Gloria Viagra im Gespräch mit Claudia Roth (Bündnis90/Die Grünen)

Claudia, jetzt hast du mir gleich das Du angeboten!
Ach, ich sag einfach immer Du.
Kurz zum tagespolitischen: Bushido. Muss man da reagieren? Das ist doch nur ein Schrei nach Aufmerksamkeit.
„Who the fuck is Mr B.?“ Persönlich sag ich dazu nichts mehr. Ich unterstütze doch nicht seine Promotion. Nur so viel: Wer aus Mangel an jedwedem künstlerischen Können Hetze und Gewalt gegen Minderheiten zum Geschäftsmodell machen muss, bekommt eine gesellschaftliche, politische Reaktion. Gerade in einem Land, in dem nach wie vor Homophobie existiert und es Orte gibt, wo es eben nicht selbstverständlich ist, „out and proud“ zu sein. Wir müssen klarstellen: Das ist Volksverhetzung. Und alle, die ihm nahestehen, sei es nun Sony Music, der Burda Verlag, Innenminister Friedrich, Rainer Brüderle, die CDU-Fraktion oder GQ, sollten sich fragen, mit wem sie da gut Freund sind.
Aber nun zu den Wahlen. Ist die Festlegung auf ein Regierungsbündnis ausschließlich mit der SPD bei den derzeit eher geringen Wahlsiegchancen zu früh erfolgt?
Wir haben uns auf Inhalte festgelegt, nicht auf eine Partei. Wir müssen doch prüfen, mit wem wir den grünen Wandel umsetzen können. Wir wollen ja nicht nur eine andere Regierung, wir wollen eine andere Politik. Ich kette mich nicht an eine andere Partei, ich frage nur, wer ist bereit für eine sozial-ökologische Wende? Und das sind nun mal die Sozialdemokraten. Und wir wissen: Knapp 40 Prozent der Wähler entscheiden erst in den letzten zwei Wochen, wen sie wählen. Die Wahl ist also definitiv noch nicht gelaufen.
Hintertürchen Union: Warum gibt es dagegen keine klare Absage an ein von etlichen Gerüchten heraufbeschworenes Schwarz-Grün-Bündnis nach der Wahl?
Was heißt hier keine klare Absage? Sieh dir doch einmal unser Programm an, wenn das keine klare Absage ist, weiß ich auch nicht. Denk doch nur mal an das unsägliche Betreuungsgeld oder wie sehr sich die Union gegen das Adoptionsrecht von Homosexuellen stemmt. Wie das zusammen gehen soll, erschließt sich mir nicht.
Die Erfahrungen aus den letzten Bündnissen zeigen, dass die Grünen lieber Positionen aufgeben als Regierungsmacht abgeben. Warum seid ihr so erpicht aufs Regieren; kann man nicht auch gerade als Opposition viel bewirken?
Ich finde nicht, dass das zutrifft. Für mich war bei heiklen Entscheidungen mein Freund Hans-Christian Ströbele immer ein guter Maßstab. Er hat immer gesagt, wenn etwas in die richtige Richtung geht, dann sollte man zustimmen. 1998 waren die Erwartungen riesig. Wir dachten, nach 16 Jahren Kohl können wir in zwei Wochen alles verändern. Aber so läuft das nicht in einer parlamentarischen Demokratie, wir mussten lernen, dass wir Geduld und gesellschaftliche Mehrheiten brauchen. Es geht uns nicht um Regierungsmacht, es geht um Macht, eine andere Politik zu gestalten, aber nicht unter Aufgabe der eigenen Positionen und Inhalte.
Im Falle eines Falles: Wie wäre es dann mit der weiteren LGBTI-Gleichstellung?
Ich sag’s immer wieder: Gleiche Rechte heißt gleiche Rechte und nicht nur ein bisschen! Wir wollen Artikel 3 Grundgesetz um die sexuelle Identität erweitern. Und vor allem: die Ehe öffnen. Punkt. Volles Adoptionsrecht. Dann müssen wir ran ans Transsexuellengesetz: Es kann nicht sein, dass eine Operation Vorbedingung ist, um den Personenstand zu ändern. Geschlechtsumwandlungen sollten von den Krankenkassen mitgetragen werden. Wir sollten ein drittes Geschlecht einführen und Geschlechtsunein- deutigkeit zulassen. Und natürlich muss Asyl aufgrund der sexuellen Identität endlich anerkannt werden. Es kann nicht sein, dass Menschen in Länder abgeschoben werden, wo sie womöglich gesteinigt werden. Es ist ein Skandal, wenn deutsche Richter sagen, dass diese Menschen sich halt in „ihren Heimatländern benehmen“ sollen.
Stichwort Ehegattensplitting: Wie soll es da weitergehen? Müsste man das nicht ganz abschaffen und statt Ehen lieber Familien mit Kindern fördern?
Na, ganz abschaffen geht nicht so einfach, wir wollen es aber abschmelzen. Über 40 Prozent, die vom Ehegattensplitting profitieren, haben gar keine Kinder. Warum soll denn dann eine Institution Ehe gefördert werden? Es geht darum, das Leben mit Kindern zu fördern. Deshalb wollen wir das Ehegattensplitting reformieren und abschmelzen. Aber eines ist auch klar: Solange es das Splitting noch gibt, muss es selbstverständlich auch für gleichgeschlechtliche Paare gelten.
Flächendeckender Mindestlohn: Wie schnell käme der...
Sofort!
... nach einem Wahlsieg von Rot-Grün?
Sofort! Ehegleichstellung können wir auch sofort machen. Wir haben ja jetzt andere Mehrheiten im Bundesrat (im Gegensatz zu der ersten rot-grünen Regierung im Bund. Anm. d. Red.). Und Lohnentgeltgleichheitsgesetz können wir auch sofort beschließen, damit Frauen endlich gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit bekommen.
Früher waren Demos gegen die Castortransporte grüne Selbstverständlichkeit. Unter der rot-grünen Regierung nannte sie Herr Trittin plötzlich illegitim.
... und die Parteivorsitzende Claudia Roth ist zum Protestieren gegangen.
Wie viel Rückhalt hat die außerparlamentarische Opposition noch bei euch?
Das war schon keine leichte Zeit, keine Frage. Wie gesagt war die Erwartungshaltung 1998 riesig von uns selbst und auch von den Bewegungen. Damals ist was auseinandergebrochen. Aber ich glaube, wir haben über die Jahre deutlich gemacht, wie eng wir mit den Protestierenden und den Verbänden verbunden sind. Denn eines ist klar: Ohne eine starke Bewegung schaffen wir es nicht, unsere Ideen durchzusetzen.
Interview: Gloria Viagra
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