Debütroman von Jonathan Guggenberger: (Opfer-)Tod in Venedig

Die Novelle „Opferkunst“ ist das Erstlingswerk des bisexuellen Berliner Autors Jonathan Guggenberger. Es handelt von der letzten Performance eines Künstlers namens Aaron Geldorf auf der Biennale in Venedig 2024 – wo dieser sich als mediales Kunsthappening selbst in Brand setzt
Wie Jesus an ein Holzkreuz genagelt. Bekleidet nur mit einer feuerfesten Kufiya um die Hüfte. Kurz vor seinem Tod lässt Aaron Geldorf per Fernbedienung über sich in Leuchtbuchstaben die Worte aufleuchten: „Palestine will set us free! Palestine will live forever!“ Geldorfs enger Freund Enzo Bamberger, ein renommierter deutscher Kulturjournalist, erlebt diesen Feuertod live mit und ist zutiefst verstört. Von verschiedenen Zeitungen bekommt er den Auftrag, über die Hintergründe der Aktion zu schreiben. In tagebuchartigen Rückblicken erzählt er, wie er Geldorf kennen- und lieben lernte, von der gemeinsamen glücklichen Zeit in angesagten Galerien in Berlin, Partys im Berghain, Ficken 3000 und vom gemeinsamen Jetset-Leben. Er führt uns zurück zum 7. Oktober 2023 und der Frage, was danach mit Geldorf passierte.
Guggenberger verwebt dabei gekonnt reale Ereignisse, beispielsweise Details von der documenta fifteen, mit den fiktiven, überspitzten Handlungen seiner Story. Die Ähnlichkeit der Argumentationsmuster mit denen polemisch verkürzter Social-Media-Posts in Bezug auf Palästina/Israel löst dabei so manches Mal Gänsehaut aus.
„Ideologie muss sexy sein, muss auf der Ebene von intensiven Gefühlen ankommen, sonst würde sie gar nicht so ziehen.“
Als das Buch im Herbst 2024 erschien, berichteten fast alle Mainstreammedien darüber. Die schwule bzw. queere Handlungsebene wurde in den Besprechungen allerdings rigoros ignoriert, während LGBTIQ*-Medien den Titel gar nicht auf dem Schirm hatten. Im SIEGESSÄULE-Gespräch sagt Guggenberger rückblickend: „Dieser Erzählstrang wurde vom politischen Rahmen des Buches total überschattet. Dabei ist er mir unheimlich wichtig gewesen – auch, um mich darüber den politischen Themen des Buches zu nähern.“
Man merkt dem Text an, dass Guggenberger zu Strategien politischer Mobilisierung und Antisemitismus in sozialen Medien an der Hebrew University in Jerusalem forschte. Beispielsweise in der Figur des Enzo, der immer aus voller Überzeugung glaubt, allen moralisch überlegen zu sein und für die „einzig richtige Sache“ zu kämpfen. Im jungen, radikalen Künstler Aaron meint er seinen Erlöser für alles Elend der Welt gefunden zu haben. Bis die Dinge eskalieren.
„Ich denke, ohne Sex, ohne Liebe und ohne Missbrauch von Liebe versteht man Antisemitismus nicht“, so Guggenberger zu SIEGESSÄULE. „Genauso wenig die Attraktivität von propalästinensischem Protest, sei es in Teilen der queeren Community oder der Kunstwelt.“ Und weiter: „Ideologie muss sexy sein, muss auf der Ebene von intensiven Gefühlen ankommen, sonst würde sie gar nicht so ziehen.“
Guggenberger seziert in seiner Novelle treffend die spalterischen und aktionistisch vereinfachten Diskurse der letzten Jahre.
Guggenberger seziert in seiner Novelle ziemlich treffend die spalterischen und aktionistisch vereinfachten Diskurse der letzten Jahre. Ihm ist ein außerordentlich schöner, böser Text über die aktuellen polarisierenden Kontroversen gelungen, die auch die LGBTIQ*-Community auseinanderreißen.
Heute sagt er resigniert: „Es scheint, als ob die Probleme, mit denen ich mich im Buch auseinandersetze, schon gar nicht mehr beachtet werden, zumindest nicht im Kulturbereich. Künstler*innen, die fast zwei Jahre lang gegen staatliche Institutionen gehetzt, Kampagnen wie Strike Germany unterstützt haben oder zum Boykott ihrer israelischen Kolleg*innen aufriefen, werden von denselben Institutionen gerade rehabilitiert. Haben wir in der Kultur etwas gelernt?“ Seine Antwort: „Nein, leider nicht. Falsche Ideen setzen sich weiter durch.“ Was ihm als Autor bleibe, sei: „Betrauern, dass die Körper, der Sex und die Kunst von hotten Ideologen aufgefressen werden.“ Ihm ist ein Buch gelungen, das mit seinen Überzeichnungen helfen kann, die eigene Ohnmacht gegenüber den derzeitigen Zumutungen emotionaler Manipulationen ein bisschen besser auszuhalten.
Jonathan Guggenberger: „Opferkunst“,
Edition Tiamat, 256 Seiten, 20 Euro
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