Undercover in rechten Netzwerken: Tobias Ginsburg

Allein unter Faschos

11. März 2022 Patsy l‘Amour laLove
Bild: Jean-Marc Turmes

Für sein Reportage-Buch „Die letzten Männer des Westens“ hat sich der Bestsellerautor Tobias Ginsburg undercover in die Abgründe rechtsextremer Szenen gewagt – von Deutschland über Polen bis in die USA. Damit konfrontierte er sich und nun die Leser*innen mit der immanenten Frauenverachtung, Queerfeindlichkeit und den tiefgreifenden Vernetzungen faschistischer Akteur*innen auf internationaler Ebene. Wir baten ihn zum Gespräch über sein bestürzend anschauliches Buch

Tobias, mit deinem neuen Buch verortest du dich irgendwo zwischen Gonzo-Journalismus, Abenteuerliteratur und der wallraffschen Tradition des Undercover-Reports. Und begibst dich mit dem Besuch von Naziveranstaltungen auf ziemlich gefährliches Terrain. Muss man für den Job ein guter Schauspieler sein – oder ein Hochstapler? Ich hab ganz klar die Kunst der Hochstapelei für mich entdeckt. Das mit der Schauspielerei vermuten viele, aber ich halte mich höchstens an Impro-Comedy-Regeln. Denn egal wie unangenehm oder gefährlich diese Menschen auch sind, will ich ihnen doch mit Empathie und offen entgegentreten. Ich will verstehen. Also muss ich meine Rolle spontan entwickeln, muss zuhören, verstehen, wie sie denken und was sie von mir erwarten. Das alles spiegele ich zurück, wiederhole das Gesagte, und so entstehen nach und nach mein Alter Ego und seine Story – und ich kann nachfühlen, wie Menschen in den Hass reingezogen werden.

Hast du dich da reingezogen gefühlt? Oft. Von außen ist es schwer zu verstehen, wie man so ein Unglücksdasein für sich wählen kann. Aber drinnen stellt sich gar nicht erst die Frage, weshalb sich junge Menschen so leicht radikalisieren lassen. Das Angebot der Rechtsextremen ist derart einfach zu begreifen, so archaisch, brachial verführerisch.

Zu den Angeboten gehören auch die in deinem Buch beschriebenen faschistischen Bratwurstorgien in Räumen, die nach Erbrochenem und Bier stinken. Ekel und Drastik sind etwas Interessantes. Würden wir uns in einem Café treffen, in dem es nach Pisse und Kotze riecht, würden wir aufstehen und gehen. Feiern wir abends in einem Punkclub, würden wir das tolerieren.

„Leider sind viele der ideologischen Positionen mainstreamtauglich."

Kritisiert man die Bratwürste und Besäufnisse, zielt man auf den falschen Punkt … Na ja, wenn du mit Maskulisten einen Tag lang Fleisch frisst, wird dir wirklich übel, und die Erlebnisse in so einem faschistischen Burschenschaftskeller gehen dir nicht mehr aus dem Kopf. Und doch ist das alles nicht so weit weg von uns. Männlichkeitswahn ist auch Mainstream, von der Fußball-Fankurve bis zum Hardcore- oder Gangsta-Rap-Konzert. Und leider sind auch viele der ideologischen Positionen mainstreamtauglich.

Du standest zwischen strammen Nazis bei einem Rechts-Rap Konzert im „Hühnerstall Spremberg“ – mich durchfuhren beim Lesen Ekel und Angst. Die Konfrontation nimmt mir die Furcht. Allein der Fakt, dass die extreme Rechte seit zehn Jahren global erstarkt und wie sehr wir das ignorieren oder relativieren, das macht wirklich Angst. Zu verstehen, wie nah uns der Hass ist und was die Leute da reinreißt, ist das Stärkste, was ich machen kann, um dieser Art zu denken das Handwerk zu legen.

Diese Feiern sind fast komplett Männerveranstaltungen – und auch der riefenstählerne Männerkörper wird gemeinsam gefeiert. Besonders schwul geht es trotzdem nicht zu ... Auf den ersten Blick ist dort vieles gay as fuck. Zugleich ist Homophobie einer der zentralen Talkingpoints, die ständige Hetze gegen „Genderideologie“, „Homolobby“, „Schwuchteln“ und „Soyboys“. Das ist wie eine Obsession. Und diese Talkingpoints funktionieren, damit erreicht man immer noch eine große Menge Leute.

„Ein schwuler Faschist mit echtem Humor und Timing – eine saugefährliche Mischung"

Hast du während deiner Recherchen auch queere Rechte getroffen? In den USA traf ich den Aktivisten Milo Yiannopoulos. Auch wenn seine Karriere zum Glück vorbei ist, hat er mit seiner ausgestellten Sexualität den amerikanischen Faschos geholfen, ihr Image aufzuhübschen. Ein schwuler Faschist mit echtem Humor und Timing – eine saugefährliche Mischung. Aber obwohl es natürlich rechtsextreme Schwule gibt, sind die in den Kreisen, in denen ich verkehrte, kaum anzutreffen.

Dafür konntest du bei der „Straight Pride Parade“ in Boston mitfeiern! Gott, habe ich mich geschämt …

Ein wichtiges Stilmittel der Proteste schien ja Ironie zu sein. Augenzwinkern, Clown- und Dinokostüme. Und eben Yiannopoulos. Haben schwulenfeindliche Faschos wenigstens einen brauchbaren Humor? Witzig ist das nicht, aber megaeffektiv. Das ist mehr so der Humor von Shitpostings auf Twitter oder Image-Boards, aber hinter dem pseudoironischen Gekicher kann man so schön die todernsten Absichten verstecken. Und dieses Ätzen gegen politische Korrektheit, Feminismus und LGBT-Bewegung ist nur ein Startpunkt für den Kampf gegen alles Progressive. So war‘s dann auch in Boston: Auf der Bühne hampelt der flamboyante Yiannopoulos, über den die Trump-Anhänger und Neonazis gleichermaßen ablachen können. Das war unendlich kurios.

Stellen Veranstaltungen wie diese „Straight Pride Parade“ eine Gefahr für queere Menschen dar? Man kann natürlich sagen: in Boston waren bloß 500 widerliche Edgelords, kleine Kicherfaschisten, Trump-Supporter und ein paar Evangelikale. Müssen wir das ernst nehmen? Und dann nennen sich die rechtsextremen Organisator*innen auch noch „Super Happy Fun America“. Wieder ein Augenzwinkern, als würden sie es doch nicht ganz ernst meinen. Aber die Organisatoren haben später beim Sturm aufs Kapitol in Washington mitgewirkt, einige auch persönlich, und sie haben Busfahrten dahin organisiert. Und unter den bizarr wirkenden Evangelikalen waren einflussreiche Leute dabei, auch eine, die in Texas sogenannte Konversionstherapien gegen Homosexualität anbietet. Mit einigem finanziellen Erfolg. Solche Veranstaltungen mögen also skurril wirken, aber das ist beabsichtigt. So wirkt es harmloser, und die Hemmschwelle, daran teilzunehmen, ist niedriger. Dahinter stehen gefährliche Netzwerke und Menschen, die sich weiter radikalisieren. Ich war davon ausgegangen, in den USA diese komischen kicherfaschistischen, augenzwinkernden Antifeminist*innen und Homofeinde zu treffen. Aber diese Zeit ist vorbei, die Jungs, die ich in den Wochen nach der Veranstaltung traf, hatten sich zu Ende radikalisiert. Vom Edgelord zum Möchtegern-Terroristen: Einer kam bewaffnet zu unserem Treffen, einer hat sich einer Neonazigruppierung angeschlossen, wieder andere erklärten mir die Vorzüge von weißem Gottesstaat oder Genozid.

„Die sogenannte Neue Rechte will sich modern geben, also agitiert man nicht gegen ,die Schwulen' sondern gegen obskure ,Homo- oder Translobbys'."

Diese vulgäre Homo- und Transfeindlichkeit sprang mir beim Lesen vor allem bei der Darstellung der rechten Netzwerke in Polen und in den USA entgegen. Siehst du einen Unterschied zu den deutschen Rechten? Ach, das grassiert genauso in der deutschen Szene, nur vielleicht noch ein bisschen eleganter. Früher oder später hatte ich mit all meinen Bekanntschaften – ob Handlanger oder mächtiger Profiteur – solche Taktikgespräche. Man spricht darüber, was funktioniert und was nicht. Und Homo- und Transfeindlichkeit waren konstant gegenwärtig. Egal ob Boston, Bautzen oder Warschau, die ideologischen Unterschiede sind minimal. Aber in Warschau erklärte mir ein extrem einflussreicher Klerikalfaschist, man habe in Polen eben die katholische Tradition, da sei das Feindbild Homosexualität dauerpräsent, in Deutschland müsse man das ein bisschen adaptieren. Die sogenannte Neue Rechte will sich eben modern geben, also agitiert man nicht gegen „die Schwulen“ sondern gegen obskure „Homo- oder Translobbys“, „Genderideologie“ und „Verweiblichung“. So können die Rechtsextremen auch in Deutschland in die Öffentlichkeit drängen – dieser Unsinn lässt sich inzwischen auch in großen deutschen Zeitungen lesen. Sie müssen ihren Schwulenhass also nur höflicher verpacken.

Mit Rassismus hält man sich da weniger zurück. Sicher, vor allem mit dem modernen Klassiker, dem Feindbild der bösen Muslime, die das Abendland abschaffen würden. Aber für dieses Narrativ fehlen die angeblich nachkommenden Horden. Und so greifen die Rechten auch hier zurück auf die Rückkehr zur männlichen Härte und die Verteidigung der Familie und mobilisieren damit massiv. Im Phantasma eines „großen Austausches“ kommt das dann alles zusammen: Ein von „Staatsfeminismus“ und „Homolobby“ verweiblichter Staat werde von „Alphas aus dem globalen Süden“ überrannt. Das mag albern klingen, ist aber eine zentrale Vorstellung der extremen Rechten. Daran glaubten auch die Mörder von Utoya, Christchurch oder Halle. Daran glauben auch Menschen, die heute im Bundestag sitzen.

Genau das bringt dein Buch nahe. Dafür hast du ja einiges auf dich genommen. Im Rückblick betrachtet: würdest du das noch mal auf dich nehmen? Niemals. Auf keinen Fall. Für kein Geld der Welt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in ein paar Monaten wieder unterwegs sein werde.

Tobias Ginsburg: „Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats“. Mit einem Vorwort von Günter Wallraff, Rowohlt, ‎ 336 Seiten, 16 Euro

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Zahlreiche Organisationen der deutschen LGBTIQ*-Community haben sich zum Bündnis Queere Nothilfe Ukraine zusammengeschlossen. Es werden Spenden gesammelt, die für die notwendige Versorgung oder Evakuierung queerer Menschen in der Ukraine verwendet werden. Link zur Spendenseite: https://altruja.de/nothilfe-ukraine/spende

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