Videostream

Flucht, neue Freiheit und schwule Community in „Small Town Boy“

12. Jan. 2014
Thomas Wodianka und Aleksandar Radenković c Thomas Aurin

Starregisseur Falk Richter hat mit „Small Town Boy" ein Stück über schwule Sozialisation inszeniert. In episodischen Fragmenten und engagierten Monologen befasst sich das Projekt mit dem Ausbruch aus der Enge des Elternhauses, Erfahrungen in der Szene und homophober Politik. Am 1. April bietet das Maxim Gorki Theater das Stück ab 18 Uhr für 24 Stunden im Stream an!

Kurz nach Thomas Hitzlspergers Coming-out und der heftigen baden-württembergischen Bildungsplan-Debatte und kurz vor Sotschi feierte Falk Richters „Small Town Boy“ am 11.01.2014 im Gorki Theater Premiere. Das Stück beschreibt – der von Bronski Beat übernommene Titel deutet es an – eine schwule Sozialisationsgeschichte, und die Sensibilität für eine solche Geschichte hätte durch die genannten Ereignisse kaum größer sein können.

Gut zwei Stunden geht es um die Flucht aus dem engen Elternhaus, raus aus der Provinz, rein nach Berlin, es geht um die neue Freiheit, aber auch Unverbindlichkeit in der Homo-Szene. Jedoch eher episodisch-assoziativ statt klassisch-linear. Vier Männer und eine Frau spielen in wechselnden Rollen auf der sich immer wieder neu justierenden, mit cremefarbenem Flokati ausgekleideten Drehbühne.

„Small Town Boy“ ist aufrüttelnd, explizit, unterhaltsam, therapeutisch, voller Wahrheit und Herzblut

Der Realitätsbezug ist groß: Durchaus kritische Anspielungen auf die Szene, auf Berghain und SchwuZ, Grindr und Gayromeo lassen das Publikum lachen und klatschen, obwohl es zu einem großen Teil eben diese Szene bildet – sie selbst sind hier gemeint. Schließlich, und das ist die große Klimax, mündet „Small Town Boy“ in den Versuch einer politischen Mobilisierung. Furios klagt Thomas Wodianka im Kapitel „Frühling der Reaktionäre“ konservative Politiker*innen wie Aigner, Dobrindt, Merkel und Steinbach sowie den diktatorisch regierenden Putin in einem aggressiven Monolog für ihr homophobes Handeln an. Zugleich will er ein neues, starkes Community-Gefühl generieren.

Und das ist auch einer der Schönheitsfehler des Diskurs-Stücks: Hier will der Autor und Regisseur Falk Richter zu viel, der Monolog ist zu ambitioniert, er lässt das Stück zum Ende hin strapaziös zerfransen und in einen eher schwachen Schluss übergehen. Und dennoch: „Small Town Boy“ ist aufrüttelnd, explizit, unterhaltsam, therapeutisch, voller Wahrheit und Herzblut und verdient das Prädikat „besonders wertvoll“.

Michael Thiele

Videostream „Small Town Boy", 01.04.2020, ab 18:00, für 24 Stunden verfügbar: gorki.de/de/small-town-boy

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