bühne

Tadzio mit Basecap

21. März 2017
Paul Nilon (li.) und Rauand Taleb © Marcus Lieberenz

„Death in Venice“ von Benjamin Britten an der Deutschen Oper Berlin wird konsequent ohne Klischeebilder präsentiert. Das Stück gewinnt dadurch

21.03.17 – Keine Gondeln, keine Kanäle, kein Lido. Stattdessen: Die Bühne in warmes, hellgrünes  Licht getaucht; links im gedrechselten Rahmen das riesenhafte Konterfei eines Mannes, bis zur Unkenntlichkeit zerschlissen;  rechts ein überdimensionaler Strauß violetter Tulpen, etwas verwelkt, der auch mal als Fels am Meer dient. Davor Stühle, die als Gassen, Brücken, Boote oder Hotelmöbel eingesetzt werde. Das ist fast alles, was Regisseur Graham Vick braucht, um in der Neuproduktion an der Deutschen Oper Berlin „Death in Venice“ von Benjamin Britten zu erzählen. Vicks Lesart setzt auf Andeutungen, punktgenau, mit scharfkonturierter Personenzeichnung, konzentriert auf die Dynamik zwischen den Figuren und darauf, wie die Hauptfigur, Gustav von Aschenbach auf die jeweilige Situation reagiert. Auch sämtliche Déjà-vus aus der Belle-Époque-Bilderorgie des berühmten Visconti-Films „Morte a Venezia“ werden vermieden.

Zu Beginn scheint dieser Gustav von Aschenbach in seine eigene Totenfeier zu geraten. Das ist der Ausgangspunkt von Vicks Schilderung dieser die gesamte Existenz erschütternden Midlife-Crisis, die Thomas Mann in seiner Novelle „Tod in Venedig“ erzählt und Benjamin Britten in seiner letzten Oper „Death in Venice“ auf die Bühne gebracht hat – mit dem in die Jahre gekommenen Aschenbach als Paraderolle für Brittens Lebenspartner, den Tenor Peter Pears. An der Deutschen Oper bleibt der Aschenbach von Paul Nilon im ersten Akt zunächst etwas blass im Bühnenspiel, könnte verzweifelter, verstörter, schwärmerischer, insgesamt expressiver sein, gewinnt aber im zweiten Akt an Profil. Die Kontrastfolie zu Aschenbach bieten Figuren, mit denen er auf seiner Reise nach Venedig konfrontiert wird, Wiedergänger des Dionysos, des Gottes des Rauschhaften und der Sinnenfreude, der auch selbst auftritt. Britten hat diese sieben Partien für ein und denselben Sänger vorgesehen. An der Deutschen Oper ist das der Bassbariton Seth Carico, stimmgewaltig und wendig, ein spielfreudiges Bühnentier mit großer körperlicher Präsenz. Da braucht es nur kleine Versatzstücke, den Strohhut des Gondoliere, eine Blume im Knopfloch des Hoteldirektors, eine Friseurschürze oder für den exaltierten Straßensänger eine Federboa und silberne High Heels, um diesen Man in Black in seinen Metamorphosen überzeugend zu bringen. Beide Sänger entgehen darüber hinaus – sehr angenehm – mit ihrem natürlichen Gesang manieriertem Operngetue.

Auch die übrigen Mitwirkenden, SängerInnen des Ensembles als TouristInnen und Einheimische in Venedig sowie der Chor aus dem Off, überzeugen bei dieser Inszenierung. Nicht zu vergessen der von Aschenbach obsessiv vergötterte Jüngling Tadzio, dessen Familie und Freunde: Von Britten als Balletttänzer imaginiert, werden sie bei Graham Vick von sehr präsenten SchauspielerInnen dargestellt. Sie geben dem Ganzen nämlich eine Menge Bodenhaftung. Vor allem die Kids glänzen durch turnerische Qualitäten, bringen Break-Dance und Kampfsport-Einlagen. Tadzio – schwarzhaarig, nicht blond wie bei Visconti – kommt auch mal mit Basecap und Sneakers an den Strand.

Den Schluss deutet Graham Vick in seiner Lesart völlig neu, passend zu seiner Darstellung des Geschehens als Rückblende auf die verpasste Jugend und das ungelebte Leben des vergeistigten Aschenbach. Dieses Ende der Oper muss man nicht unbedingt teilen, macht aber nichts. Denn die Inszenierung ist insgesamt spannend, in einer modernen, klaren Lesart. Und das ist letztlich eine große Kunst, denn Britten hat sich – noch mehr als Thomas Mann – in schwülstigen Verweisen auf die Antike geaalt, was seiner Oper einige Längen beschert.

Einen großen Anteil am günstigen Eindruck des Abends haben Dirigent Donald Runnicles und das Orchester der Deutschen Oper Berlin, die „Death in Venice“ mit kräftigen Farben ausreizen. Von rauschhaften Ausbrüchen über transparente kammermusikalische Passagen bis zu zurückgenommenen Solostellen im Orchester bleiben sie nichts schuldig. Das Austreiben von Venedig-Morbidezza und Antiken-Pathos sowohl im Visuellen wie auch im Akustischen tut dieser Geschichte über einen Mann, der zu lange seine wahren Gefühle ignorierte, sehr gut.

Eckhard Weber

Nächste Aufführungen:

Deutsche Oper Berlin, 22. + 25. 3., 19.30 Uhr

deutscheoperberlin.de

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