Drei lesbische Filmstarts im Dezember: über Familie, Liebe und Migration
Im Dezember wird’s auf der großen Leinwand lesbisch: Gleich drei neue Filme feiern Kinostart und unsere SIEGESSÄULE-Autorinnen versprechen nichts weniger als mitreißende Geschichten, große Gefühle und jede Menge Gänsehautmomente
„15 Liebesbeweise“ ab 04.12.
Es beginnt mit einem Tondokument, das queere Geschichte erzählt, einem Originalmitschnitt aus der französischen Nationalversammlung. Nach 156 Stunden und 46 Minuten intensiver Debatte wird am 23. April 2013 die Ehe für alle beschlossen. Applaus brandet auf, „Égalité!“-Rufe hallen durch den Saal – ein bewegender Moment, der das schöne Versprechen der Gleichheit enthält. Alice Douards Spielfilmdebüt aber interessiert sich für das, was nach dem Jubel kommt. „15 Liebesbeweise“ erzählt von der Brüchigkeit dieses Versprechens: davon, wie Gleichheit, einmal verkündet, in der Wirklichkeit aber an ihre Grenzen stößt.
Douard richtet den Blick auf eine Frau, die sich in diesen Widersprüchen wiederfindet. Céline (Ella Rumpf) lebt mit ihrer Frau Nadia (Monia Chokri) in einer kleinen Pariser Wohnung am Rande der Stadt. Céline arbeitet als Tontechnikerin und DJane, Nadia im zahnärztlichen Notdienst. Ihr Alltag ist geprägt von Nachtschichten, beengtem Raum und zärtlicher Routine. Sie gehörten zu den ersten gleichgeschlechtlichen Paaren, die sich trauen ließen, um ihren Wunsch nach einem gemeinsamen Kind abzusichern. Nun ist Nadia schwanger. Doch was ein selbstverständlicher Schritt sein sollte, wird zu einer bürokratischen Bewährungsprobe: Céline muss das eigene Kind erst adoptieren, um rechtlich Mutter zu sein. Dafür verlangt das Gericht 15 „Liebesbeweise“ – Briefe von Freunden, Verwandten, Bekannten, die ihre Eignung bestätigen sollen.
Trotz aller Schwere ist „15 Liebesbeweise“ kein bitterer Film. Douard verliert nie den Blick für die Liebe zwischen Céline und Nadia. Sie ist der leise Kern, der allem Gewicht standhält – und Ella Rumpf das Ereignis darin. Sie spielt Céline mit einer Wärme, die nie demonstrativ wirkt, mit einer Genauigkeit, die jede Geste bedeutsam macht. Ihr zurückhaltendes Spiel lässt die politischen Untertöne dieses zärtlichen Films auf leise, menschliche Weise hörbar werden.
15 Liebesbeweise, FR 2025
Regie: Alice Douard
mit Ella Rumpf, Monia Chokri, Noémie Lvovsky u. a.
ab 04.12. im Kino
Arabella Wintermayr
„Dreamers“ ab 11.12.
Als Isio (Ronke Adékoluejo) in Abschiebehaft im fiktiven Hatchworth Removal Center landet, lebt sie bereits zwei Jahre ohne Papiere in Großbritannien. Entschlossen, schnellstmöglich in das Leben zurückzukehren, das sie sich aufgebaut hat, beantragt sie voller Hoffnung Asyl. In ihrer Heimat Nigeria ist sie als lesbische Frau Verfolgung und Repressionen ausgesetzt; in ihrem konkreten Fall sogar durch ihre Mutter. Alptraumartige Flashbacks deuten eine brutale Konversionstherapie an. Ihre Zimmergenossin Farah (Ann Akinjirin) ist weniger blauäugig, wurde ihr Antrag doch bereits zweimal abgelehnt – obwohl ihre ganze Familie von der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram verschleppt wurde. Sie schmiedet Fluchtpläne für den Fall einer Asyl-Ablehnung; nach dreimaliger Berufung wäre die Entscheidung nämlich final.
Farah unterstützt Isio derweil dabei, sich an diesem unwirtlichen Ort zurechtzufinden. Beide Frauen kommen sich näher und verlieben sich. Der Fokus der Erzählung verschiebt sich zusehends, weg vom breiteren Kontext hin zum Innenleben der Protagonistinnen. Schließlich sind sie hier auf sich zurückgeworfen. Und doch komplett fremdbestimmt.
Als Farahs Antrag endgültig abgelehnt wird, erschüttert das auch Isios Vertrauen in das System. Die daraus folgende Eskalation wirkt hektisch in Szene gesetzt. Überhaupt ist holperiges Timing eine Schwachstelle dieses eindrücklichen Debüts – in dem nicht zuletzt auch ein Plädoyer dafür steckt, sich innere Freiheit zu bewahren, selbst wenn äußere Grenzen übermächtig scheinen. So hat das Drama bei aller Abgründigkeit auch etwas Bittersüßes.
Dreamers, UK 2025
Regie: Joy Gharoro-Akpojotor
mit Ronke Adékoluejo, Ann Akinjirin u. a.
ab 11.12. im Kino
Queerfilmnacht, 17.12., 21:00, Delphi LUX
Stephanie Grimm
„Die jüngste Tochter“ ab 25.12.
Fatima ist gläubige Muslimin und versucht ihre sexuelle Orientierung mit ihrem Glauben zu vereinbaren. Der Film beginnt mit der rituellen Waschung vor dem morgendlichen Gebet und führt die Protagonistin im Laufe der Handlung, die über Frühling, Sommer, Herbst und Winter ein Jahr erzählt, mithilfe von Dating-Apps in dunkle Bars und auf seltsame Parkplätze. Dort versucht sie als „Baby Lesbian” nichts von sich preiszugeben, aber neugierig dazuzulernen. Als sie sich ernsthaft verliebt, sucht sie Rat bei einem Imam. Sie versucht Glaube und Lieben zusammenzubringen und die Kamera begleitet sie dabei fast dokumentarisch.
„Die jüngste Tochter” basiert auf der biografischen Erzählung von Fatima Daas, die 1995 als jüngste Tochter algerischer Eltern in Frankreich geboren wurde. Ihr Buch stand wochenlang auf den französischen Bestsellerlisten. Die Regisseurin Hafsia Herzi erzählt diese Geschichte mit klaren, ungeschönten, aber liebevollen Bildern. Dabei werden alle Klischees des Genres umschifft, weil sie ihre Protagonist*innen ernst nimmt.
Nadia Melliti verkörpert in ihrem Schauspieldebüt die starke Persönlichkeit Fatimas auf ihre eigene stille Weise – alles findet in ihrem Gesicht, in den Augen statt. Die junge Französin spielt die innere Zerrissenheit der Protagonistin zart und authentisch, was ihr zu Recht die Palme d‘Or auf den Filmfestspielen von Cannes in diesem Jahr einbrachte.
Fatimas Suche nach ihrem eigenen Weg geht über die stabile Verbindung zu ihrer Familie, die sie letztendlich aufzufangen scheint. Zur Mutter (Amina Ben Mohamed) hat sie außer zu Ji-Na die stärkste Beziehung in ihrem Leben, und sie wird im Film unaufgeregt und liebevoll gezeigt – bis zur Schlussszene. Wer in dieser Szene noch nicht begeistert von „Die jüngste Tochter” ist, wird es spätestens dann sein müssen.
Die jüngste Tochter, FR/D 2025
Regie: Hafsia Herzi
mit Nadia Melliti, Ji-Min Park, Amina Ben Mohamed u. a.
ab 25.12. im Kino
MonGay-Preview, 15.12., 21:30, Babylon Kreuzberg
Nina Süßmilch
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