk Ludigs
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