Interview mit Barbie Breakout und Gianni Jovanović

Drag Race Germany: „Wir müssen nicht offensiv politisch sein, es passiert einfach!"

26. Sept. 2023 Samu/elle Striewski
Bild: Paramount+
Barbie Breakout

Seit Anfang September läuft „Drag Race Germany" beim Streaming-Dienst Paramount+. Nach dem die ersten Folgen der Show zu sehen waren, fragten wir die beiden Moderator*innen Barbie Breakout und Gianni Jovanović, für wie politisch sie das Format halten und welche persönliche Beziehung sie zur Drag-Community haben

Als Hosts der ersten Staffel von Drag Race Germany tretet ihr in große Fußstapfen. Wie unterscheidet sich das deutsche Format vom US-Original „RuPaul’s Drag Race"? Barbie: Was uns am meisten von Amerika unterscheidet, sind die Queens und ihre Sozialisierung, auch was ihr Drag angeht. Natürlich orientieren sich viele an amerikanischen Vorbildern, aber sie haben auch noch andere Referenzen, die weniger amerikanisiert sind als an vielen anderen Orten. Was meine Rolle betrifft: Ich bringe mich mit, mit allem, was mich als Mensch ausmacht. Als Host habe ich zwar gewisse Vorgaben, den Rest kann ich aber selbst gestalten. Ich versuche nicht, die Kopie von irgendjemandem zu werden.

Gianni: Ein großer Unterschied auch ist die Wahl von Barbie als Hostess und mir als Co-Host. Auch RuPaul ist natürlich als Schwarzer queerer Mensch mehrfach marginalisiert, aber sie war schon vor der Sendung ein Riesenstar. Dass ich dabei sein kann, bedeutet, dass die größte kleine Mehrheit dieses Kontinents eine gewisse Sichtbarkeit findet. Ich bin Rom, und dementsprechend ist es mir sehr wichtig, dass gerade Gruppen wie meine in Formaten wie Drag Race auch repräsentiert werden. Dadurch, dass Barbie und ich in den letzten zehn Jahren immer das Künstlerische und Politische kombiniert haben, hat auch das deutsche Drag Race, vielleicht ein bisschen mehr als anderswo, diesen Anspruch.

Wie könnt ihr eure Arbeit als Aktivist*innen denn einfließen lassen? Geht das überhaupt, in einem TV-Format, das mittlerweile so mainstreamtauglich ist? Gianni: Wir haben bereits einen relativ diversen Cast und die Queens bringen ihre eigene Politisierung mit und machen verschiedene Aspekte von Queerness sichtbar. Sie hatten selbst die Bereitschaft, sich emotional zu zeigen und damit auch einen Schulterschluss im Workroom zu schaffen und sich gegenseitig zu empowern. Metamorkid hat das in der zweiten Folge schön formuliert: Drag ist für viele Künstler*innen ein Kanal, um Dinge zu therapieren und tatsächlich auch zu heilen. Dadurch fiel es auch uns einfach, auf dieses Boot aufzuspringen, ohne mit einer expliziten „Agenda” in die Sendung zu gehen. Wir müssen gar nicht offensiv politisch sein, es passiert einfach!

Barbie: Ich wurde auch schon oft gefragt, wie ich etwa meinen Aktivismus als HIV-positive oder nicht-binäre Person einfließen lasse. All das bringe ich mit, aber bei Drag Race geht es ja nicht um mich, sondern um die Queens und das, was organisch zwischen ihnen entsteht. Wir hatten bereits super schöne und auch traurige Momente, zum Beispiel der HIV Moment mit Naomy, oder als Meta über ihre Missbrauchsgeschichte oder Kelly über Rassismuserfahrungen gesprochen haben. Und es wird noch mehr kommen. Wenn wir dazu mit unseren eigenen Geschichten auch etwas beitragen können, ist das toll, aber wir versuchen nicht, irgendwelche talking points unterzubringen.

Bild: Paramount+
Gianni Jovanović
„Wir waren von Anfang an alle Sisters"

Was könnt ihr als Hosts dazu beitragen, solche Räume für Vulnerabilität zu schaffen — trotz des Unterhaltungsfaktors der Show? Barbie: Wenn man uns nicht sieht, sind wir nicht dabei. Was also die Queens miteinander kreieren, was sie sich mitteilen, das passiert organisch. Wenn wir auf dem Runway sind, haben wir meistens genug mit kommentieren und bewerten zu tun. Das Ganze ist so zeitaufwendig, dass gerade in den ersten Folgen gar nicht der Raum für anderes ist, es sei denn, die Queens thematisieren das selbst. Wir sind beide emphatische Menschen, das heißt, wenn in den späteren Folgen emotionale Dinge aufkommen und wir das mitkriegen, reagieren wir natürlich darauf. Aber ich würde mich weigern zu bohren.

Gianni: Insgesamt haben wir es glaube ich geschafft, den Queens das Gefühl zu vermitteln, dass wir, ob vor oder hinter der Kamera, keine Gefahr für sie sind. Im Gegenteil, Barbie und ich sind einfach sehr liebenswerte Menschen und wenn mal eine Leistung nicht erbracht wurde, haben wir den Queens nicht den Kopf abgerissen, sondern sie mit Liebe und Fürsorge umhüllt. Das unterscheidet uns von anderen Formaten. Wir haben keine Allüren, sondern waren von Anfang an alle Sisters.

„In der alten Kreuzberger SchwuZ-Szene habe ich viel Missgunst und verknöcherte Strukturen erlebt."

Wo wir über Gemeinschaft reden: Wie sehr bewegt sich Drag auch in eurer eigenen Geschichte zwischen individueller Ausdruckspraxis und Suche nach Zugehörigkeit? Barbie: Ich bin ’99 nach Berlin gezogen und war erstmal einsam. Ich hatte zwar einzelne Freunde, aber keine Community und das habe ich sehr vermisst. Die Schwestern der perpetuellen Indulgenz haben mir viel Communitygefühl gegeben, auch wenn die ab und an ihre eigenen toxischen Prozesse durchlaufen sind. Aber in der alten Kreuzberger SchwuZ-Szene habe ich auch viel Missgunst und verknöcherte Strukturen erlebt, die für mich mit Community oder Liebe nicht viel zu tun hatten. Eine berühmte Berliner Polittunte sagte mir, als ich neu in Berlin war: „Du hast uns gerade noch gefehlt!”. Als ich mehr Richtung Glamour gegangen bin, wurde mir oft gesagt, ich müsse mich entscheiden, entweder Politik oder Glam. Auch wenn ich viel davon profitiert habe, Teil von Communities zu sein, habe ich gelernt, mir ein eigenes Bild von ihren wertvollen und toxischen Seiten zu machen. Und letztlich lebt Community vom selber machen. Ich habe geschaut, was ich beitragen kann, damit Leute die Chance haben, sich und andere besser zu verstehen.

Gianni: Ich bin ’97 von Frankfurt nach Köln gezogen und habe dort das allererste Mal eine Show mit Drag Queens gesehen, die nicht weiß waren. Das war für mich entscheidend, weil ich mich oft nicht mit der sehr weiß geprägten Community identifizieren konnte. Als ich dann im Club drei BIPoC Queens auf der Bühne gesehen habe, war es um mich geschehen. Als ganz junges schwules Ding, damals nicht geoutet, verheiratet, mit zwei Kindern und einem schrecklichen Leben zuhause, bin ich in die Drag Family aufgenommen worden. Die Schmerzen und das Trauma in meiner eigenen Familie waren so groß, darüber haben ja auch einige Queens in der Sendung schon gesprochen, deshalb war meine Wahlfamilie für mich ganz entscheidend und hat mich bis heute stark geprägt. My drag family saved my life!

„Wir dürfen nicht die Errungenschaften unserer Geschwister, die geblutet haben und für uns gestorben sind, vergessen."

Was könnt ihr einem heutigen jungen, queeren Ding mitgeben … außer, dass es Drag machen soll? Barbie: Finde Menschen, die dir auf Augenhöhe begegnen, dich sehen und akzeptieren, wie du bist! Das höchste Gut in meinem Leben ist nicht mein Erfolg oder mein Erspartes, sondern meine wirklich engen Freunde, die mich lieben und mir das Gefühl geben, dass ich gesehen werde. Mit dem Internet kriegen Queerlinge heute vielleicht schneller das Gefühl connected zu sein und das rettet aus der ersten Einsamkeit und Isolation. Aber Menschen wirklich zu begegnen, echte Freunde kennenzulernen und sich in diese auf eine nicht romantische Weise zu verlieben, eine Wahlfamilie zu haben, das brauchen wir mehr als alles andere!

Gianni: Das kann ich nur unterstreichen. Außerdem sollten queere Menschen sich nicht outen müssen, wenn es für sie eine Gefahr darstellt. Ich hatte ganz viel Glück, aber ich kenne Leute, die Angst haben müssen, umgebracht zu werden, wenn sie sich outen. Wir müssen uns überlegen, wie wir Partizipationsräume für solche Menschen und andere marginalisierte Gruppen in unserer Community schaffen können. Gerade als cis Schwule dürfen wir nicht die Errungenschaften unserer Geschwister, die geblutet haben und für uns gestorben sind, vergessen. Wir dürfen uns nicht mit unseren Privilegien zufriedengeben, sondern müssen versuchen, sie mit anderen Geschwistern zu teilen. Nur so können wir auch innerhalb unserer eigenen Kreise wirkliche Teilhabe und auch Teilhabe leben.

Das offizielle Public Viewing von "Drag Race Germany" findet jeden Dienstag im SchwuZ statt.

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