Interview

Mashrou’ Leila: „In Ägypten und Jordanien sind wir verbannt“

16. März 2019 Linus Volkmann
Mashrou’ Leila

Wir sprachen mit Hamed Sinno, dem schwulen Frontmann der libanesischen Indiepop-Band Mashrou’ Leila, über sein Coming-out, Auftrittsverbote und queeren Widerstand

Hamed, eure Band feierte in 2019 ihr zehnjähriges Bestehen. Welche Musik hat euch einst inspiriert, überhaupt loszulegen? Unsere Zugänge zu Musik sind bis heute sehr unterschiedlich. Wir hören wirklich alles. Und damit meine ich nicht, die Charts rauf und runter, sondern wirklich alles ... bis hin zu obskurem Kehlkopfgesang. Aber was uns damals fehlte, war Musik, die uns repräsentierte. Als ich ein Jugendlicher war, habe ich beispielsweise Grunge aus Seattle gehört – und hatte damals natürlich dieses Gefühl, es ging um mich in diesen Songs. Diese Form der Identifikation fehlte uns in der aktuellen arabischen Musik. Das gab den Auslöser, selbst eine Band gründen zu wollen.

Es ging euch also um eine ganz neue, eigene Musik? Nein, das kann man nicht sagen. Wenn man tiefer eintaucht in arabische Musik, dann merkt man, dass alles dort schon angelegt ist. Es ist eine so reiche Tradition – bloß sind fast alle Spuren verwischt, weil die Popindustrie so omnipräsent ist und ganz vieles zukleistert.

Seid ihr mit eurem Sound heute Teil einer Szene in Beirut oder steht ihr ganz für euch? Es gibt hier keine große Musikszene, alles findet sich aufgeteilt in unzählige kleine Blasen. Insofern stehen die meisten Bands eher für sich. Was nicht schlimm ist, allerdings gibt es so viele Talente in der Stadt, und es ist eine Schande, dass sie keine staatliche Förderung erfahren – und somit ganz viel tolle libanesische Musik sich nie entfalten kann und nie den Weg nach draußen findet.

In den Texten deiner Band formulierst du sehr offen. Es geht in satirischer Form oft um Politik, Gesellschaft, um Sexualität – habt ihr es in eurer Heimat schon mit Zensur zu tun bekommen? Nein, im Libanon nicht, allerdings in Ägypten und Jordanien. Obwohl man das vielleicht gar nicht Zensur nennen kann, von dort sind wir einfach komplett verbannt. Wir können dort nicht mal mehr einreisen mit der Band.

Euer Bann in Ägypten lässt sich sehr konkret zurückführen auf ein Konzert im September 2017. Dort wurde die Regenbogenflagge gezeigt. Infolgedessen kam es zu Verhaftungen. Wir haben die Flagge selbst nicht gezeigt, das kam aus dem Publikum – und ja, das war der Auslöser, dass wir dort nun verbannt sind. Die Regierung ist aufs Lächerlichste homophob – und es ist natürlich tragisch, dass das für fünf Besucher des Konzerts bedeutete, dass sie eingesperrt wurden.

Wie kann man als Künstler auf so etwas reagieren?
Wir versuchten natürlich, unseren Beitrag zu leisten, um noch mehr internationale Aufmerksamkeit zu erreichen, die der Fall ohnehin bekam. So ließ sich auf die ägyptische Regierung konkret Druck aufbauen, und es war den meisten der im Zuge des Konzerts Inhaftierten möglich, Ägypten zu verlassen und zumindest die Möglichkeit zu ergreifen, in anderen Ländern um Asyl zu bitten.

Mit diesem Vorfall hat eure Band das Label bekommen, Protagonist des queeren Widerstands im arabischen Raum zu sein. Nehmt ihr das an – oder ist es eine Nummer zu groß? Letztlich ist es beides für mich. Als ich aufgewachsen bin und mir meiner Sexualität bewusst wurde, da habe ich mich wahnsinnig allein gefühlt. Dass ich mich zu Männern hingezogen fühlte, das war etwas, mit dem ich erst mal meinen Frieden machen musste. Dabei half mir amerikanisches Fernsehen, dabei halfen mir Texte von Allen Ginsberg, James Baldwin oder auch Oscar Wilde. Einfach nur zu sehen, dass andere queere Menschen existierten, hat mir so viel bedeutet und mir das Gefühl der Einsamkeit genommen. Nicht ich war die einzige Ausnahme, nicht ich war das Problem. Daher wusste ich, dass ich als Musiker auch eine Verantwortung besitze – und habe mich bewusst zu meinem Coming-out entschieden. Damit queere Teenager in unserer Region, die sich ähnlich fühlen wie ich mich damals, jemanden sehen können, der ist wie sie. Und vor allem: Dass dieser jemand ein Leben hat und dass ihm das auch zusteht.

Könnt ihr als Band im Nahen Osten Reformen anstoßen? Ehrlich gesagt klingt das für mich auf jeden Fall reizvoll. Aber man muss natürlich auch die Grenzen seines eigenen Einflusses erkennen. Ich bin Musiker und kein Politiker. Als Künstler strickst du lediglich mit an einem kulturellen Netz, das bestenfalls diejenigen positiv beeinflusst, die die Macht besitzen.

Du akzeptierst aber, dass du nicht nur Musiker, sondern auch Role Model bist? Auf jeden Fall – und wenn ich mit jemandem von einem queeren Magazin rede, dann macht es für mich Sinn, dass wir über solche Themen sprechen. Allerdings frustriert es mich ziemlich, wenn ich mal wieder einem Musikmagazin ein Interview gebe und es geht immer nur um mich und meine Sexualität – und nicht um unsere Musik. Verdammt, ich wache doch morgens nicht auf und denke mir: „Okay, heute will ich mal wieder ein berufsmäßiger Homosexueller sein.“

Diese Eingrenzung verstellt ja nicht nur den Blick auf die Musik, sondern auch auf den Rest der Band. Ganz genau. Meine Musikerkollegen sind nicht schwul und deren Storys werden immer wieder unsichtbar gemacht. Dabei liegt es doch eigentlich auf der Hand, dass hier spannende Dinge zu finden sind. Ich meine, das sind meine Gefährten, und sie sind straight. Das bedeutet für sie, dass sie tagtäglich mit Homophobie konfrontiert sind, ohne schwul zu sein. Das ist eine ziemlich verrückte Position, die sie da einnehmen. Manchmal denke ich, ihre Rolle ist noch viel spezieller als meine eigene. Aber ich möchte mich nicht beschweren. Es ist ein Privileg, gehört zu werden und meine Sicht auf die Dinge mitteilen zu können. Auch wenn es sicher schön wäre, auch einfach mal als Musiker wahrgenommen zu werden.

Verständlich. Eine politische Frage habe ich trotzdem noch. Welchen Einfluss hat der Krieg in Syrien auf das Leben im Libanon? Der Libanon ist ja unwahrscheinlich gefickt, nicht nur durch den Bürgerkrieg (1975–1990, Anm. d. Red.). Wir haben hier auch wahnsinnig korrupte Politiker, die sich auf Kosten der Bevölkerung bereichern. Unser Wasser ist verschmutzt, die elektrische Versorgung, unsere Internetverbindungen sind ein Witz, genau wie die gesamte Infrastruktur. Aber in dem Moment, als der Syrienkrieg ausbrach und wir diese vielen fliehenden Menschen aufnahmen, haben die Politiker sich darum bemüht, den Geflüchteten die Schuld für all diese Mängel in unserem Land anzulasten. Blame the refugees. Wie furchtbar das ist – und noch furchtbarer war es für mich, zu sehen, wie viele Libanesen bereit sind, diese Story zu glauben.

Das ist ja ein Phänomen, das nicht nur auf den Libanon beschränkt bleibt. Das stimmt, es ist ein Problem in Deutschland, in Frankreich, in den USA, in Venezuela – überall. Es ist eine globale Katastrophe. Der Libanon hat zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Aber das war alternativlos, niemand hat sich freiwillig auf die Reise gemacht, sie retten sich verdammt noch mal vor den Auswirkungen eines Krieges.

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