Archetypen und queere Kerle: Männerbilder im Gropius Bau

Die Gruppenausstellung „Masculinities: Liberation through Photography“ im Gropius Bau widmet sich den vielfältigen Konstruktionen von Männlichkeit seit den 60er-Jahren und legt dabei auch einen queeren Schwerpunkt
Fast könnte man sagen, ein mutiger Titel. In Zeiten, wo nicht wenige „Männlichkeit“ automatisch mit dem Begriff „toxisch“ zusammendenken, wirkt der Name der neuen Fotoausstellung im Martin-Gropius-Bau provozierend: „Masculinities“.
Aber schon die Verwendung der Mehrzahl lässt erahnen, dass der kritische Blick bei einer Ausstellung dieses Formats (im Sommer wurde sie schon im Londoner Barbican gezeigt) selbstverständlich voll mit eingepreist ist. Mehr als das: Der Untertitel „Liberation through Photography“ deutet an, dass Film und Fotografie seit den 60er-Jahren einen wichtigen Beitrag zur Befreiung und Bereicherung des Männerbildes geleistet haben.
Über 300 Arbeiten von 50 internationalen Künstler*innen rücken im Gropius Bau ein fließendes, performatives Identitätskonzept ins Blickfeld: Männlichkeit oder eben besser: Männlichkeiten, die nicht statisch und fix sind, sondern performativ hergestellt und sozial konstruiert werden.

Frischer Blick auf konventionelle Männlichkeiten
Aufgeteilt ist die Ausstellung in sechs Kapitel, die etwa die Themenfelder Vaterschaft oder Patriarchat kritisch unters Objektiv nehmen. Doch schon das Auftaktthema gibt die Richtung vor: „Disrupting the Archetype“ zeigt einen frischen Blick auf konventionelle männliche Archetypen wie Soldaten, Cowboys, Sportler oder Bodybuilder.
Die lesbische Fotografin Catherine Opie zeigt hier etwa aus ihrer Serie „High School Football“ einen Teenager in voller Montur. Sein wallendes Haar umspielt dabei seine Schultern. In dieser Abteilung findet sich auch die mit konventionellen Maßstäben nur schwer einzuordnenden Bilder von Taliban-Kämpfern des Fotografen Thomas Dworzak: Händchen haltend werfen sie aus kajalumrandeten Augen tiefe Blicke in die Kamera. Andere Aspekte der Ausstellung drehen sich um die Repräsentation des Schwarzen Körpers oder die weibliche Sicht auf Männer.

Queere Kultur im Fokus
Einen Schwerpunkt legt die Kuratorin Alona Pardo auf die queere Kultur und ihre politischen wie ästhetischen Ausdrucksformen. Den sexuellen Aufbruch der 70er- und 80er-Jahre etwa dokumentierte der Schwulenaktivist Peter Hujar. Seine Fotos sind Gegenbilder idealisierter Männlichkeit und stellen Männer, darunter viele seiner Freunde, von ihrer verletzlichen Seite dar. Der Künstler verstarb später an den Folgen von Aids, genau wie sein Kollege David Wojnarowicz. Im New York der späten 70er-Jahre inszenierte dieser sich selbst als Wiedergänger von Arthur Rimbaud – als urbaner, poetischer Außenseiter.
Eine der wichtigsten politischen Forderungen war in jenen Jahren die Sichtbarkeit von Schwulen und Lesben. Klar, dass hierzu die Fotografie einen wichtigen Beitrag leisten konnte. Geradezu pädagogisch muten die Fotos von Hal Fischer an, der im San Francisco der 70er-Jahre Schwule auf der Straße dokumentierte. Deren Mode, Schuhe, Hosen und Accessoires werden in der Serie „Gay Semiotics“ explizit benannt – ein „Lexikon der Reize“, wie es Hal Fischer selbst nannte. Vieles was damals zum Look erkoren wurde, gilt auch heute noch als tragbar – sieht man vielleicht von ultrakurzen Satinsporthöschen ab.
Dass Männlichkeit andererseits nicht zwangsläufig etwas mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zu tun haben muss, dokumentieren die humorvollen Arbeiten von Catherine Opie. Sie porträtiert sich selbst als ihr Drag-Alter-Ego Bo mit angeklebtem Schnurrbart. Facettenreichtum als politisches und ästhetisches Programm: Im Gropius Bau wird die Krise „der“ Männlichkeit zur ultimativen Chance für „Männlichkeiten“.

Masculinities: Liberation through Photography,
16.10.20–10.01.21, Gropius Bau, Niederkirchnerstr. 7, Kreuzberg
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