LGBTIQ*- Zentrum Schöneberg

Die Motzstraße erlebt ein Comeback

13. Aug. 2025 Sören Kittel
Bild: Ufuk Erol
Ufuk Erol (2. v. re.), der Besitzer des Cafés Romeo & Romeo, mit seinem Thekenteam

Zuletzt ballerten einem fast nur Negativmeldungen aus dem Nollendorfkiez um die Ohren: Explodierende Gewerbemieten, Klassiker wie Tom‘s Bar und das Café Berio machten dicht, Darkrooms wurden vom Ordnungsamt geschlossen, das Rosa-Winkel-Mahnmal wurde mehrmals geschändet. Doch jetzt gibt es endlich auch mal wieder Positives zu berichten!

Die Regenbogennachbarschaft rund um die Motzstraße in Schöneberg ist vieles – ein historischer Treffpunkt für Geschichtsversessene, ein queerer Sehnsuchtsort für Amerikaner*innen auf Berlinurlaub, ein Symbol der Sichtbarkeit für Schwule, Lesben, bi+ und trans* Menschen. Seit den wilden 1920er-Jahren, als in Berlin erstmals offen LGBTIQ*-Subkulturen florierten, war die Gegend ein Zentrum nicht heteronormativen Lebens. Der schwule britische Schriftsteller Christopher Isherwood schrieb in seinem Roman „Goobye to Berlin“ damals von einer Stadt voller sexueller Freiheit, aber auch voller politischer Spannungen. Ein lebendiger Ort, aber verletzlich. Das gilt auch heute. Das anhaltend unsichere Gefühl lässt sich durch Zahlen bestätigen: Queerfeindliche Übergriffe haben sich laut Polizeistatistik berlinweit seit 2019 mehr als verdoppelt. Im Jahr 2024 gab es demnach 738 Vorfälle, ein Anstieg um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die meisten Übergriffe passieren – in Schöneberg.

Bild: Heile Welt Bar
Die Heile Welt Bar in Schöneberg
„Erst vor vier Wochen fuhr hier jemand mit dem Auto durch und warf mit Eiern nach uns.“

Da ist zum Beispiel Bernd Richter: Der 45-Jährige arbeitet seit fast 20 Jahren im Kiez , jetzt in der „Heilen Welt“, die zur Jahrtausendwende in der Motzstraße eröffnete. „Erst vor vier Wochen fuhr hier jemand mit dem Auto durch und warf mit Eiern nach uns“, sagt er zu SIEGESSÄULE. „Im Frühjahr hat uns jemand etwas gegen die Scheibe geworfen, die dann ausgetauscht werden musste.“ Und dann, so alle zwei bis drei Tage, kommen die Anrufe: „Stimmt es, dass ihr der Schwuchtelladen seid?“

Darkroom mit Neonfarben und Sand

Der Kiez hatte in den letzten Jahren an Glanz verloren: Mutschmanns und Tom‘s Bar machten zu, das Café Berio ebenso – und die ständigen Meldungen von Übergriffen verdarben einigen die Lust am Ausgehen. Doch in diesem Sommer bekommt der Kiez wieder Aufwind: Es gibt endlich gute und optimistisch stimmende Nachrichten. Zum einen hat der Bezirk Schöneberg sich entschlossen, die Motzstraße als LGBTIQ*- Zentrum sichtbar zu markieren, etwas das in anderen Städten längst üblich ist, nur bislang nicht in Berlin.

So wurde nun vom Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann (Bündnis 90/Die Grünen) entschieden, Progress-Pride-Flaggen entlang der gesamten Motzstraße aufhängen zu lassen, hoch genug, damit sie nicht Vandal*innen zum Opfer fallen. In Zeiten, in denen die Pride-Flagge wieder ein Politikum wird, ist die Aktion keine Selbstverständlichkeit. Sie verschönert(e) die gesamte Festival-Saison: Stadtfest, CSD und jetzt im August Folsom Europe.

Einer, der all diese Feste zum ersten Mal im Regenbogenkiez erleben wird, ist Ilia Basilashvili. Der 35-Jährige kam 2008 von Georgien nach Berlin und wollte eigentlich höchstens zwei Jahre bleiben. Im November eröffnete er dann in der Motzstraße das Ilo‘s, eine Cocktailbar, die am Wochenende zur Silent Disco mit Kopfhörern einlädt.

„Erst waren viele enttäuscht“, sagt Basilashvili im SIEGESSÄULE-Gespräch, „dass das Mutschmanns nicht mehr da ist.“ Die Lederbar hatte bei vielen Kultstatus. „Aber inzwischen fühle ich mich von der Nachbarschaft gut aufgenommen.“ Wenn er mal eine Flasche Cola oder Eiswürfel brauche, könne er immer das Personal in der Bar nebenan fragen, so Basilashvili.

Bild: Maiko Khupatsaria
Tanzende Gäste bei der Silent Disco in Ilo's Bar

Catwalk für die Community

Von „negativen Vibes“ im Kiez habe er noch nichts mitbekommen. „Bisher sind meine Gäste und die Passant*innen immer freundlich“, sagt er. Für all die Großevents im Sommer ist er gut vorbereitet und will während der heißen Tage den inneren Bereich der Bar renovieren. Er hat auch eine Idee, was er mit dem ehemaligen Darkroom machen will. Nur so viel: Er hat Neonfarben und viel Sand gekauft!

Drei weitere gute Nachrichten: Durch das Boyberry (direkt neben dem Hafen) werden verstärkt jüngere Menschen in den Kiez gelockt, und mit Tysk hat ein weiterer Laden für Fetischkleidung aufgemacht – der Markt ist offenbar so groß, dass sich selbst die Konkurrenz Butcherei Lindinger über den Mitbewerber freut.

Außerdem vergrößert sich das Café Romeo & Romeo um zwei Drittel seiner Fläche. Was angesichts des Dauerlamentos vieler Gastrobetriebe erstaunt. „Wir hatten einfach Glück“, sagt Inhaber Ufuk Erol bei unserem Treffen.

„Unsere Hausverwaltung hat uns die Vergrößerung angeboten, weil wir seit elf Jahren ein wirklich gutes Verhältnis haben.“

„Unsere Hausverwaltung hat uns die Vergrößerung angeboten, weil wir seit elf Jahren ein wirklich gutes Verhältnis haben.“ Im Winter habe er nur 60 Plätze gehabt und das sei einfach zu wenig. Schon jetzt ist der Außenbereich stark ausgeweitet und macht die Motzstraße zum Community-Catwalk. Allerdings gab es erst im Juni einen Angriff auf Erol, der für Schlagzeilen sorgte. Er saß abends zusammen mit Freunden vor seinem Café, als ein Passant plötzlich laut wurde, er rief unter anderem „Hurensohn“ und warf eine Flasche nach ihm. Erol konnte sich gerade noch wegdrehen, sodass die Flasche ihn nur am Hinterkopf traf. Der Täter ist inzwischen in einer psychiatrischen Klinik.

Nach dem Angriff versammelten sich rund 250 Menschen und zeigten Solidarität. Ein Teilnehmer der Adhoc-Demo berichtet: „Es waren vor allem Ü50-Schwule da.“ Aber es sei eine große Gruppe gewesen, die eben nach wie vor einen wichtigen Teil des Kiezpublikums ausmacht. Übrigens auch bei der legendären Schlagernacht „Ein Schiff wird kommen“ im Hafen (einmal monatlich), wo sich Ü und U ausgelassen mischen.

„Unser Motto ist: Wir lassen uns nicht einschüchtern, gerade jetzt nicht!“

Doch das Gefühl der Unsicherheit bleibt. „Es wird immer schlimmer“, sagt Erol. Gleichzeitig ist er froh, dass die meisten Gewerbetreibenden inzwischen ein gutes Verhältnis zu Polizei und Verwaltung haben. Es gebe regelmäßige Treffen mit dem Bezirksbürgermeister. „Unser Motto ist: Wir lassen uns nicht einschüchtern, gerade jetzt nicht!“

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