Klimapolitik

Faggots for Future: Queerer Klimaaktivismus

17. Juni 2019
Frank Schumacher (li.) und Tadzio Müller © Andy Caballaro

Als „Faggots for Future“ sind Tadzio Müller und sein Mann Frank Schumacher bei den Protesten junger Klimaaktivist*innen in Berlin dabei. Wir trafen sie zum Gespräch

Seit einigen Wochen sorgen Tadzio Müller (42) und sein Mann Frank Schumacher (52) bei den Protesten junger Klimaaktivist*innen vor dem Berliner Wirtschaftsministerium mit ihrem „Faggots for Future“-Schild für Aufsehen – Einhorn und Fetisch-Outfits inklusive. SIEGESSÄULE wurde neugierig und traf die ungewöhnlichen Aktivisten zum Interview

Tadzio, als Politikwissenschaftler und Klimareferent einer politischen Stiftung bist du sozusagen hauptberuflich Aktivist. 2016 hast du dich mit einem öffentlichen Statement auf Facebook als HIV-positiv geoutet. Seitdem setzt du dich in den Medien ebenfalls vermehrt für die Rechte von LGBTI ein. Trotzdem blieben der Klima- und der „Faggot“-Aktivist in der Öffentlichkeit bis jetzt voneinander getrennt. Warum? Tadzio: 2015/16 – als ich schon einige Jahre positiv war – merkte ich, wie mich das Aufrechterhalten dieser Trennung der verschiedenen Formen von politischem Aktivismus total schwächte. In all meinen Beziehungen mussten meine Partner und Partnerinnen – ja, ich war auch mal mit einer Frau zusammen – entweder meine sexuelle Orientierung, meine Kinkyness oder meine politische Aktivität ausblenden. Am Anfang bin ich in die Schwulenszene nur zum Ficken gegangen. Ich dachte, wenn ich da über Politik rede, werde ich nur ausgelacht. Die linke Szene und die schwule Sexszene – Kopf und Körper – gehörten für mich einfach nicht zusammen. Frank ist der erste Partner, bei dem ich nichts ausblenden muss. Wir stehen durch meine Arbeit als Aktivist und Franks jahrelange Arbeit im SlingKing an einer wichtigen Schnittstelle zwischen Schwulenszene und linkem Klimaaktivismus, und haben festgestellt, wie viel Kraft darin liegt, diese verschiedenen Seiten zusammenzubringen.

Nun protestiert ihr mit dem Slogan „Faggots for Future“ neben Schüler*innen – ungewöhnliche Kombination. Worum geht es bei den „Fridays for Future“-Protesten? T: Seit 20 Jahren reden wir über den Klimawandel und seit 20 Jahren gibt es keinen Klimaschutz! Wir versuchen ein normales Leben in einer Welt zu leben, die eigentlich total am Arsch ist. In der Psychologie nennt man diesen Prozess „Normalisieren“. Aufgrund ihres leichten Aspergers konnte die junge Schwedin Greta Thunberg das aber nicht ignorieren. Sie setzte sich aus Protest jeden Freitag vor den schwedischen Regierungssitz – und wurde von Leuten in der ganzen Welt gesehen. Seitdem gibt es eine Bewegung von Schüler*innen, die immer wieder auf die Straße gehen und nicht nur der Politik, sondern unserer ganzen Generation sagen: You fucked up!

Sind erwachsene Schwule bei Schüler*innen-Protesten nicht etwas fehl am Platz? T: Es gibt dort auch „Parents“, „Scientists“ oder „Bauarbeiter for Future“. Die Kids nehmen uns als Teil der Gesellschaft wahr, weil wir Teil ihrer Auseinandersetzung werden. Wir sind für sie nicht nur irgendwelche Freaks, die in Schöneberg in ihrem Ghetto leben. Wir waren im März auf einer Demo mit 20.000 Menschen – fünf bärtige Nasenring-Schwule –, und die Kids haben uns abgefeiert. Ich bin, seitdem ich 15 bin, auf Demos, und die sind meist tierisch öde. Obwohl die Schüler*innen im Grunde die blanke Angst vor der Zukunft auf die Straße treibt, haben sie eine ganz neue Form des radikalen Aktivismus, voller Lebensfreude.

Frank: Linke und Ökos sind immer so um Ernsthaftigkeit bemüht, weil sie der Meinung sind, dass sie sonst keiner mehr ernst nimmt. Bei den Schülern ist das anders.

T: Da geht ein Haufen 15-Jähriger auf die Straße, turnt vor den Polizisten herum und rollt sich vor Lachen auf dem Boden. Bei Linken und Ökos wird das Weltverbessern zur reinen Pflicht, für die Kids ist es aber auch fucking Fun!

Wie genau treten die „Faggots“ auf den Demos auf? T: Auf den Demos wollen wir den Leuten physisch zeigen, dass Weltretten nicht nur Verpflichtung ist, sondern auch Spaß machen darf. Die Leute sehen: Hey, der eine läuft vielleicht an der Leine des anderen, gibt Interviews und beide trinken Rum Cola. Bisher sind wir allerdings noch eine kleine Gruppe, es kann sich ja nicht jeder freitags freinehmen.

Warum ist die Bewegung gerade für uns Queers von Bedeutung? T: Durch ihr Asperger war Greta Thunberg in der Lage, die Rationalität dieser Welt auszuhebeln und den Wahnsinn aufzudecken, der dahintersteckt. Ich will, dass die Kids uns als Teil von „for Future“ sehen. Wir sind wie ihr – deshalb „Faggots for Future“. Je mehr nicht queere Menschen sich in einer Bewegung zusammen mit queeren Menschen sehen, desto mehr werden sie uns auch verteidigen.

Ist so ein gesamtgesellschaftlicher Zusammenschluss überhaupt möglich? T: Die „Unteilbar“-Demo war ein Moment, der gezeigt hat, dass das funktionieren kann. Da habe ich nicht aufgehört, ein schwuler Mann zu sein, der total auf SM steht, aber trotzdem war ich Teil einer diversen Gesellschaft, die sagt: Ey, ihr rechten Schweine, fuck off! Wir brauchen genau so etwas auch im Klimaaktivismus. „Faggots for Future“ ist unser Versuch, Klima- und Queer-Aktivismus zusammenzubringen: Auch wir haben eine Verantwortung, mit diesen Kids die Welt zu retten. Ja, wir wollen Spaß haben, ein exzessives Leben leben. Warum gilt es als pervers, wenn ich mich öffentlich auspeitschen lasse, während es niemand pervers findet, dass im Rheinland Braunkohle abgebaggert wird? Wir sind nicht wahnsinnig, weil wir Drogen nehmen und öffentlich SM-Sex haben, die Gesellschaft ist wahnsinnig!

Warum „Faggots“ und nicht „Queers for Future“? Ist euch die Trennung wichtig? F: Nein, wir haben uns „Faggots for Future“ genannt, weil es für uns als Alliteration funktioniert. Auf lange Sicht müssen und wollen wir beim Queer landen. Das ist unser politischer Anspruch. Der Querschnitt der Menschen bei den Kundgebungen ist unglaublich. Da steht der Siebenjährige neben den „Omas for Future“. Warum sollte dieser breite Querschnitt nicht auch mit den Queers machbar sein?

Was fordern die „Faggots for Future“ konkret von der Politik? T: Wir fordern erstens, dass ein Klimanotstand ausgerufen wird, damit Klimaschutz endlich die oberste politische Priorität bekommt, die er verdient. Zweitens fordern wir die Dekriminalisierung aller gesellschaftlichen Proteste dagegen, dass die Einigungen des Pariser Klimaabkommens von 2016 nicht eingehalten werden. Ich denke da an Bewegungen wie „Ende Gelände”, „Extinction Rebellion” oder „Fridays for Future”. Realer Klimaschutz geht nun mal von unten aus, denn wir haben ein Recht darauf zu sagen: What the fuck are you doing? Ihr zerstört unsere Zukunft!

Die queere Community differenziert sich inhaltlich und politisch immer weiter aus. Das sorgt oft für Uneinigkeit. Wie kann uns der Klimaschutz wieder zusammenbringen? T: Öko-Aktivismus ist anstrengend. Doch das Gefühl von Handlungsfähigkeit und mit der Welt connected zu sein, das ich habe, wenn ich mit einer Gruppe linker Aktivist*innen einen Tagebau lahmlege, ist im Grunde das, was ich in exzessiven Sex- und Partymomenten fühle. Aktivismus ist für viele Linke und Ökos reine Kopfsache, aber das entfremdet uns vom Rest der Gesellschaft. Wenn wir Körper und Kopf im Aktivismus zusammenbringen, überlassen wir diese Sachen nicht den Nazis und den Rechtspopulisten. Die mobilisieren beides nämlich sehr gut.

F: Wir müssen uns endlich wieder politisieren. Wir können uns nicht darauf ausruhen, was unsere Vorkämpfer*- innen erreicht haben. Denn das wird jetzt zurückgedreht und wir müssen wieder auf die Straße!

T: Die Schüler*innen sind eine ganze Generation. Sie sind nicht nur eine Klasse, Ethnie, Sexualität oder ein Geschlecht. Da sie als ganze Generation für eine neue Gesellschaft kämpfen, haben sie uns gezeigt: Wow, es ist möglich, so eine gesamtgesellschaftliche Verbesserungsperspektive zu schaffen. Wir können erst dann über uns und unsere Differenzen hinauswachsen, wenn wir für die Interessen aller eintreten. Queere Politik kann nicht nur für das Schaffen eigener Räume kämpfen. Denn wenn alles um uns herum zusammenbricht, dann brechen auch unsere Räume. Das steckt in diesem „for Future“ mit drin.

Interview: Andy Dohmen

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