„Anemonen sind meine Lieblings-Queerdos“ – Buch über queere Tierwelt
Die lesbische Berliner Autorin Magda Wystub lädt ein zu einer horizonterweiternden Reise in die Tierwelt. Ihr Buch „Queere Tiere“ – mit 33 Beispielen – wurde von Justin Time bunt und spielerisch illustriert. SIEGESSÄULE-Redakteurin Annabelle Georgen traf Wystub in Neukölln im Café
Magda, was war die Initialzündung für das Buch? Ich liebe es, zu schnorcheln, seit Neuestem tauche ich auch. Die Unterwasserwelt fasziniert mich total. Vor zwei Jahren war ich in Thailand und habe dort unglaublich viele tolle Lebewesen gesehen. Da ich ein absoluter Nerd bin, muss ich immer sofort nachlesen, wenn ich unter Wasser oder sonst wo was Neues sehe. So habe ich erfahren, dass ein Viertel aller Rifffische das Geschlecht ändert – manche sogar mehrmals. Je mehr ich in wissenschaftlichen Artikeln und im Internet nachlas, desto neugieriger wurde ich. Als ich wieder zu Hause war, wollte ich mehr über die queere Seite der Natur lesen. Aber es gab einfach kein einziges Buch auf Deutsch dazu. „Dann musst du wohl selbst eins schreiben“, dachte ich mir ...
Im Vorwort fragst du, warum all die tierischen Verhaltensweisen und Genderformen, die du vorstellst, Generationen von Kindern im Biologieunterricht vorenthalten wurden … Dieses Buch hätte ich mir als Teenie in der Schule sehr gewünscht. Stattdessen bin ich mit binären Schubladen und Heterosexualität als Norm aufgewachsen. Ich hoffe, dass unser Buch einigen Teenager*innen hilft und ihnen Argumente an die Hand gibt gegen konservative Mainstreamdiskurse. Da heißt es immer, Homosexualität und Nichtbinarität seien „wider die Natur“ oder Intergeschlechtlichkeit eine Ausnahme. Lasst uns den Spieß umdrehen und schauen, was die „Natur“ alles so zu bieten hat: und das ist endlose Vielfalt.
„Lasst uns den Spieß umdrehen und schauen, was die ‚Natur’ alles so zu bieten hat: und das ist endlose Vielfalt.“
Die Tiere, die du im Buch vorstellst, haben nicht alle Sex mit gleichgeschlechtlichen Partner*innen oder können ihr Geschlecht wechseln. Was sind queere Tiere für dich? Lesbisch, schwul und trans* sind alles Kategorien, die Menschen erfunden haben. Die können wir nicht einfach so auf Tiere überstülpen, weil wir nicht wissen, wie Tiere denken oder fühlen. Queer ist der machtkritische Blick, mit dem wir auf die Tierwelt schauen. Der Begriff „queer“ hinterfragt generell menschliche Kategorien und soziale Normen, insbesondere in Bezug auf Macht, auf Geschlechterrollen oder wie man Familie lebt. Daher kommen auch Tiere im Buch vor, die keinen gleichgeschlechtlichen Sex haben, wie das Rotstirnblatt-Hühnchen. Das ist ein lustiger Vogel, bei dem die Weibchen mit mehreren Männchen Sex haben. Die Männchen bauen die Nester, während das Weibchen bereits weitervögelt. An dieser Vögelin zeigt sich zum Beispiel der Nonsens des gängigen Klischees, dass Frauen weniger Lust auf Sex hätten als Männer.
Viele Meerestiere sind dabei. Gibt es eins, das dich besonders fasziniert? Die Anemonen sind meine absoluten Lieblings-Queerdos. Die meisten Arten sind intergeschlechtlich. Sie können sich geschlechtlich und ungeschlechtlich fortpflanzen. Das hängt auch von den Lebensbedingungen ab, von der Wassertemperatur oder ob andere Anemonen paarungsbereit sind.
Hast du ein Lieblingstier im Buch – eins, das du besonders abgefahren findest? Abgefahren finde ich sie tatsächlich alle. Und es sind auch wirklich alle 33 meine Lieblinge. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, wären es die Velvet Horns – die intergeschlechtlichen Weißwedelhirsche. Ihre äußeren Geschlechtsmerkmale sehen wie die von männlichen Hirschen aus, ihre Körperform ähnelt Weibchen. Ihr Geweih bleibt ihr Leben lang mit einem zarten Flaum bedeckt, daher der Name Velvet Horns. In der westlichen Kultur werden Hirsche mit Trophäenjagd und männlichem Platzhirschgehabe in Verbindung gebracht. Aber für indigene Kulturen Nordamerikas ist der Hirsch ein Symbol für Empathie und Fürsorge. Hirsche leben meist als Einzelgänger, die Velvet Horns hingegen in Gruppen. Und wenn sie auf verwaiste Kälbchen treffen, dann nehmen sie diese einfach in ihr Rudel auf. Sie symbolisieren für mich die Utopie einer solidarischen Gesellschaft, abseits unserer patriarchal-kapitalistischen Ellbogenmentalität: Statt physischer Stärke ist Empathie das Leitmotiv.
Magda Wystub: „Queere Tiere: Ein rebellischer Blick auf die ‚natürliche‘ Ordnung“ (Illustrationen von Justin Time), Favoritenpresse, 168 Seiten, 24 Euro
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