Neues Angebot für queere Menschen mit Krebserfahrungen
Queere Menschen mit Krebserfahrungen finden sich in klassischen Selbsthilfeangeboten oft nicht gut aufgehoben, insbesondere die jungen nicht. Die Initiative Treffpunkt Queer will diese Lücken füllen – und Platz machen für queere Perspektiven in Forschung und Versorgung
Jan war 25, als er vor zehn Jahren die Diagnose Darmkrebs erhielt. Als junger schwuler Mann stand er vor einer doppelten Herausforderung: mit dieser lebensbedrohlichen Krankheit und mit der neuen Lebenssituation klarzukommen. Als Krankenpfleger konnte er einschätzen, was medizinisch auf ihn zukommen würde. Bei den Selbsthilfegruppen allerdings fand er keinen Anschluss. Während er gerade seine Ausbildung abgeschlossen hatte, standen die anderen Teilnehmenden zumeist bereits am Ende ihres Berufslebens oder waren sogar schon in Rente. „Und in diesem Kontext als schwuler Mann zum Beispiel über Sexualität zu sprechen wäre mir unangenehm gewesen“, berichtet er im SIEGESSÄULE-Gespräch.
Die queere Perspektive fehlt
Eine Erfahrung, mit der Jan nicht allein sein wird. Rund 16.500 junge Menschen erkranken in Deutschland jährlich an Krebs, darunter selbstverständlich auch solche aus der LGBTIQ*-Community. Doch queere Menschen tauchen weder in den Hilfebroschüren noch in Studien auf. Diese Erfahrung hat Jan – inzwischen Psychologe und angehender Psychoonkologe – in den vergangenen Jahren im Rahmen der Recherche für seine Masterarbeit zu sexueller Gesundheit bei jungen Erwachsenen mit Krebs gemacht.
Nicht nur, dass in randomisierten, kontrollierten Studien nichtheterosexuelle Teilnehmende explizit ausgeschlossen werden: Queere Menschen tauchen in den Statistiken gar nicht auf und auch ihre besonderen Lebenswirklichkeiten werden in der Regel nicht berücksichtigt. Für Jan ist dies ein strukturelles Problem: „Wie soll man eine gute Versorgung planen, wenn man gar nicht weiß, was die Leute wirklich benötigen?“
„Während meiner Chemotherapie wurde mir nicht gesagt, dass penetrativer Sex in bestimmten Phasen gefährlich sein kann – einfach, weil davon ausgegangen wurde, dass ich heterosexuell bin.“
Nachholbedarf gibt es aber auch im Medizinbetrieb, gerade was den queersensiblen Umgang mit Patient*innen angeht. „Während meiner Chemotherapie wurde mir nicht gesagt, dass penetrativer Sex in bestimmten Phasen gefährlich sein kann – einfach, weil stillschweigend davon ausgegangen wurde, dass ich heterosexuell bin“, erzählt Jan. Solche Lücken können schwerwiegende Folgen haben. Und sie zeigen: Die queere Perspektive fehlt in der Versorgung wie in der Forschung und in der Öffentlichkeit.
Initiative Treffpunkt Queer: Von- und miteinander lernen
Damit sich dies ändert, hat Jan die bundesweite Initiative Treffpunkt Queer unter dem Dach der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs angestoßen. Ihm geht es „um Sichtbarkeit und Austausch, aber auch darum, gemeinsam Wissen zu teilen und von- und miteinander zu lernen“. Für die erste Kontaktaufnahme und Vernetzung sowie zum internen Austausch hat Jan neben einem Instagram-Kanal auch eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet.
Demnächst sollen erste Online-Treffen stattfinden, bei denen junge queere Menschen mit Krebserfahrung sich zu Themen wie Diskriminierung, Sexualität oder psychosozialen Angeboten austauschen. Und auch über Erfahrungen reden, die sie in klassischen Selbsthilfegruppen oder bei ihren Ärzt*innen vielleicht nicht zur Sprache bringen können: sei es über das Coming-out gegenüber medizinischem Personal, über das Körperbild oder Sexualität nach Operationen. Darüber hinaus arbeitet Jan darauf hin, Treffpunkt Queer zum Ansprechpartner für Wissenschaftler*innen in diesem Bereich zu machen – und vielleicht selbst Studien anzustoßen oder daran mitzuwirken.
Die Perspektiven queerer junger Erwachsener mit Krebserfahrung seien in der onkologischen Versorgung bislang kaum berücksichtigt worden.
Für Prof. Dr. med. Marie von Lilienfeld-Toal von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie kann diese Initiative tatsächlich zu einer Impulsgeberin für die Medizin werden – „für eine Versorgung, die Lebensrealitäten ernst nimmt, Diskriminierung abbaut und Diversität als Qualitätsmerkmal versteht“, erklärt sie gegenüber SIEGESSÄULE. Denn die Perspektiven queerer junger Erwachsener mit Krebserfahrung seien in der onkologischen Versorgung bislang kaum berücksichtigt worden – „mit spürbaren Folgen für Versorgung, Kommunikation und Vertrauen“.
Weitere Infos:
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