Jan Feddersens Sotschi-Kolumne

Das Beste an Sotschi

24. Feb. 2014
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Warum die Olympischen Winterspiele aus queerer Sicht ein voller Erfolg waren – und was zu tun bleibt

Um es gleich zum Anfang zu sagen: Meine Heldinnen und Helden der olympischen Tage von Sotschi sind queerer Art. Die österreichische Skispringerin Daniela Iraschko-Stolz, eine verheiratete, offen lesbisch lebende Athletin, schaffte im zweiten Durchgang des erstmals ausgetragenen Skispringens der Frauen noch Silber. Gut und gerecht so! Mir gefiel, dass US-Präsident Barack Obama die diplomatische Delegation seines Landes kurzerhand als queer, schwul und lesbisch, profiliert wünschte. Also reisten der Eiskunstlaufolympiasieger Brian Boitano und die Tennislegende Billie Jean King an.

Jeden Tag eine Art Nachwuchs-Liberace: ganz bezaubernd

Sensationell auch die US-Kommentare im Eiskunstlaufen durch Tara Lipinski und Johnny Weir – letzterer lief wie beinah wie eine Karikatur tuntoider Magie durch die Kulissen von Sotschi. Jeden Tag eine Art Nachwuchs-Liberace: ganz bezaubernd.


Auch gefiel mir, ganz generell, dass wieder entsetzlich leidenschaftlich um Gold, Silber und Bronze gekämpft wurde. Schöne beeindruckende Männer und Frauen – da ist mein Blick natürlich immer der eines schwulen Mannes, aber es bleibt eine sportliche Perspektive. Schön, dass so oft die Richtigen gewonnen haben. Für Kenner empfehle ich die Ausstrahlung des deutschden Biathleten Erik Lesser, der aus der Nähe von Suhl stammt. Er hörte sich an wie einer, der noch keine mentale und rhetorische Coachingschule besucht hat. Zweifach Silber – der berührte mich mit am meisten, weil seine Freude so unroutiniert aussah und sich anhörte.

Das Beste an Sotschi war, dass über Menschenrechte diskutiert wurde

Aber das Beste an Sotschi war, dass über Menschenrechte diskutiert wurde. Über Verfolgung von Schwulen und Lesben in Russland. Über Homophobie zwischen Kaliningrad und Wladiwostok. Mag sein, dass das nur im zivilisierten Europa die Debatte wert war – aber russische LGBT-Aktivistinnen und -Aktivisten sagten uns, dass sie sich noch nie so kämpferisch unterstützt fühlen konnten wie während der Tage vor Sotschi und während der olympischen Tage selbst. Sie wussten, dass sie nicht allein sind und nicht mehr so einfach zu unterdrücken sind. Die Qualität dieser Winterspiele war erbracht, als sie noch nicht begonnen hatten. AktivistInnen in Moskau, Jekaterinburg. St. Petersburg und Odessa sagten, dass wir als Menschen in Deutschland oder aus anderen westlichen Ländern vor der eigenen Türe vor allem kehren sollten.


Damit verlassen wir das olympische Geschehen von Sotschi und sagen: Ja, recht haben sie. Vor der eigenen Tür ist noch viel zu tun. Die Öffnung der Eheparagraphen – und die Schulordnungen. Etwa wie in Baden-Württemberg. Hierzulande gilt es, Bündnisse zu schmieden. Heterosexuelle, liberale Eltern dazu zu bewegen, für schwule und lesbische LehrerInnen einzustehen – sie anzuregen, nicht mehr versteckt zu leben. Und auch der Sport schlechthin ist anregungsfähig. Die meisten, die sich gegen die homophobe Misere rund um Sotschi aussprachen, waren keine Deutschen. Der österreichische Skigott Hermann Maier zeigte sich in einem Statement solidarisch, auch der Skigoldmedaillengewinner Ted Ligety aus den USA. Warum aber nicht einer oder eine der deutschen Medaillengewinner – etwa der Rodelchampion Felix Loch? Hier ist noch viel Arbeit zu leisten - gegen die einheimische Ignoranz.

Der Tag nach Sotschi ist ein guter Tag, wenn er mit dieser Idee
begonnen würde.
Jan Feddersen

Olympisch im  „La Cage Aux Folles“

Was ist so schlecht daran, mit Klischees im Kopf SportlerInnen anzugucken?

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23.2. – Neulich beim Eiskunstlaufen der Männer: Gewinnen konnte der Japaner Yuzuru Hanyu, und er tat dies, obwohl er stürzte. Insgesamt aber ist er der würdigste Olympiasieger der Geschichte des Kringelns und Springens, also der Geschichte, die man Eiskunstlaufen nennt. Warum? Hanyu, der auf der Pressekonferenz nach seinem Sieg vor dem eigentlich favorisierten Kanadier Patrick Chang dieses und jenes über Fukushima zu Protokoll gab und sich in Schuldgefühlen erging – „Warum bin ich nicht im atomaren Krisengebiet geblieben und fuhr stattdessen ins Trainingscamp nach Kanada?“ -, dieser Hanyu sah in meinen Augen nicht gerade wie ein Mann aus.

Schon aus einer groben Perspektive erkannte man: eine sehr, sehr schlanke Gestalt mit flottem Haarschnitt; die Schultern schmal, der Brustkorb nicht minder, die Beinchen streichholzig und die langen Arme wie Tentakeln. Der Olympiasieger, der sich in die Ahnenreihe jener einsortierte, die Brian Boitano, John Curry, Robin Cousins und Ondrej Nepela einreihen konnte, wirkt wie ein Klischee aller Vorstellungen, die man vom Eiskunstlaufen so hat.

Nur Ignoranten – und sie sind alle auf gröbste Weise heterosexuell – verkennen, dass diese sportliche Disziplin zwar athletisch höchst anspruchsvoll ist. Auch Yuruyu Hanyus Physis ist empfindlichst auf Höchstleistungen getrimmt – blutzirkuläre Ausdauerfähigkeit, muskuläres Höchstfeingefühl -, aber er sieht eben nicht aus, wie man sich gewöhnlich einen Mann vorstellt. Hanyu, wie erwähnt aus mittlerer Entfernung angeguckt, nimmt sich gegen eine Kugelstoßerin wie ein Mädchen aus, das sich die Brüste hat eng anlegen lassen.

Die Tunte auf Kufen, die es allen heteronormativ aussehenden Kerlen gezeigt hat

Gewiefte LGBTI*-KorrekheitsinterpretInnen werden jetzt sagen: Wie kann ich nur? Männer müssen doch nicht wie Bobfahrer aussehen, Männer können einen Körper haben ... Und so weiter und so fort! Weiß ich doch. Die Welt der Körper, männlich wie weiblich und ohnehin auch alle anderen, ist so verschieden wie jedes Staubkorn auf Erden. Aber hat man immer diese reflektierte Perspektive im Kopf – ja, die gesehene Wirklichkeit ist nur eine persönlich justierte, nicht schon die Wahrheit an sich -, dann ist es schön, Klischees auch gelten zu lassen. Und der Japaner ist ein lebendes Klischee: Die Tunte auf Kufen, die es allen heteronormativ aussehenden Kerlen gezeigt hat.

So ist der olympische Reiz: Auch Sport, der schwul aussieht, hat seinen Rang und nicht einmal einen minderen. Keine Goldmedaille ist besser als andere. Das ist wie beim Eishockey. Die Männer spielen traditionell ihr olympisches Turnier; die Frauen, schwer im Kommen, sehr lesbisch und butch, tun dies mittlerweile auch. Ihre Goldmedaillen wiegen so schwer wie jede andere. Gut so.

Aber man soll sich nicht politisch-korrekt verstellen: Wer die eigenen Vorurteile immer als fragwürdig mitbedenkt, kann auch politisch moralisch nichts verkehrt machen. Insofern: Respekt vor dem Eiskunstläufer aus Japan, der das tuntigste Kürkostüm aller Zeiten trug. Der aussah, als sei er aus den Kulissen von „La Cage Aux Folles“ entsprungen. Er hat Großes vollbracht. Ich persönlich bevorzuge – Bobfahrer. Deren Tränen nach guten Läufen haben für mich Utopisches: Weiche Männer in harten Körperschalen. Aber auch das, ich weiß, ist nur eine persönliche Selbsterzählung.

Bodycheck

Immer noch gibt es olympische Disziplinen, die auf vermeintliche Gender-Eigenschaften Rücksicht nehmen. Warum eigentlich? 

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18.2. – Man könnte sich, mit dem gelassenen Blick historischen Überblicks, zurücklehnen und sagen: Olympisch ist vieles erreicht worden, was die gleichen Chancen von Männern und Frauen anbetrifft. Guckt man sich etwa an, wie sich sommers die olympische Leichtathletik entwickelt hat: Noch 1968 bei den Spielen von Mexiko war die Strecke über 400 Meter die längste Laufdistanz für Frauen. Als Begründung hieß es, Frauen seien körperlich weder in der Lage, dass sie harte Leistungen erbringen, schon gar keine mit Ausdauerqualität, noch sei es wünschenswert, dass sie ihre Körper schinden, denn das müsste sein, um sich auf Hochleistung zu schinden. Dies aber, summa summarum, schädige die natürlich Funktion der Frau als solcher, die Gebärfähigkeit.
 
Inzwischen ist es auch winters so: Fast alles ist auch weiblich, auch das Skispringen. Und ich möchte hoffen, dass die letzten Überbleibsel patriarchaler Diskriminierung und männlichen Hochmuts verschwinden werden. Dass es etwa noch keine Nordischen Kombiniererinnen gibt, also Frauen, die sowohl springen als auch hernach über Schnee schnell laufen. Dies gilt ebenso für das Rodeln, wo sich der Bundestrainer Norbert Loch neulich in Sotschi gegen einen Doppelsitzerinnenwettbewerb aussprach. Zwar ist das Männerduo auf einem Schlitten intern ohnehin als „Schwulenrodeln“ berüchtigt, was nicht Wunder nimmt, weil auf diesem Sportgerät ja tatsächlich zwei Männer so innig, ja, intimisierend vereint sind, dass man von einem mindestens homosozialen Konstrukt sprechen müsste. Aber Frauenrodeln im Doppelsitzer – das soll nicht eingeführt werden?
 
So wird es nicht sein, denn das Internationale Olympische Komitee, eine strikt marktwirtschaftlich orientierte Institution globalen Zuschnitts, hat stetig die gleichwertige Teilhabe von Frauen am Leistungssport gefördert – und zwar meist gegen den Widerstand der weltweiten Fachverbände. Rodeln ohne Doppelsitzerinnen? So denkt man vielleicht im deutschen Rodelverband, aber haltbar ist die Position nicht: Wie soll das denn begründet – außer auf geschmäcklerische denn logische Weise?
 
Okay, nur in Skandinavien sind Frauen im Leistungssport – auch in Teamform – ebenso populär wie Männer. Handballübertragungen in Dänemark bannen Millionen vor den TV-Schirmen; Langläuferinnen stiften in Norwegen auch patriotische Hysterie bei Männern.
 

Warum gibt es beim Frauen-Eishockey keinen „Bodycheck”?

In den Details locken noch mehr Diskriminierungen, auch im Wintersport. Fraueneishockey ist etabliert – wahrscheinlich werden die Amerikanerinnen oder die Kanadierinnen gewinnen. Und es ist eine Augenweide, diesem Sport zuzuschauen. Nicht aus heteronormativer Sicht, sondern aus queerer. Diese Frauen kämpfen mitreißend. Nur eines dürfen sie nicht: den Bodycheck. Also die grobe, körperrobuste Art der Rempelei. Im Männereishockey ist das ganz üblich und gehört zur Spielkultur dazu. Aber Frauen (und nebenbei: sehr überwiegend Lesben) ist das statutenwidrig.
 
Ich finde das gemein, ich finde das doof: Frauen, so muss man sagen, sollen Sport machen, wie sie wollen. Fragt doch auch keiner die Männer, ob Bodycheck deren Eier in Mitleidenschaft ziehen kann: Sie nehmen das Risiko auf sich, auch mit Gemächtschoner. Doch ohnehin gilt: So ist der Sport. Wer keine Hitze verträgt, soll nicht in kochen, hat schon Altkanzler Gerhard Schröder klug gewusst.
 
Womit der allerletzte Bereich der Butchness angesprochen werden muss: Diskriminierung von Männern. Inzwischen gibt es bei Sommerspielen – die nächsten in gut zwei Jahren in Rio de Janeiro – Diskriminierungen von Männern. Denn was ist mit der Rhythmischen Sportgymnastik oder dem Wasserballett – absolut anstrengend, aber nur Frauen vorbehalten?
 
Der Grund dafür, dass Männer diese Disziplinen nicht ausüben dürfen, wird nie offen ausgesprochen. Es sind Sportarten, die zu schwul aussehen. Mit Bällen, Reifen, Keulen und Bändern gymnastische Präzision zu vollenden, kann Männern nicht zugemutet werden: Das wäre, so verstehen wir das rhetorische Hüsteln hinter peinsam vor die Münder gehaltenen Händen, zu tuntig.
 
Die heterosexuelle Gleichstellung im Sport – gleiche Rechte, ebenso viele Disziplinen – werden wir noch erleben, dafür wird schon das IOC sorgen. Die Pulverisierung heteronormativer Gesetze, die nirgendwo kodiert sind, werden wir noch länger erkämpfen müssen. Inklusive Bodycheck!
Jan Feddersen

Kolumne vom 15.2.

Warum Skispringer nicht schwul sein können

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15.2. – Prinzipiell ist es natürlich so, dass, um eine eher langweilende Grundthese der queeren Kulturwissenschaft anzuführen, dass überall und in jeder Sphäre Schwule und Lesben sind. Trans vielleicht nicht, aber grundsätzlich könnten sie es. Das würfe zwar Probleme auf, aber das ist hier nicht mein Thema: Weshalb ein Balian Buschbaum, der mal eine Frau war und Yvonne hieß, nicht im Stabhochspringen die gleiche Leistung wie die üblichen Männer bringen könnte ...

Jedenfalls: Die These der Kulturwissenschaftler scheint mir deshalb so öde, ja, dauerhaft abtörnend, weil man sich schon an die „facts of life“ halten sollte. Dass etwa im pädagogischen Sektor mehr Frauen wirken als Männer – weil dieser Bereich eben wenig männerbeherrscht war und von ihnen zunächst nicht ernst genommen wurden. Ein Einfallstor für die Frauen seit dem späten 19. Jahrhundert – man sucht um Berufstätigkeit nach (damals neu) und verlegt sich auf leere und zu füllende Felder.

Beim Sport ist es so: Beim Skispringen der Frauen waren es Lesben wie die Österreichin Daniela Iraschko-Stolz – die heldinnenhaft trotz vieler Verletzungen noch Silber gewann -, die mit anderen Lesben die Avantgardesportart Skispringen voranbrachten. Es war und ist wie beim Frauenfußball: Die Heroes sind Lesben – wie auch viele Skiläuferinnen keine Heteras waren, ehe dieser Sport ein Bussi-Bussi-Ding auch für Heteronormatives wurde.

Sportarten, die im Glutkern des nationalen Interesses stehen, sind aber nach wie vor durch die Bank heteronormativ kodiert. Fußball etwa – und da ist neulich Thomas Hitzelsberger nur die vorläufige Ausnahme unter allen Regelfällen gewesen.

Turmspringen bei Sommerspielen und Skispringen im Winter unterscheiden sich freilich physisch kaum. Wer in diesen Disziplinen antritt, sollte, ja, muss höchstens 1,75 Meter hoch sein, sehr schlank und durchmuskuliert – und zwar mit jenen feinen, antrainierten Muskelfasern, die kurze, schnelle, hochkonzentrierte Kontraktionen geschmeidig machen. Da waltet keine rohe Kraft wie bei AnschieberInnen von BobfahrerInnen oder KugelstoßerInnen.

Aber Wasserspringen ist eben nicht von sehr starkem nationalen Interesse – es ist zu boyish, wirkt narzisstisch und damit, nun ja, „schwul“. Skispringer allerdings, bei denen Sportreporter stetig ins heterosexuelle Tirilieren und Grölen kommen („Da ist seine Freundin“, „Sie will ihn gleich herzen“, „Auch sie guckt traurig“) – sind nationale Helden in spe. Sie können nicht schwul sein, sie müssen als Zeugende mit dynastischen Absichten phantasiert werden.

Nicht wahr: Einer wie Sven Hannawald, der vor einem Jahrzehnt die Vierschanzentournee gewann und zwar unerreichterweise in allen Teilen siegte, sah so klischeeschwul aus wie es nur eben ging. Leicht umflorter, hauchzart anämisch sehnender Blick, mittellange Haare, makellose Physis, schmal und sehnig konnte gar nicht anders für Leute wie uns denn als schwul empfunden werden. Ist völlig einerlei, ob er es ist oder nicht, aber: Das Publikum wollte ihn als Nationalhelden und dichtete ihm Tag für Tag neue Freundinnen an. Heute ist er, nach überstandener Magersucht, ein olympisch ungekrönter Heroe, der aber immerhin eine Freundin hat.

Das beruhigt sehr das Reportervolk und das Publikum allermeist ja auch.

Bei den heutigen Skispringern, etwa Kamil Stoch, Severin Freund oder der Österreicher Gregor Schlierenzauer, käme jemand auf die Idee, unten, nach den Sprüngen, wartete ein Geliebter auf sie, der um sie fiebert und bangt.

Das zum Stand der heteronormativen Dinge im Sport – viel spricht dafür, dass, das als letztes Bedenken, es vor allem die Sportreporter und die Funktionäre sind, die selbst einem schwulen Athleten davon abraten würden, sich zu outen. Also ihre Liebe auch als selbstverständlich zu zeigen. Es wäre wie beim Fußball, wo Thomas Hitzelsberger unentwegt geraten bekam, mit dem antihomosexuellen Verstecken aufzuhören. Funktionäre und Trainer waren es hingegen, die ihm abrieten – weil die Fans doch keinen Spaß verstünden. In Wahrheit will dieser Funktionärskörper die heterosexuelle Ordnung bewahren – nicht die Fans. Die wollen nur Gold oder Silber oder Bronze.

Kolumne vom 12.2.

Eiskunstlauf - wie schwul ist das denn?

Eiskunstlauf gilt immer noch als schwule Domäne, doch zählt hier Leistung oder Eleganz?

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(Elegant und erfolgreich: Der Schwede Gillis Grafström, dreifacher Olympiasieger und dreifacher Weltmeister. Foto von den Olympischen Spielen 1924 in Chamonix.  © Wiki Common)

12.2. – Jeder und jede wusste das, schon immer. Eiskunstlaufen ist eine schwule Disziplin. Seit Anbeginn, damals schon, als Kringel in Form von Kufenkunst noch Teil der Sommerspiele war. Alle Disziplinen – seit 1976 auch das Eistanzen – leben nicht allein von sportlichen Schwierigkeiten, sondern von dem, was allgemein der „künstlerische Ausdruck“ genannt wird. Für Unkundige: Beim Eiskunstlaufen kommt es auf die zweite von vier Silben an – auf die Kunst. Wer einen dreifachen Axel – immer noch der schwierigste unter allen Sprüngen – aufs Eis schrauben kann, kann nicht gewinnen, wenn sein (oder ihr) gesamter Lauf ohne mimesche, gesamtkörperliche Bewegungen auskommt. Es muss ein wenig wie Ballett oder Tanz aussehen. Also mit dem Fuchteln von Armen, Hinternwackeln, sogar Augenaufschlägerei garniert werden. Das können Frauen noch am ehesten, und sie standen deshalb ja auch nie im „Verdacht“, vom, nun ja, „anderen Ufer“ zu sein. Männer hingegen kämpften – um einmal diesen heteronormativen Ausdruck zu benutzen – immer darum, dass sie zwar tänzeln und tanzen sollten, aber es sollte nicht schwul aussehen.

1976 wurde der britische Eiskunstläufer John Curry von den Zeitungen geoutet

1976 war es, als der Brite John Curry und der Kanadier Toller Cranston eine Ära der osteuropäischen Dominanz bei den Männern beendeten. Curry, ein Eleganzling wie aus dem Bilderbuch Maurice Béjarts, holte Gold, Cranston war eher der Hundertwasser des Eiskunstlaufs – expressiv beide, wie ein Gemälde von Rothko der Engländer, der Mann aus Toronto eher ein Jasper Johns. Kurz nach den Spielen von Innsbruck wurde Curry geoutet – von Zeitungen, auch von deutschen Blättern. Was sie herausprusteten war denunzierend gemeint – und den Tenor der früheren norwegischen Eiskönigin Sonia Henie aufgreifend, beim Eiskunstlaufen sollten nur Männer mitmachen. Man verstand: keine Schwulen, denn die sind keine Männer. So war das damals.

Und heute? Schwule US-Läufer gab es inzwischen viele, Rudy Galindo war nur der prominenteste unter ihnen. Der Olympiasieger von 1988, Brian Boitano, den Medien fest an die Seite von Katarina Witt zwangsphantasierten, ist in Sotschi Teil der von US-Präsident eingesetzten Delegation seines Landes – durchweg in queerem Sinne. Boitano war mit dieser Geste endgültig offen schwul, und die Tenniskönigin, Billie Jean King, ebenso. Aber: Ist Eiskunstlaufen nun schwul oder nicht? Ich würde sagen, dass es immer Disziplinen gab, in denen schwule Männer, die allesamt mit wenigstens brüchiger männlicher Identität (allein schon durch die Übermacht der klassischen Familie) ins Erwachsene gehen, Karriere machen konnten. Die B-Note für den künstlerischen Ausdruck – mithin das, was allgemein als weiblich assoziiert wird – konnten sie prima erfüllen.

Die richtige Zeit für Schwules im Eiskunstlauf ist, wenn einer einfach nur sensationell springt und pirouettiert

Es fing mit dem Schwulen, dem ins Heteronormative nicht Passenden, also oft im Eiskunstläuferischen an. Eine Domäne, wo das Gold nicht im körperlichen Zweikampf, im Raufen und Schlagen errungen wurde und wird. Viele schwule Männer, so habe ich es in meiner Generation erfahren, finden aber, dass es ohnehin nicht auf Leistung, auf Noten, auf Rankings ankomme. Sie gucken lieber das Schaulaufen, also die Show der Bestplatzierten – so von wegen: Schönheit geht vor Leistung. Ich finde das doof. Einen neunfachen Toe-Loop mit anschließend vierfachem Lutz kann jeder und jede springen im Schaulaufen: Da ist dann kein Konkurrenzdruck, da zählt es nicht. Was für mich zählt, ist: Dass man Leistung bringt, wenn das Momentum da ist. Wenn es die richtige Zeit ist.

Die richtige Zeit für Schwules im Eiskunstlauf wäre für mich, wenn einer einfach nur sensationell springt und pirouettiert – und allzu starkes Armgefuchtel sein lässt. Das ist nämlich nicht schwul, das ist ja kein Eurovision Song Contest nur mit glatterer Oberfläche, sondern Sport. Ist vielleicht Geschmackssache, ob man die Zarten oder Harten eher mag. Die Männerkonkurrenz im Eiskunstlaufen beginnt Donnerstag mit dem Kurzprogramm. Möge ein Kerl gewinnen, nicht ein Kerlchen in Rüschen.
Jan Feddersen

Zwei couragierte Sätze – Ban Ki-moon in Sotschi

Er hätte einfach nur den Gepflogenheiten entsprechend schöne Spiele wünschen können. Doch Ban Ki Moon nutzte die Gelegenheit, in Sotschi klare Worte zu finden

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7.2. – Sein Job ist gewöhnlich sich nur sehr begrenzt mit irgendwelchen Staaten anzulegen – am besten ist für seine Arbeit immer, dass die Big Player, zu denen alles in allem auch Russland noch gehört, mit ihm zufrieden sind. Für einen wie ihn, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, heißt das in gewisser Weise: Allen wohl und niemand weh tun. Im Zweifelsfall muss er eine gute Figur abgeben und die Vereinten Nationen repräsentieren.
Und doch sagte er gestern auf der 135. Generalversammlung des Internationalen Olympischen Komitees in Sotschi: „Wir alle müssen unsere Stimme erheben gegen Attacken gegen Lesben, Schwule, bisexuelle, transsexuelle und intersexuelle Menschen. Wir müssen uns gegen die Verhaftungen, Gefängnisstrafen und diskriminierenden Einschränkungen wehren, die ihnen drohen." Das sind zwei Sätze, die in jeder Hinsicht bemerkenswert sind.
Klar, es ist selbstverständlich, dass Homosexuelle, Trans*-Menschen und all die anderen, die nicht den Geboten der bekennenden Heterosexualität folgen, nicht verfolgt, geschlagen, diskriminiert und unanständig behandelt werden. Aber nur in den meisten westlichen Ländern. Die meisten Länder der UN würden diese Aussage nicht unterzeichnen. In manchen Staaten steht auf gelebtes Schwulsein die Todesstrafe.
Und in Russland ist voriges Jahr ein Gesetz verabschiedet worden, das freundliches, interessiertes Sprechen über Homosexuelles verbietet. Russlands „Queers“ sind die Parias einer Nation, die sich modern gibt und außerdem glaubt, die Modernität sei mit Bekenntnissen zur sogenannt „traditionellen Lebensweise“ (Mann-Frau-Kind und Sex mit Fortpflanzungszweck) zu haben.
Des UN-Generalsekretärs Worte repräsentieren keine Privatmeinung, sind keine persönliche Grille, bekundet auf irgendeinem diplomatischen Empfang. Er sagte dies auf der IOC-Versammlung – und diese Passage ging medial durch alle Welt. Das ist prima, das ist wunderbar – und dass der Koreaner seine Äußerung in Russland tat, sozusagen dem Gastgeber mitten ins Gesicht, verdient nur das Prädikat: couragiert und cool.
Er hätte sich mit Üblichem bescheiden können: Dass Russland ein Supergastgeber sei. Und so weiter und so fort – ganz öde und erwartbar. Ban Ki-Moon hat den Comment von diplomatischem Takt und Ton verletzt. Gut so!
Es gibt Stimmen in der deutschen Queer-Community, die sagen, Kritik an Russland aus westlich-liberaler Perspektive, komme einer kolonialen Haltung gleich. Kolonialistisch zu denken ist ja momentan in linken Kreisen der Teufelsvorwurf schlechthin. Nun, aus meiner Perspektive sind alle Einmischungen, die einer universalen Durchsetzung von Menschenrechten, natürlich auch von Lesben, Schwulen, Trans* und Inter dienen, gut. Sie sind nicht kolonialistisch inspiriert, sondern einem Comment, der dem Individuum moralisch das höchste Recht gibt. Wer Kritik als westlich und kolonial geißelt, muss gegen jegliche Einmischung sein: Historisch war dies etwa eine der US-Truppen gegen den Nationalsozialismus oder der Kampf der Nordstaaten in den USA gegen die sklavenhalterischen Südstaaten. Kulturen stehen nicht unter Artenschutz, nirgendwo. Wenn Russlands Politik- und Kulturelite denkt, nur Heterosexualität sei akzeptabel und sei Ausdruck russischer Kultur: Dann verdient sie es, „kolonial” zerbröselt zu werden.
Um zum mutigen Ban Ki-moon zurückzukommen: Schade, dass kein deutscher Spitzenfunktionär des Sports, etwa Michael Vesper, Generaldirektor des „Deutschen Olympischen Sport Bund“, zu solcher Deutlichkeit sich durchringen wollte. Es hätte keinen Sportler, keine Sportlerin vor den Wettkämpfen beeinträchtigt: Es wäre nur eine Geste gewesen. Eine, wofür ein rechtsstaatliches Land wie die Bundesrepublik steht. Für die Wertschätzung auch queerer Lebensweisen.
Er hat es nicht getan. Deprimierend, das!
Jan Feddersen

Kolumne vom 6. Februar:

Start der siegessaeule.de-Kolumne zu den Olympischen Winterspielen. Von Jan Feddersen

Sotschi – Ein Erfolg schon jetzt

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6.2. – Die Olympischen Winterspiele am Schwarzen Meer sollten ein Prestigeprojekt von Wladimir Putin werden. Durch nicht nur ausländische Kritik an der Verfolgung Homosexueller wird alles anders als vom russischen Präsident geplant. Eine queere Erfolgsgeschichte?
Von Jan Feddersen

Es fällt heterosexuellen KollegInnen oft nicht leicht, LGBTI*-Rechte als allgemein interessant anzuerkennen. Klar, man weiß, geht es jetzt auf die Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Sotschi zu, machen die reinen Sportjournalisten am ehesten zu: Am liebsten hätten sie, dass es um GoldSilberBronze, um Platzierungen, also um das Übliche zivilisierter Wettkämpfe in Form von Leibesübungen geht.

Aber zu diesen Olympischen Spielen haben wir es geschafft, Teil des allgemeinen politischen Redens und Debattierens im Westen zu werden. Das ist ungefähr so verlaufen wie es auch beim Eurovision Song Contest war: Das ganze Ding war schon immer eine queere Veranstaltung, aber erst, als in Moskau 2009 eine mehrtausendköpfige Miliz einen harmlosen CSD mit drei Dutzend TeilnehmerInnen mit Schlagstöcken und Schutzschilden zerstörte, vermeldete dies auch die „Tagesschau“ – und dass es am Rande des Popfestivals stattfand.

Endlich werden unsere menschen- rechtlichen Fragen über unsere Szene hinaus erörtert

Man könnte sagen: Endlich sind unsere menschenrechtlichen Fragen – vor allem dann, wenn sie negativ beschieden werden – auch solche, die über unsere Szene hinaus erörtert werden. Was Sotschi anbetrifft, muss man die Voraussetzungen benennen: Wladimir Putin, Präsident oder Ministerpräsident, einerlei, jedenfalls der mächtigste Mann der früheren Sowjetunion, erwärmte sich vor zehn Jahren für die Idee, dieses prestigesatte Event nach Russland zu holen. Es galt, sein Land als potent zu profilieren, nicht nur als Landwüste, die die Trümmer des Sozialismus nicht weggeschaufelt bekommt. 2007 bekam Sotschi den Zuschlag – ausgerechnet im mittelamerikanischen Guatemala.

Um beinahe jeden Preis wurde im subtropischen Klima von Sotschi und in den nahen kaukasischen Bergen dieses Projekt realisiert: In Deutschland wäre es gescheitert, weil die Machtmaschine um Putin und seine Oligarchen alles planierten, was an Protest im Wege stand. Was man unter der gnädigen Decke des Schnees dann nicht mehr sehen wird, ist, dass diese Spiele mit dem Blut, dem Schweiß und den Tränen von Wander- und Gastarbeitern aus den vorderasiatischen Nachbarländern Russlands, auf Kosten der Umwelt und auch zulasten der Bewohner Sotschis möglich gemacht wurden.

Aber: Das Land ist weithin begeistert, eine Welle von patriotischer Begeisterung überschwappt das Land. Es sind, eine Filmrecherche für Bilder aus sehr frühen Tagen belegt das, gleiche Begeisterungsgefühle wie sie auch aus Deutschland vor den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin überliefert sind. Das bisschen Jüdisches, das wird uns das Ausland schon verzeihen. Das tat das Ausland aber damals nicht durch die Bank – und auch in Sotschi werden nicht alle sportpolitischen Eliten Putin den gleichen Beifall spenden. Denn im vorigen Jahr hat das russische Parlament, die Duma, ein antihomosexuelles Gesetz verabschiedet, das angeblich lediglich gegen Pädos gerichtet ist, in Wahrheit aber alles gute, aufklärende und gewogene Sprechen über Schwules oder Lesbisches untersagt. Wer sich dieses Delikts schuldig macht, kann ins Gefängnis kommen.

Zusammengefasst: In Russland ist ein sexuelles Regime etabliert, das zwar Homosexualität nicht verbietet, aber Heterosexualität quasi zum Staatsziel erklärt. Dumm nur für Wladimir Putin und seine Leute, dass das nicht ohne Empörung im westlichen Ausland hingenommen wird. US-Präsident Barack Obama hat – eine schöne Geste – das offiziell-diplomatische amerikanische Team an der Spitze mit queeren Ikonen wie die Tennisspielerin Billie Jean King versehen. Hey, wir wertschätzen als Land auch schwule und lesbische Sportlerinnen, ließ sich deutlich verstehen.

Nicht minder scharf wird die Putiniade auch in den Niederlanden, in Skandinavien, in Frankreich, Kanada und Australien kritisiert – in allen Ländern, die für LGBTI*-Menschen weitgehend Bürgerrechte etabliert haben, ist einer wie Putin kein honoriger Mann mehr. Selbst der (heterosexuelle) Skiläufer Hermann Maier aus Österreich, eine Gott in seinem Land, monierte scharf an den Spielen von Sotschi, dass ihm unbehaglich sei, weil es diese antihomosexuellen Gesetze gebe.

Wir haben nichtschwule, nichtlesbische Solidarisierende gefunden

Ich finde, dass das unbedingt als Fortschritt genommen werden muss: Wir haben nichtschwule, nichtlesbische Solidarisierende gefunden – auch dies ein Ertrag von Mühen der Aufklärung. Die Frage des Boykotts der Winterspiele, die sich vor einem guten halben Jahr viele LGBTI*-Aktivisten gestellt hatten, ist vom Tisch. Russische BürgerrechtlerInnen aus der LGBTI*-Szene wollen unbedingt, dass kein Boykott stattfindet. Alle mögen kommen: Ein Boykott nütze nur Putin und heize die Stimmung gegen Lesben und Schwule in Russland an.

Das einzige Problem in Deutschland, scheint mir, ist, dass hierzulande kein besonders günstiges Klima herrscht, um auch Spitzensportlern aus dem Winterbereich zu motivieren, souverän, so wie Thomas Hitzelsberger, der Fußballer, als Lesben oder Schwule aufzutreten. Beim deutschen Wintersport, außerhalb des Eiskunstlaufs, ist alles heteronormativ.

Anders als in Vancouver vor vier Jahren wird es in Sotschi, natürlich, kein Queer House als Treffpunkt schwuler oder lesbischer OlympionikInnen geben. Dass das von vielen in den westlichen Öffentlichkeit für ein Problem gehalten wird, ist schon ein symbolischer Erfolg: Wir sind nicht mehr die im Dunkeln, die man nicht sieht. Gut so!

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Jan Feddersen, Jahrgang 1957, ist taz-Redakteur. Er koordiniert dort das Sotschi-Projekt – täglich mit Sonderseiten von den Olympischen Winterspielen. Sportliches interessiert ihn seit fortgeschrittenen Kindertagen – die Wettkämpfe vor allem. Schwules kam ihm dort erstmals 1976 in den Blick: Der britische Eiskunstläufer John Curry gewann Gold. Kurz nach den Spielen von Innsbruck wurde er von Zeitungen als schwul geoutet.

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