SPD-Parteikonvent in Berlin: Schwule und Lesben im Koalitionspoker?

28.9. – Mitgliederbefragungen sind aus der Sicht von Führungsgremien immer eine heikle Sache, egal ob bei Parteien oder anderen Organisationen: Was, wenn am Ende nicht das gewünschte Ergebnis herauskommt?
So gesehen ist es eine respektabel demokratische Leistung, dass die SPD-Parteispitze ihren Wunsch nach Sondierungsgesprächen mit der CDU/CSU der Parteibasis zur Abstimmung vorlegte. Und es lief wie gewünscht: Beim gestrigen Parteikonvent im Kreuzberger Willy-Brandt-Haus stimmte eine große Mehrheit für das gegenseitige Betasten mit CDU/CSU. Diese Gespräche, die zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen führen könnten, beginnen kommende Woche. Die Gesprächsergebnisse werden laut gestrigem Beschluss wiederum mit der Basisvertretung der Partei beraten. SPD-intern wird sogar erwogen, auch über einen möglichen Koalitionsvertrag alle 470.000 Parteimitglieder abstimmen zu lassen. Dass alle Mitglieder einer Partei per Abstimmung Einfluss auf den Inhalt einer Koalitionsvereinbarung nehmen können – das wäre neu in Deutschland.
Eine Einigung mit der Union bei der Gleichstellung – wie soll das gehen?
Für die Gleichstellung von LSBTI könnte ein Mitgliederentscheid allerdings nicht ganz ungefährlich sein: Ist die Parteibasis der SPD schon so weit, Schwule, Lesben, Bi, Trans* und Inter* nicht nur zu akzeptieren, sondern ihre völlige Gleichstellung als nichtverhandelbares Regierungsziel in einer großen Koalition zu fordern?
Oder wird die Gleichstellung inklusive Eheöffnung und Adoptionsrecht im Koalitionspoker zur Verhandlungsmasse? Die Einigung mit einer Union, die ihren WählerInnen in den letzten Monaten sinngemäß „Gleichstellung nur über unsere Leiche“ versprach, dürfte schwer werden.
Die Berliner Schwusos (Arbeitsgemeinschaft der Lesben und Schwulen in der SPD) scheinen ein schlechtes Gefühl bei der Sache zu haben. „Wir sind keine Verhandlungsmasse“, stand auf den Schildern, mit denen sie gestern zu einer Anti-Koalitions-Demo vor der Parteizentrale im Willy-Brandt-Haus kamen. „Keine der zentralen Forderungen der Schwusos – allen voran die Öffnung der Ehe und das damit verbundene Ende von Diskriminierungen im Kindschaftsrecht – wäre in einer Koalition mit der Union durchsetzbar“, mahnten sie vorab in einer Pressemitteilung.
Marius Niespor und Petra Nowacki vom Schwuso-Koordinierungsteam befürchten eine „Aufweichung des SPD-Slogans 100 % Gleichstellung nur mit uns“. Mit diesem Spruch warb die SPD auf den großen CSD-Paraden 2013. „Daran werden wir in der Community gemessen“, so Niespor gegenüber siegessaeule.de. Und: „Es wäre möglich, dass der Partei andere Themen, wie zum Beispiel Rente wichtiger ist“.
Denkbar ist also, dass die Gleichstellung von Schwulen und Lesben als wachsweiche Willenserklärung im Koalitionsvertrag verendet.
Christian Mentz
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