Debatte

Wo bleibt die schwule Kavallerie? Eine Antwort auf David Bergers Forderung nach einer "schlagkräftigen Homo-Lobby", von Dirk Ludigs

13. Nov. 2013
Auch so eine pinke Einsatztruppe - Covermotiv der Siegessäule vom November 2009. Titelthema damals: „Wehrt euch! Ohne Angst durch den Kiez“

Es wird also mal wieder gestritten. Angesichts der absehbaren Weigerung der CDU/CSU mit dem Diskriminieren aufzuhören und der ebenso absehbaren Haltung der SPD, sich deswegen den Platz an den Fleischtrögen nicht nehmen zu lassen, hat Männer-Chefredakteur David Berger („Der heilige Schein“) den Schuldigen ausgemacht: der LSVD sei, kurz gesagt, von Staatsknete korrumpiert und müsse deshalb durch eine schlagkräftige Homo-Lobby ersetzt werden. Zur Verteidigung des LSVD eilte neben den üblichen Verdächtigen (Volker Beck als gefühlter Verbands-Mentor sowie die dazugehörigen Funktionäre) überraschenderweise auch Queer.de-Macher Micha Schulze, offensichtlich noch im Schreiben über sich selbst verwundert: „dass ich an meinem Geburtstag mal den LSVD verteidigen müsste, hätte ich auch nie gedacht“, schreibt er auf Facebook.

Schlagkräftige Homo-Lobby: muskelbepackte Pinkhemden?

Schlagkräftige Homo-Lobby, also. Geht es keine Nummer kleiner? Vor meinem inneren Auge marschieren schon die muskelbepackten Pinkhemden mit Regenbogenfahnen und Wunderkerzen bewaffnet in Glitzerstiefeln durchs Brandenburger Tor und stellen sich breitbeinig vor der CDU-Zentrale auf. Und das ist natürlich nur der militärische Arm! Die kleinen, verschwiegenen Maulwurf-Homos, die bei Nacht und Nebel durch die dunklen Flure huschen und schwulenpolitische Textbausteine in die Koalitionspapiere kopieren, die dicken, fetten Wirtschaftsschwulen, die mit dem Abzug von Milliarden von Pink-Euros von den Finanzmärkten drohen, wenn diese vermaledeite Homo-Ehe nicht endlich kommt ... schon abgefahren und supereinflussreich – so eine schlagkräftige Homo-Lobby!

Es wird sie schon alleine deshalb nicht geben, weil jeder der sie fordert, das Wesen der LGBTI*-Welt von Grund auf verkennt. Sie ist eben queer, bunt, verschieden und bis zum Platzen voll mit unterschiedlichsten Individuen. Sie ist in sich schon eine fragile Koalition der Andersartigen, die weder durch eine Religion, noch politische Überzeugung und schon gar nicht durch einen gemeinsamen Lebensentwurf zusammengehalten wird. Sie ist polymorph, pervers und in ihr streiten queere Studierende um Genderfragen, outen sich lesbische Verlegerinnen als Ehegegnerinnen und streiten Transgender sich mit Transsexuellen um das Für und Wider von Anpassungs-OPs. Selbst über die Existenz von Schwulen lässt sich trefflich streiten. Am Ende ist selbst das nur ein Sammelbegriff.

In diesem wilden Reigen der inneren Widersprüche ist der LSVD, wie Steven Milverton in seinem Blog nicht ganz zu Unrecht bemerkt, der eine Paradiesvogel, der offensichtlich am besten herausgefunden hat, wie man effektiv Staatsknete kapert, um damit mal mehr mal weniger unsinnige Dinge wie Respect Gaymes und manchmal richtig fitte Basisarbeit zu organisieren und in dem ein paar kluge Leute gute Arbeit machen – einen Manfred Bruns möchte man da mal als einen von einigen erwähnen – und eine Reihe Flaschen herumsitzen, die es sonstwo zu nichts bringen würden. Wie überall, halt.

Froh, dass es den schwullesbischen ADAC nicht und gibt und hoffentlich niemals geben wird

Was der LSVD nicht ist, niemals war, werden wird und nicht einmal laut Satzung sein möchte: ein Dachverband des Schwullesbischen. Wäre mit 4000 Mitgliedern auch ein Witz. Ich habe den LSVD in den letzten Jahrzehnten manchmal journalistisch unterstützt, oft mit ihm gehadert aber eines nie: mich von ihm vertreten gefühlt. Ich bin vielmehr immens froh, dass es den schwullesbischen ADAC nicht und gibt und hoffentlich niemals geben wird. Es ist auch nicht wahr, dass „die Politik“ den LSVD als alleinigen Vertreter schwullesbischer Interessen wahrnimmt. Politik wie ich sie erlebe, spricht mit vielen Gruppen, den Aids-Hilfen, den schwullesbischen Partei-Organisationen, den Anti-Gewalt-Gruppen, den Stiftungen, den Sportvereinen.


Dass wir in Deutschland in Sachen Gleichstellung ins Hintertreffen geraten sind, liegt nicht an der fehlenden Schlagkraft einer zusammenfantasierten Homo-Lobby (allein das Wort!), sondern daran, dass die historische (Fehl-)Entwicklung der Parteienlandschaft verhindert, dass gesellschaftliche und parlamentarische Mehrheiten, die längst da sind, in parlamentarische Abstimmungsergebnisse umgewandelt werden können. Die SPD vergeht sich gerade nicht nur an der schwullesbischen Gleichstellung, sondern an geschätzten drei Vierteln ihres Parteiprogramms. In einer Demokratie halten die Wählenden dafür einen Quittungsblock in der Hand.

Die bunte Welt der LGBTI*s aber wird nicht stärker, wenn „eine Interessenvertretung ihre Macht bündelt“ sondern ärmer. Wer sich eine Community wünscht, „die mit einer Stimme spricht“, der hat nicht verstanden, dass sie eine Diversity ist, die ihre Vielstimmigkeit zum Leben braucht, wie die Luft zum Atmen! In der politischen Satire „Lavendelschwert“ des begnadeten Felix Rexhausen aus dem Jahr 1966 scheitert eine schwule Revolution in Deutschland nach drei Tagen daran, dass das Fernsehen nur noch Opern sendet. Eine schlagkräftige Homo-Lobby taugt nicht einmal als Witz. Sie wäre der blanke Horror, das Gegenteil von allem, wofür diese Szene steht, ein Rückschritt auf ganzer Linie!
Dirk Ludigs

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