Das Leben Pier Paolo Pasolinis
Im Rahmen der Berlin Art Week macht die Ausstellung „Pier Paolo Pasolini. Porcili“ im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) den unermüdlichen Kampf des genialen Filmemachers gegen den italienischen Mainstream erlebbar
Seine Radikalität und Konsequenz wecken noch heute Erstaunen und Bewunderung: Pier Paolo Pasolini (1922–1975) mischte als vielseitiger Künstler und Intellektueller das Nachkriegsitalien auf. Ab den frühen 60er-Jahren wandte sich der Aktivist, Dichter und Schriftsteller vermehrt dem Medium Film zu, in dem er mit Werken wie „Theorema“, oder „Die 120 Tage von Sodom“ weltbekannt wurde. Mit seinen messerscharfen Gesellschaftsanalysen war der offen schwule Kommunist ein Systemsprenger – keine der harmlosen Skandalnudeln von heute, sondern ein permanentes Skandalon, omnipräsent als sperriger Künstler und Intellektueller – nicht nur in der italienischen Kulturwelt, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit. Genau diesen Aspekt rückt die Ausstellung im n.b.k. nun anhand zahlreicher Originalmaterialien in den Mittelpunkt: Fotografien, Filme, Zeitungen, Bücher und Filmkostüme belegen Pasolinis permanente Auflehnung gegen alle sozialen Konventionen – und die harschen bis hysterischen Reaktionen der italienischen Gesellschaft. „Nichts an ihm war konform“, so Giuseppe Garrera im Gespräch mit SIEGESSÄULE, der zusammen mit Cesare Pietroiusti die Ausstellung kuratierte: „Er irritierte selbst die Linke und sogar die Homosexuellen. Dabei spielte sein Erfolg eine wichtige Rolle: die Tatsache, dass er Bücher veröffentlichte, Filme drehte, ja sogar Artikel in der wichtigsten bürgerlichen Tageszeitung Italiens, Corriere della sera, veröffentlichte.“
„Nie akzeptierte Pasolini, sich auf das ‚geduldete‘ Ghetto der Homosexuellen zu beschränken, wo man unter sich bleibt.“
Auf den im n.b.k. ausgestellten Titelseiten ruft der Konsum- und Kapitalismuskritiker dazu auf, die gesamte italienische herrschende Klasse vor Gericht zu stellen, oder schlägt die Abschaffung der Schulpflicht und des Fernsehens vor. Als Homosexueller, Marxist und Atheist verfilmte er mit „Das 1. Evangelium – Matthäus“ das Leben Jesu oder drehte eine ganze Trilogie über Sex und das Glück des Körpers. Seine Nächte verbrachte er auf der Suche nach Sex mit jungen Männern in den Außenbezirken Roms und befreundete sich dort mit Straftätern und Ausgestoßenen. „Seine Homosexualität erlebte Pasolini als einen Segen und ein Symbol des Ungehorsams und der Rebellion“, so Cesare Pietroiusti. „Nie akzeptierte Pasolini, sich auf das ‚geduldete‘ Ghetto der Homosexuellen zu beschränken, wo man unter sich bleibt und dem Modell des ‚normalen‘ Paares gehorchend ein Heim und eine Familie gründet.“
Die Öffentlichkeit regierte geradezu panisch auf Pasolinis Homosexualität. „Der Machismo der bürgerlichen Welt fühlt sich von Pasolini bedroht: Ein Perverser, der nach Heterosexuellen giert und junge Männer verführt. Als ‚passiver‘ Homosexueller erntete er Verachtung und Spott, wurde die ‚Pasolina‘ genannt“, so Garrera. „Für die Rechte und die Linke und für die öffentliche Meinung insgesamt liebte Pasolini Schweineställe, er lebte in Schweineställen und besuchte sie.“ Wohl auch deshalb wählten die Kuratoren den Titel „Porcili“, die Schweineställe, für die Ausstellung. Er bezieht sich außerdem auf Pasolinis radikalen Film „Porcile“ von 1969, in dem er Kannibalismus und Zoophilie als Allegorien verwendete.
Geschmäht, verfolgt, ermordet
nbk.orgHunderte von Dokumenten lassen in der Ausstellung die Grausamkeit der Verfolgung Pasolinis wiederaufleben. Eine ganze Wand dokumentiert die mehr als 30 Prozesse, die gegen ihn angestrengt wurden – wegen Pornografie, Obszönität oder Verunglimpfung der Religion und Nation. Hinzu kommen konstante Schmähungen in den Medien: Gerüchte, Anschuldigungen, Andeutungen. In der Mitte des Ausstellungsraums belegen Dutzende von Karikaturen, Witze und Fotomontagen die Verspottung Pasolinis als Schriftsteller der Unterschicht und als perverser Homosexueller.
„Die Unbeugsamkeit seiner Ideen und seines Lebens und sein in jeder Hinsicht poetisches Wesen wurden immer als störendes Element empfunden.“
Im November 1975 schließlich wurde die Leiche des ermordeten Pasolini am Strand von Ostia aufgefunden, „wobei der Körper in einem schlammigen Boden zwischen Hütten und Müll zurückgelassen wurde, also in dem Schweinestall, den er – wie viele Italiener meinten – zur Feier des Ereignisses verdient hatte“, so Pietroiusti. Ein siebzehnjähriger Stricher wurde des Mordes für schuldig befunden. Er hatte angegeben, Pasolini hätte ihn entgegen der Vereinbarung von hinten zu penetrieren versucht – wie ein Zeitungsartikel süffisant ausbreitete. Wie viele andere glauben auch die Kuratoren der Berliner Ausstellung dieser Version nicht und vermuten eher eine missglückte exemplarische Bestrafung aus rechtsgerichteten politischen Kreisen. „Die Unbeugsamkeit seiner Ideen und seines Lebens und sein in jeder Hinsicht poetisches Wesen wurden immer als störendes Element empfunden. Deshalb haben viele seinen Tod mit Erleichterung aufgenommen. Und manche haben ihn sich gewünscht“, sagt Garrera.
Für die Kuratoren ist Pasolini auch fast 50 Jahre nach seinem Tod noch wichtig für nachwachsende queere Generationen. Auch weil er einer der wenigen Denker*innen war, die nicht nur theoretisch argumentierten, sondern Freude und Lust am Anderssein ganz konkret selbst vorlebten. Auch dem Visionär und Mahner Pasolini hat die Geschichte recht gegeben: Als unermüdlicher Konsumkritiker befürchtete er schon damals eine globale Gleichschaltung der Geschmäcker und eine Manipulation und Domestizierung der Körper. „Er sah eine Verflachung der Körper zu einem Hochglanzbild voraus“, meint Pietroiusti. „Wenn wir an die heutigen ‚Entwicklungen‘ der Schönheitschirurgie oder von Photoshop denken oder an die Selbstdarstellungen in den sogenannten sozialen Medien, dann hatte Pasolini wohl alles Recht, sich Sorgen zu machen. Um uns.“
Pier Paolo Pasolini. Porcili
11.09.–10.11.
Di–So 12:00–18:00, Do 12:00–20:00
Neuer Berliner Kunstverein
Chausseestr. 128/129, Mitte
Vernissage
11.09., 18:00
I Must Go. Tomorrow
Screening, Performance und Gespräch mit Ming Wong
30.10., 19:00
Werkschau Pier Paolo Pasolini
19.09.–10.11.
Babylon Kino
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