Bundestagswahl

Gloria Viagra im Gespräch mit Gregor Gysi (DieLinke)

5. Aug. 2013
Gregor Gysi und Gloria Viagra (c) Tanja Schnitzler

Also Herr Gysi, wir kennen uns ja schon. Darf ich dir das Du anbieten?
Ja. (lacht) Aber ich bin der Ältere, also eigentlich muss ich dir das Du anbieten. Also biete ick dir det Du an.

Die Ehe als Kern von Familie und Staat? Wie spießig und antiquiert ist das denn?! Seid ihr als linke Partei nicht in der Verantwortung, die Privilegierung der Ehe und diese selbst zu hinterfragen, statt ihre Öffnung zu fordern?
Ja, unser Familienbegriff, nach dem jede Art von Zusammenleben als Familie gilt, egal, wer sich dafür entscheidet, mit wem auch immer zusammenzuleben, ist natürlich sehr viel moderner. Aber solange an die Ehe bestimmte Steuervorteile und andere Vorteile und Rechte gebunden sind, solange müssen Schwule und Lesben das gleiche Recht haben.

Wenn Die Linke Teil einer Regierungskoalition wäre, würdest du das Familienressort mit einem oder einer offen Nicht­hetero­sexuellen besetzen?
Auf jeden Fall fände ich es völlig richtig, dass auch mal eine lesbische Frau oder ein schwuler Mann das Familienministerium leitet, wenn auch nicht zwingend. Genauso wie das Verteidigungsministerium. Nicht fragen: Passt das? Es hat immer zu passen. Weil die Leitung eines Ministeriums gar nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun hat.

Die Linke fordert ein bedingungsloses Asylrecht für verfolgte LGBTIs. Von knapp 100 Asylanträgen von Menschen aus Uganda wurden ganze zwei bewilligt. Können russische Homos demnächst auf Asyl in Deutschland hoffen? Wo beginnt Verfolgung?
Auch dafür braucht es eine Veränderung des Zeitgeistes. Jeder Bauer aus Baden-Württemberg oder Bayern, jede Lidl-Verkäuferin muss – auch wenn sie alle heterosexuell sind, sich wenig damit beschäftigen oder wenig Verständnis dafür haben – wissen, dass es grob ungerecht ist, einen Menschen wegen der Art seiner Sexualität einzusperren, in manchen Ländern gar hinzurichten! Und ergo muss es ein Asylrecht geben für Menschen, die nur aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden. Wo beginnt Verfolgung? Indem man zum Beispiel jede positive Erwähnung von Homosexualität verbietet (in Russland, Anm. d. Red.), diskreditiert man im vollen Umfang. Das ist ein Asylgrund! Im Übrigen würde man damit auch der russischen Regierung signalisieren, dass diese Diskriminierung von Homosexuellen nicht akzeptiert wird in Europa.

Die Koalition hat im Rechtsausschuss eine Abstimmung über euren Antrag zur Rehabilitierung und Entschädigung von Verurteilten nach Paragraf 175 vertagt. Welche Chance hat euer Antrag?
Sie öffnen sich; schon dass sie es verschoben haben, ist ein gutes Zeichen. Früher wäre das „Nein“ ganz schnell gekommen. Wenn dir von Geburt bis zu deinem Tod gesagt wird, du darfst deine Homosexualität nicht ausleben, sonst sperre ich dich ein, ist das eine so grobe, dauernde Menschenrechtsverletzung, dann bin ich auch in diesem Ausnahmefall für Entschädigung.

Du sagst oft, es hätte sich in Bezug auf LGBTI-Rechte in den letzten Jahren viel verbessert. Mit Blick auf Frankreich, wie werden in Krisenzeiten Minderheiten als Zielscheibe benutzt? Kann die Stimmung kippen?
Ich habe mich überhaupt von der Vorstellung verabschiedet, dass es einen gradlinigen zivilisatorischen Fortschritt gibt. Aber hier in Deutschland gäbe es keine nennenswerten Demonstrationen, wenn wir die Ehe für Schwule und Lesben öffneten. Und zwar, weil der Prozess langsamer fortschreitet. Du darfst die Leute kulturell nicht überfordern. Wenn du Veränderung willst, musst du erst den Zeitgeist verändern, dann die Parteien und dann die Realitäten. Und der Zeitgeist hat sich in dieser Frage schon so verändert, dass es gerade mal noch eine Partei, die Union, gibt, die sich dem verweigert. Und selbst da bröckelt der Widerstand.

Mindestlohn für alle und Schminkgrundausstattung für Hartz-IV-ler. Wie viel Maximalforderung muss man stellen, um ein Minimum zu erreichen?
Vor allem in der Opposition musst du auch mal eine hohe Forderung stellen, damit wie folgt darüber diskutiert wird: „Na, das find ich überzogen, aber ...“ – und dieses „aber“ ist der Fortschritt. Mindestlohn für alle ist nun wirklich keine Maximalforderung, sondern wird inzwischen sogar von der Mehrheit der deutschen Manager geteilt. Und zum Schminken: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Zur Würde des Menschen gehört, dass er sich selbst gefällt und auch anderen gefallen will. Also eine Miniausstattung, dass man sich zurechtmachen kann, finde ich, gehört dazu. Auch eine Grundausstattung von Kleidung, wenn man mal in die Oper will. Es gab mal die Regelung, dass Berlin-Pass-Besitzer sich eine Stunde vor Vorstellungsbeginn für drei Euro nicht verkaufte Karten kaufen konnten. Das war immer mein Traum: Da sitzt einer, der 160 Euro für ‘ne Karte bezahlt hat, und einer mit ‘ner Karte für drei Euro und sie sehen und hören doch dasselbe.

Circa 15 Prozent der Bevölkerung sind Homos, relevantes Stimmvieh. Warum sollen die euch wählen?
Wenn ihr für die Gleichstellung von Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung seid – und zwar die wirkliche Gleichstellung –, wenn ihr für die Gleichstellung von Männern und Frauen seid und wenn ihr der Meinung seid, dass die Menschheitsprobleme nicht mittels Krieg gelöst werden dürfen, und wenn ihr für ein deutlich höheres Maß an sozialer Gerechtigkeit eintretet, dann solltet ihr Die Linke wählen. Wir bereichern die Demokratie, weil die anderen Parteien sich bei der Frage der Kriegseinsätze der Bundeswehr, der Rente erst mit 67, Hartz IV und allen falschen Euro-Rettungsschirmen einig sind. Die Einzigen, die dagegen argumentieren, sind wir. Und das ist ein Gewinn.

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